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Champagnes Wahlprogramm?

Das 25 Seiten umfassende Papier des langjährigen Blatter-Gehilfen Jérôme Champagne hat weltweit für Aufsehen gesorgt. Exakt zwei Jahre nach seinem Auflösungsvertrag und dem Ablauf einer Sperrfrist wandte sich Champagne, ehemals Direktor für internationale Beziehungen und wichtigster Mann in Joseph Blatters Presidential Office, an alle 208 Nationalverbände, an Politiker, Funktionäre und Medienvertreter.

Von Jens Weinreich |
    In Sachen Vergangenheitsaufarbeitung lässt das Papier zu wünschen übrig. Das Wort Korruption wird nur viermal benutzt, und das reichlich unkonkret. Und dennoch kommt der Initiative sportpolitische Bedeutung bei. Jérôme Champagne sagt, er habe kein Wahlprogramm formuliert, sondern sei der Aufforderung des FIFA-Präsidenten nachgekommen, die Strukturdebatte zu befruchten. In der Tat liegt außer der so genannten Road Map aus Blatters FIFA-Hauptquartier und dem Papier, das gegen Honorar im Spätsommer vom Team des Baseler Strafrechtlers Mark Pieth erarbeitet wurde, ja kaum etwas auf dem Tisch. Das Dokument etwa, mit dem Exekutivmitglied Theo Zwanziger im Herbst bei Blatter vorstellig wurde, ist von deutschen Juristen in Zwanzigers Auftrag erstellt worden und enthält einige brisante Vorschläge für Satzungsänderungen – aber es ist nicht öffentlich und dient bisher nur als Grundlage der Arbeit der Statutenkommission.

    Insofern sind Champagnes Ausführungen die bislang wichtigsten Zeilen eines (wenn auch ehemaligen) hochrangigen FIFA-Mannes.

    Manche sagen, Champagne habe eine doppelte Bewerbung formuliert: für einen neuen Führungsjob in der FIFA und für die Präsidentschaft. Die beiden Funktionäre, die vor zwei Jahren Druck auf Blatter ausgeübt und die Trennung von Champagne gefordert haben, sind nicht mehr im Amt: Der schwer korrupte Vizepräsident Jack Warner (Trinidad) kam seinem Rausschmiss durch Rücktritt zuvor und entzog sich damit jeglichen internen, nun ja: Ermittlungen. Warner stellt mit seinen ständigen Drohungen und latenten kleinen Enthüllungen derzeit die größte Gefahr für Blatter dar. Sein Kompagnon Mohamed Bin Hammam (Katar) wurde auf Lebenszeit gesperrt und ficht das Urteil vor dem Weltsportgerichtshof CAS an.

    Ohne Warner und Bin Hammam stehen die Sterne günstiger für Champagne. Denkbar ist sogar ein Deal zwischen Blatter und Champagne, der den Präsidenten trotz des Rausschmisses stets stützte und auch in seinem Papier die Position des FIFA-Vorstehers stärken will. Möglicherweise handelt es sich um eine groß angelegte Finte. Champagne ist ein ausgebuffter Diplomat, er versteht sein Geschäft – und er beherrscht auch die Klaviatur der Medien.

    Blatter versuchte sich in dieser Woche weiter an Flurbereinigung. Er traf sich in Zürich mit seinem gelegentlichen Kritiker Karl-Heinz Rummenigge, Chef des FC Bayern und der Klubvereinigung ECA. Am Treffen nahmen unter anderem auch der ECA-Vize Sandro Rosell vom FC Barcelona und Noch-DFB-Präsident Theo Zwanziger teil, der im Rahmen des so genannten Reformprogramms die Statutenkommission leitet. Das ist eine von insgesamt fünf Arbeitsgruppen, die unter dem Patronat des Exekutivkomitees daher werkeln – wobei, nichts beweist die Absurdität des Reformkonstrukts besser, als der Fakt, dass das mit Großganoven besetzte Exekutivkomitee das letzte Wort hat.

    Der potenzielle Präsidentschaftskandidat Champagne reiste für eine Woche in seine zweite Heimat, den arabischen Raum. Blatter dagegen düste gemeinsam mit dem bisher favorisierten Präsidentschaftskandidaten Michel Platini nach St. Petersburg und ließ sich von den russischen WM-Gastgebern 2018 hofieren. In Russland, das wie Katar gigantischer Korruption bei der WM-Akquise verdächtig ist, sang Blatter Lobeshymnen auf die WM-Organisatoren. Er sagte, Russland sei schon viel weiter als Brasilien für 2014. Und er lobte einmal mehr den UEFA-Präsidenten Platini, seinen langjährigen Kompagnon, der gewiss einen guten FIFA-Präsidenten abgeben würde.

    Wie sich die Konstellation zwischen den beiden Franzosen Platini und Champagne auflösen wird, ist eine der spannenden Fragen derzeit. Champagne hat im französischen WM-Organisationskomitee für das Turnier 1998 einst als Protokollchef unter dem WM-Boss Platini gearbeitet, danach heuerte er bei Blatter an. Ein dritter Franzose spielt munter mit im großen Machtpoker: FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke, den man gemäß Gerichtsakten aus dem Skandal um die FIFA-Verträge mit VISA- und Mastercard getrost als Serienlügner bezeichnen darf. Valcke und Champagne sind sich nicht grün – Konfliktpotenzial ist vorhanden. Die Schatten der Vergangenheit könnten Valcke schneller einholen, als er fürchtet. Gerade war er als Troubleshooter wieder in Brasilien, um die WM-Vorbereitungen für 2014 zu forcieren. Verantwortlich für die Schattenwirtschaft und die skandalösen Vorgänge im Land des Rekordweltmeisters ist niemand anderes als Valckes enger Vertrauter Ricardo Teixeira, dessen Zukunft in der FIFA sich in den nächsten Tagen entscheidet.

    Inzwischen hat die Rechtskommission des Schweizer Nationalrats eine Initiative des sozialistischen Abgeordneten Carlo Sommaruga zur Revision des Korruptionsstrafrechts angenommen: Demnach soll die Bestechung von Privatpersonen, als solche gelten FIFA-Funktionäre, als so genanntes Offizialdelikt bewertet werden. Käme die Gesetzesänderung durch, könnten die Strafverfolgungsbehörden tun, was jetzt kaum oder gar nicht möglich ist: ermitteln.

    Allerdings hat der Strafrechtsexperte Mark Pieth, Chef der so genannten unabhängigen Governance Kommission, die sich in dieser Woche zum ersten Mal traf, schon vor einem Jahr einen überzeugenderen Vorschlag gemacht. In einem Aufsatz mit dem Titel "Stehen Sportverbände über dem Recht?" empfahl Pieth alle Funktionäre aus Verbänden, die eine Monopolstellung genießen, als Amtsträger anzusehen. Dann müssten nach Veröffentlichung von Korruptionsvorwürfen von Amts wegen Ermittlungen eingeleitet werden. Die Erweiterung der Amtsträgerbestechung sei einer Klärung der Privatbestechung vorzuziehen, argumentiert Pieth, der in den vergangenen Wochen öffentlich in die Kritik geriet. Noch kann er mit seinem Governance-Komitee beweisen, dass er doch mehr ist als ein von Blatter auserwählter und eingekaufter großer Name, der dem angeblichen Reformprozess Autorität verleihen soll.