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Chamisso-Konferenz in Berlin
Von der besonderen Neugier der Reisenden

Die Zeit um das Jahr 1800 war die Zeit der Forschungsreisenden wie beispielsweise Alexander von Humboldt oder Adelbert von Chamisso, die auf ihren Reisen die Welt vermaßen. Eine internationale Chamisso-Konferenz in Berlin thematisiert nun diese Welt- und Forschungsreisen. Die Vorsitzende der Chamisso-Gesellschaft, Jutta Weber, im Gespräch.

Jutta Weber im Gespräch mit Henning Hübert   |
    Eine Zeichnung und ein Modell von Adelbert von Chamisso (1823) sind in der Staatsbibliothek in Berlin zu sehen.
    Zeichnungen von Adelbert von Chamisso. (picture alliance / dpa / Rainer Jensen)
    Henning Hübert: Vor rund 200 Jahren, da gab es kein Halten mehr. Die Welt wurde vermessen, nicht nur durch Alexander von Humboldt auf seinen Expeditionen, sondern auch von anderen Forschern und Literaten wie Georg Forster und Adelbert von Chamisso. Sie waren Gipfelstürmer und Ökologen der ersten Stunde. Mit ihren genauen Datensammlungen schrieben sie Umweltgeschichte und helfen bis heute der Klimaforschung. Jüngst gelang etwa der Nachweis, dass in den 210 Jahren seit Humboldts Fastbesteigung des Chimborazos in den Anden die Vegetationsgrenzen dort 500 Höhenmeter nach oben kletterten. Chamissos Reisegegend war der kalte Norden, Kamtschatka und Alaska etwa. Was er da aufzeichnete, ist Thema auf der dritten internationalen Chamisso-Konferenz, die ab heute in Berlin stattfindet. Organisiert hat sie die Leiterin des Nachlass-Referats der Staatsbibliothek zu Berlin und Vorsitzende der Chamisso-Gesellschaft, Jutta Weber. Ich habe sie gefragt: 200 Jahre alte Reiseberichte heute lesen, was kann daran denn noch spannend sein?
    Jutta Weber: Man kann die Notizen von Chamisso deshalb anders vielleicht lesen als wir heute gewöhnt sind, auf andere Dinge zu achten als die Reisenden damals. Wir gucken darauf, wie sieht die Landschaft aus, gefällt uns die Landschaft, lernen wir dort Leute kennen. Chamisso guckte, er hatte nichts über diese Gegend vorher jemals in einem Film oder irgendwo sehen können. Er entdeckte alles für sich ganz neu und er entdeckte es für sich neu als ein ganz junger Naturwissenschaftler, der erst anfing, naturwissenschaftlich zu arbeiten, und das ist einer der sehr interessanten Aspekte an den Reisenotizbüchern von Adelbert von Chamisso.
    Dinge, die noch niemand beschrieben hatte
    Hübert: Was ist denn da anders? Heute gibt es ja kein Neuland mehr. Wir haben alle Regionen, glauben wir, entdeckt. Ich habe mal im Fitnessstudio einen Dialog gehört über eine Brasilien-Reise, ging ganz schnell: Wie war’s in Brasilien? Heiß! - Das klingt doch irgendwie unbefriedigend.
    Weber: Ja. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass man heute so viele Bilder schon vorher im Fernsehen gesehen hat, dass man denkt, man hat eigentlich schon alles gesehen. Man hat es natürlich nicht gesehen und man kann von Chamisso insofern lernen, als man einfach sehen kann, wie hat er denn ganz genau hingeguckt. Wo hat er die Unterschiede gesehen zu dem, was ihm schon bekannt war und was ihm noch nicht bekannt war. Ein Beispiel ist: Nicht nur Chamisso, auch die anderen haben Tiere entdeckt, haben Pflanzen entdeckt, die vor ihnen noch kein Mensch beschrieben hatte. Gesehen hatten sie sie, aber beschrieben worden waren die Dinge noch nicht, und das macht natürlich den Wissenschaftler aus. Das macht aber auch die ganz besondere Neugierde, finde ich, aus dieser Reisenden, die als erste diese Dinge wahrnehmen möchten auch.
    Hübert: Sie kamen an und haben dann auch sofort sich ans Veröffentlichen ihrer kleinen beschriebenen Notizen gemacht, auf Französisch oder auf Deutsch, und haben das dann sofort geteilt, ihr Wissen, eigentlich vorbehaltlos. Wie lief das da ohne Internet, der Wissensaustausch?
    Weber: Der Wissensaustausch konnte erst mal direkt auf den Expeditionsschiffen natürlich erfolgen. Andererseits waren sie ja große Briefeschreiber. Die Briefe brauchten natürlich eine Weile, bis sie dann in Europa ankamen, aber das Netzwerk der Korrespondenzen dieser Reisenden - bei Humboldt ist es sehr bekannt, bei Chamisso ist es noch zu entdecken - war doch so von Station zu Station über andere Schiffe, die dann nach Europa fuhren, auf denen wieder Wissenschaftler saßen, und die Wissenschaftler kannten dieselben Wissenschaftler, die auch Chamisso kannte, und so verbreitete sich das Wissen für die Geschwindigkeit, die in der Zeit damals möglich war, doch einigermaßen schnell, vor allen Dingen über Briefe. Die Reisetagebücher selber wurden ja erst wirklich nach Abschluss der Reise veröffentlicht.
    "Er hat das für seine Zeit unglaublich genau gemessen"
    Hübert: Wie leben die eigentlich weiter heute, die Forscher? Sind ihre Aufzeichnungen so genau, dass wir heute damit wirklich umgehen können? Sind die Daten verlässlich für Sie?
    Weber: Interessanterweise - das hat man bei Humboldt inzwischen festgestellt. Er hat ja zum Beispiel Flüsse kartografiert, kartiert. Diese Flüsse, Flussverläufe, die Mündungen, Einmündungen anderer Bäche oder Flüsse, entsprechen ziemlich genau den heutigen Messergebnissen. Das entspricht auch dem, was man über das Vorkommen von Pflanzen zu bestimmten Höhen feststellen kann. Er hat das für seine Zeit unglaublich genau gemessen, was auch damit zusammenhängt, dass am Anfang des 19. Jahrhunderts die Messinstrumente sehr gut waren, sehr genau schon waren, und dass diese Reisenden auch die Möglichkeit hatten, besonders gute Messinstrumente mitzunehmen und eben - und das gehörte aber einfach dazu - das Auge dafür hatten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.