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Chance vertan im Tränenpalast

Das Bonner Haus der Geschichte hat im Berliner Tränenpalast eine neue Dauerausstellung zum Alltag der deutschen Teilung eröffnet. Der historische Ort bot die Möglichkeit zu einer lebendigen Schau, doch die wurde nicht genutzt, meint Journalist Frank Hessenland.

Frank Hessenland im Gespräch mit Rainer Berthold Schossig |
    Rainer Berthold Schossig: Auch das ein Stück Geschichte der eingemauerten Haupt- und Frontstadt: Die Wessies durften dort ausreisen, die Ossis mussten dableiben, und deswegen flossen beim Abschied am Ostberliner Bahnhof Friedrichstraße bis 1989 viele Tränen. Und so wurde die gläserne Abfertigungshalle, durch die es Richtung Westberlin ging, "Tränenpalast" genannt. Nach Abrissplänen und Nutzungsdebatten steht der Tränenpalast unglücklich-schief jetzt eingequetscht zwischen dem Bahnhof und einem neuen Hochhaus, und von heute an gibt es dort die Dauerausstellung "GrenzErfahrungen - Alltag der deutschen Teilung". Frage an Frank Hessenland: Als westdeutscher Student in Berlin habe ich solche Grenzerfahrungen im Bahnhof Friedrichstraße mit Tagesvisum oft gemacht, und man hatte da irgendwie den Eindruck, als gäbe man mit dem Pass auch seine Identität ab; man erhielt da eine Nummer, aber ohne jede algebraisch berechenbare Bedeutung. Was ist, Herr Hessenland, von dieser Unberechenbarkeit des DDR-Grenzverkehrs eigentlich noch übrig im heutigen "Tränenpalast"?

    Frank Hessenland: Ja eigentlich leider, leider nichts, oder ganz, ganz wenig. Mir ging es damals genauso. Wenn man von Osten nach Westen ging, als westdeutscher Schüler, oder auch Reisender, dann ging man so eine Treppe hinunter und fühlte sich da schon komplett nackt, weil man von allen möglichen Kameras, Grenzpostenaugen betrachtet wurde und eingeordnet wurde, wer man denn ist, einfach nur Devisenbringer, oder Besucher, oder Agitator, oder Agent, oder vielleicht Republikflüchtling. Und dann musste man als nächstes mal seinen Pass abgeben und seinen Koffer öffnen. Heute ist es so: Man geht diese Treppe herunter, sieht ein völlig neues, schönes Gebäude und landet an einer Infotafel, die die Grenzen Deutschlands nach 1945 zeigen. Und dann geht man in einen Parcours rein, auch von Infotafeln bestückt über die Geschichte der DDR von '45 bis '89, und das alles ist sehr schön, ordentlich, sauber präsentiert. Die Objekte sind in Vitrinen und die Texttafeln sind ordentlich. Aber man könnte das Ganze auch mit einem großen Kran nehmen und einfach in einen anderen Ort verfrachten, in den Keller des Deutschen Historischen Museums, oder Haus der Geschichte, oder völlig egal wo; es würde dort ganz genauso wirken, und deswegen ist die Chance, die eine solche Ausstellung an einem historischen Ort bietet, leider vertan.

    Schossig: Herr Hessenland, das klingt wirklich sehr sarkastisch. Sie sprechen eigentlich über die Misere deutscher Gedenkkultur in jeder Beziehung. Lassen Sie mich noch mal nachfragen: Zu besichtigen ist ja auch ein rund fünf Quadratmeter großes Modell des einstigen DDR-Grenzabfertigungssystem, dieses Labyrinths im Bahnhof Friedrichstraße. Gibt denn das doch noch ein wenig nachvollziehbaren Aufschluss über die ja völlig geheimnisvolle Abwicklung der deutsch-deutschen Transitreisen dort?

    Hessenland: Na ja, das ist ein Modell, das ist auch extra angefertigt worden für die Ausstellung, um zu vermitteln, wie labyrinthisch damals die Wegführung war, weil man wusste ja nie, wohin man geht, wo man eigentlich ist, unter der Erde, über der Erde, alles war völlig eingekastelt und überall waren auch noch vielleicht die einen oder anderen Türen, überall standen Grenzposten, die konnten einen abgreifen. Aber da guckt man heute drauf wie auf so ein x-beliebiges Architekturmodell und sieht halt da diese labyrinthische Form und geht weiter. Das Gefühl damals wird heute halt einfach nicht mehr vermittelt. Man hätte ja auch einfach mit Gerüchen arbeiten können, mit dem DDR-Reinigungsmittel, das da zu riechen war, man hätte die Fenster zuhängen können und Projektionen darauf machen können, weil es war auch ein Gefühl des Abgeschlossenseins, ein Gefühl, neben der Zeit zu stehen, ein Gefühl des Ausgeliefertseins. Das gibt es eben jetzt nicht.

    Schossig: Es gibt ja das Mauermahnmal an der Bernauer Straße, es gibt vielleicht auch bald einen Mauerpark, außerdem mehrere privat animierte Erinnerungspunkte, wie etwa "Checkpoint Charly". Was kann denn nun eine weitere Dauerausstellung im Tränenpalast dem Mauergedenken Neues hinzufügen?

    Hessenland: Das habe ich den Ausstellungsdirektor Jürgen Reiche auch gefragt, und er konnte mir da auch keine richtige Antwort geben, weil es ist eben so eine Art Gießkannenausstellung. Es ist für alle etwas, es beschränkt sich ja auch nicht auf das Grenzregime. Es kannibalisiert letztendlich ein Stück weit die anderen Konkurrenzausstellungen im Haus am "Checkpoint Charlie", es gibt sehr viele 17. Juni-Videos oder Wochenschauen, dann die Mauergedenkstätte, da werden ähnliche Informationen verbreitet, oder das Alltagsmuseum der DDR, privat geführt. Da werden eben auch Konsumgegenstände gezeigt und so. Also es ist von allem etwas und eigentlich ist es so etwas wie in klein, was Jürgen Reiche immer will, nämlich eine zentrale DDR-Ausstellung in groß, wo der Berlin-Besucher, der hier herkommt, um den historischen Punkt, oder die historische Entwicklung Berlins zu erfassen, dass der mal komplett versorgt wird. Und dafür ist aber leider diese turnhallengroße Ausstellung des Tränenpalastes einfach zu klein.

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