Sarah Zerback: Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Bernd Lange von der SPD, dem Chef des Handelsausschusses im Europaparlament, wir haben es gerade schon kurz im Beitrag gehört, guten Morgen, Herr Lange!
Bernd Lange: Ja, guten Morgen!
Zerback: Ja, Sie haben TTIP kürzlich als totes Pferd bezeichnet, sind damit auch ganz bei SPD-Chef Sigmar Gabriel. Ist es nicht zu früh für Grabreden?
Lange: Oder der SPD-Chef ist bei dem Handelsausschussvorsitzenden.
Zerback: Oder so herum!
Lange: Nein, genau. Also, nach der 14. Runde im Juli musste man sagen, die USA haben sich 0,0 bewegt. Und wir haben ja ganz klare Kriterien für ein gutes Handelsabkommen. Und wenn man sieht, dass nach drei Jahren nur marginale Ergebnisse erzielt sind, dann muss man eigentlich auch irgendwann sagen, so geht es nicht. Und das habe ich sehr deutlich formuliert.
Zerback: Die EU-Kommission sieht das aber ganz anders. Und das ist auch nicht die offizielle Position der Bundesregierung. Die Kanzlerin hält ja an TTIP fest.
Lange: Ich finde, Deadlines zu setzen ... Die Kanzlerin hat ja schon mal 2015 gesagt, jetzt müssen wir es fertigmachen, jetzt hat sie gesagt, 2016 müssen wir es fertigmachen. Völliger Quatsch! Wir müssen, wenn wir ein gutes Handelsabkommen haben wollen, die Details aufarbeiten. Und das geht nicht im Schweinsgalopp, da geht Sicherheit vor Schnelligkeit. Und wenn es nicht geht, dann geht es halt nicht.
Zerback: Gleichzeitig kämpfen Sie aber ja wie Gabriel um CETA, dem Abkommen mit Kanada. Dabei gibt es da doch wahnsinnig viele Überschneidungen, vor allem ja in der Kritik. Das lässt sich doch da gar nicht trennen?
Lange: CETA und TTIP sind zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe
Lange: Doch, das sind völlig unterschiedliche Paar Schuhe. Und ich bin der festen Überzeugung, dass viele Dinge, die wir in CETA schon vereinbart haben und noch einige, ja, nacharbeiten wollen, dass die die USA nie unterschreiben würden: Was die partnerschaftliche Betrachtung der öffentlichen Ausschreibungen anbetrifft, was das geistige Eigentum und den Schutz davon anbetrifft, was die Anerkennung von geografischen Herkunftsweisen wie zum Beispiel die Nürnberger Rostbratwürstchen oder den Champagner anbetrifft. Oder auch den Investitionsgerichtshof. Also, hier sind deutlich andere Akzente gesetzt als in den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten. Ich meine, Kanada ist uns ja auch viel, viel näher in vielen, vielen Dingen als die Vereinigten Staaten.
Zerback: Ja, widersprechen würden Ihnen da aber Kritiker, zum Beispiel die Gewerkschaften, die ja heute auch maßgeblich zu Demonstrationen aufrufen. Beides wurde im Geheimen verhandelt, die Industrie hat bei beiden Einfluss genommen, die umstrittenen Schiedsgerichte sind da noch drin. Warum ist CETA gut und TTIP aber so böse?
Lange: Ich habe schon gesagt, die Vereinigten Staaten sind in ganz, ganz vielen Bereichen, auch zum Beispiel in Arbeitnehmerrechten ganz weit weg von uns. Das ist in Kanada anders. Dort gibt es einen entwickelten sozialen Dialog, der Organisationsgrad der Gewerkschaften ist ähnlich groß wie in Europa. Und wir haben ja auch in dem Abkommen mit Kanada Arbeitnehmerrechte verankert. Und Kanada hat ja diesen Prozess, auch die ausstehenden zwei Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation unterschrieben. Und jetzt geht es noch ein bisschen um die Umsetzung und da muss noch nachgeschärft werden. Deswegen sage ich ja immer, so ein Abkommen ist erst fertig, wenn das Europäische Parlament ja gesagt hat. Und an dieser Nacharbeit sind wir dran. Übrigens im, im ...
Zerback: Ein bisschen nachverhandeln ist gut ...
Lange: ... im engen Kontakt mit den Gewerkschaften, das sollte man nicht vergessen. Ich finde gut und richtig, dass man auch Druck macht und die Interessen formuliert. Und insofern ist es nicht gegen, sondern mit.
Zerback: Jetzt ist es ja gut, dass sich in der nächsten Woche die Handelsminister der EU treffen wieder in Bratislava, um eben zu beraten, ob CETA so starten kann. Und wenn das gelingt, dann könnte das Abkommen ja vorläufig in Kraft treten. Und zwar bevor die nationalen Parlamente darüber abgestimmt haben. Ist das Ihrer Meinung nach überhaupt mit dem Grundgesetz zu vereinbaren?
Lange: Also, wir haben Handelspolitik vergemeinschaftet aus guten Gründen, weil kleine Staaten, große Staaten die gleichen Möglichkeiten haben, weil wir gemeinsame Werte im internationalen Handel vereinbaren wollen. Und deswegen ist das demokratisch legitimierte Gremium, was darüber entscheidet, das Europäische Parlament. Insofern wird es auch keine vorläufige Anwendung geben, ohne dass das Europäische Parlament entschieden hat. Und das hat erst mal das letzte Wort. Und ehe das passiert, werden wir sicherlich an der einen oder anderen Stelle noch Nacharbeit leisten. Und ...
Zerback: Aber warum dieser Zeitdruck? Das soll ja jetzt alles in den nächsten ein, zwei Monaten passieren, wird da nicht riskiert, ...
Lange: Nee, nee, nee, nee, nee.
Zerback: ... dass danach nicht alle Einzelheiten geprüft werden, kritisch?
Lange: Europäisches Parlament prüft ohne Zeitdruck
Lange: Nee, nee, nee, nee, nee! Also, jetzt wird höchstwahrscheinlich unterschrieben. Und dann kommt es ins Europäische Parlament und da gibt es überhaupt gar keinen Zeitdruck. Wir machen das in aller Ruhe, das wird auf Herz und Nieren geprüft. Wir müssen sicherlich die eine oder andere Anhörung machen. Also, das Parlament ist da völlig frei, so zu agieren und so zu überprüfen und zu entscheiden, wie es das Parlament für richtig hält.
Zerback: Lassen Sie uns noch mal über einen weiteren großen Streitpunkt sprechen, die Schiedsgerichte. Also wo Konzerne dann Staaten auf Schadenersatz verklagen können, das ist ja ein Riesenstreit. Da hat die SPD doch - in Gabriel namentlich, wir erinnern uns da an den Beginn der Verhandlungen – eine rote Linie gezogen. Sind das nicht genau die Dinge, wegen derer sich dann die Bürger getäuscht fühlen, wenn diese rote Linie dann jetzt überschritten wird, diese Schiedsgerichte doch kommen?
Lange: Ursprünglich waren in dem Text von Kanada private Schiedsgerichte drin, die übrigens nicht nur Konzerne nutzen, zum Beispiel auch die Norddeutsche Landesbank oder die Stadtwerke Köln, die gegen Spanien klagen, weil die Subventionen für Solarenergie reduziert worden sind. Das finde ich unglaublich unlauter und untergräbt demokratische Gesetzgebungsprozesse. So was gehört auf den Müllhaufen der Geschichte. Deswegen habe ich als Handelsausschussvorsitzender gesagt, so was geht nicht in ein modernes Handelsabkommen. Wenn die Kommission mit so einem Text kommt, dann lehnen wir es ab. Und daraufhin ist nachverhandelt worden. Und jetzt haben wir ein Modell von unabhängigen Richterinnen und Richtern mit klaren rechtlichen Grundlagen und einer Revisionsmöglichkeit, sodass solche Prozesse - wie eben skizziert - nicht mehr möglich sind. Und wir werden auch noch mal die Frage der Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter, die materiellen Rechtstatbestände noch mal auf den Prüfstand stellen und sicherstellen, dass der einzige Fakt, warum überhaupt so ein System eingerichtet werden kann, ist, dass es keine Diskriminierung von ausländischen Investoren gegenüber inländischen gibt, eben keine Besserstellung, aber eben auch keine Schlechterstellung. Und das muss ...
Zerback: Ja, jetzt sind es kein ...
Lange: ... 100-prozentig klar sein.
Zerback: Es sind jetzt keine privaten Schiedsgerichte mehr, sondern öffentlich-rechtliche. Aber könnte man nicht sagen – und das werfen Ihnen ja Kritiker auch vor –, die EU ist ein Rechtsstaat, Kanada ist ein Rechtsstaat, das ist gar nicht nötig, dass wir da so eine – und das ist eben die Wortwahl der Linken auch Ihrer Partei –, diese Paralleljustiz?
Lange: Wenn man die deutsche Brille aufhat, ja. Wir haben fast in allen Bereichen Inländergleichbehandlung zu Ausländern. Aber wir sind noch mal 28 Länder noch. Und in anderen Ländern ist es anders, da haben Ausländer nicht die gleichen Rechte wie Inländer. Nebenbei, wir haben acht Länder der Europäischen Union, die haben Verträge mit Kanada mit diesen alten privaten Schiedsgerichten. Und die wollen sie auch loswerden. Also, im Kontext der Europäischen Union ist das eindeutig ein Fortschritt, wenn es öffentlich-rechtliche Systeme gibt und private Schiedsstellen aus dem Laufen kommen.
Zerback: Ja. Und um jetzt noch mal die Interessen Deutschlands, der EU nachzuverhandeln, darüber zu sprechen, ist Parteichef Gabriel ja in dieser Woche unterwegs gewesen in Kanada. Da fragt man sich doch, der ist doch gar nicht zuständig für die Vertragsverhandlungen, ...
Lange: Genau. Das ...
Zerback: ... das macht doch die EU-Kommission.
Lange: Das ist die EU-Kommission, genau.
Zerback: War die Reise also nur dazu da, um Wahlkampftaktik zu betreiben, um die eigene Partei auch zu beruhigen?
Lange: Also, zum einen ist in der Tat formal die EU-Kommission zuständig für Gespräche und Verhandlungen. Aber nichtsdestotrotz ist natürlich Sigmar Gabriel Repräsentant eines wichtigen Mitgliedsstaates. Und da gibt es natürlich auch Möglichkeiten, das eine oder andere zu besprechen. Aber Sie haben recht, wenn es Veränderungen gibt – und da wird auch das Parlament ein Wort mitreden –, dann muss das zwischen der kanadischen Regierung und der EU-Kommission rechtsverbindlich vereinbart werden.
Zerback: Was also eher ein Zeichen nach innen ... Weil die SPD wirkt ja in Sachen Freihandel geradezu gespalten. Am Montag steht ihr SPD-Parteikonvent an, wo über CETA abgestimmt werden soll. Die Basis ist dagegen, der linke Flügel Ihrer Partei ist dagegen. Glauben Sie, dass da am Montag es gelingen kann, eine einheitliche Haltung hinzubekommen?
Lange: Intensive Diskussion in der SPD ist richtig
Lange: Dafür arbeite ich. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine sehr intensive Diskussion richtig ist. Nebenbei, wenn Sie in die CDU gucken oder bei den Linken gucken, da wird gar nicht intensiv diskutiert, da haben Sie die einfache Meinung, die einen sind Ja und die anderen dagegen. Wir nehmen es ernst und gucken jeden Paragrafen genau an. Und das werden wir auch am Montag machen und ich bin fest davon überzeugt, dass am Ende des Tages klares Profil, wo die Stärken des Abkommens, aber auch die Schwächen genannt werden und auch die klaren Perspektiven, was nachgearbeitet werden muss. Und da gehe ich davon aus, dass das jenseits von allen Beeinflussungen und anderen Themen, die vielleicht mitschwingen können, eine sachgerechte Entscheidung sein wird.
Zerback: Sie sind da sehr optimistisch, aber da möchte ich mal kurz Wasser in den Wein schütten: Wenn das jetzt nicht gelingt, was bedeutet denn dann ein Nein am Montag für Sigmar Gabriel, den Parteichef, und auch für seine mögliche Kanzlerkandidatur?
Lange: Ich sehe erst mal, dass wir im Europäischen Parlament natürlich das Abkommen weiterhin prüfen müssen, weil dieses Nein der SPD würde sicherlich im Kontext der EU im Moment nicht die Mehrheitsmeinung sein. Und deswegen gilt auch dann: Wir werden im Parlament weiterhin das Abkommen auf Herz und Nieren prüfen. Und entsprechend dann entscheiden.
Zerback: Und trotzdem geht ja von dem Montag jetzt ein Signal aus und auch von den Demonstrationen heute. Was heißt das für den Parteichef?
Lange: Ich finde, noch mal, die Demonstration gut. Ich finde das richtig toll, dass in den letzten Jahren dieses wichtige Thema der Handelspolitik in die öffentliche Diskussion gekommen ist. Und dass viele Menschen für einen fairen Welthandel auf die Straße gehen, ist richtig und gut. Und das unterstützt auch meine Arbeit.
Zerback: Aber wie gefährlich das jetzt für Sigmar Gabriel werden könnte, das wollen Sie mir heute Morgen nicht beantworten?
Lange: Sie können ja auch gerne mit Sigmar Gabriel reden. Aber im Moment vertrete ich hier die Position des Handelsausschusses des Europäischen Parlamentes.
Zerback: Das werden wir mal auf dem Schirm behalten. Bernd Lange war das, der SPD-Politiker ist im Europaparlament Chef des Handelsausschusses. Ich danke Ihnen, Herr Lange, heute Morgen für das Gespräch!
Lange: Gerne, alles Gute!
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