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Chaos in Großbritannien
"No Deal"-Brexit für Johnson noch immer möglich

Zwei schwere Abstimmungsniederlagen hat sich Großbritanniens Premierminister Boris Johnson im Machtkampf mit dem Parlament bereits eingehandelt: Ein "No Deal"-Brexit scheint nicht mehr möglich, ebenso wenig Neuwahlen. Doch Johnson hätte noch Möglichkeiten, seine Pläne umzusetzen.

Von Friedbert Meurer | 06.09.2019
Der britische Premierminister Boris Johnson vor Downing Street 10
Eine Fristverlängerung des Brexits will Boris Johnson auf keinen Fall beantragen: "Lieber liege ich tot im Graben" (picture alliance / dpa / Wiktor Szymanowicz / NurPhoto)
Der britische Premierminister Boris Johnson will Neuwahlen am 15. Oktober, das scheint sein Masterplan zu sein. Aber die Opposition stellt sich quer. Am Mittwochabend ist der Antrag auf Neuwahlen schon einmal abgelehnt worden. Auch am kommenden Montagabend, wenn wieder abgestimmt werden soll, wird die Opposition voraussichtlich erneut Nein sagen, und fordern, dass es Neuwahlen erst im November stattfinden sollen. Vorher müsste Boris Johnson eine Verschiebung des Brexits bei der EU beantragen. Das wiederum lehnt der Premierminister rundweg ab. "Lieber liege ich tot im Graben", sagte Johnson dazu am Donnerstag. Eine Verschiebung koste eine Milliarde Pfund pro Monat und bewirke überhaupt nichts. Ein ab Montag gültiges Gesetz schließt jedoch einen ungeregelten Brexit aus und zwingt Johnson damit eigentlich dazu, eine Verschiebung zu beantragen.
Welche Handlunsgmöglichkeiten hat Johnson noch?
Der britische Regierungschef hätte noch ein paar Möglichkeiten aus dieser schwierigen Lage herauszukommen. Die erste und einfachste wäre, dass Labour-Chef Jeremy Corbyn nachgibt und doch Neuwahlen am 15. Oktober zustimmt. Im Falle eines Wahlsiegs könnte Johnson dann - ausgestattet mit einer neuen Mehrheit im Unterhaus – die Zustimmung für einen "No Deal" bekommen.
Eine andere Möglichkeit, vorgezogene Neuwahlen zu bekommen – auch ohne die notwenige Zweidrittelmehrheit, wären ein selbst gestellter Misstrauensantrag - oder ein neues Wahlgesetz. In beiden Fällen wäre nur die einfache Mehrheit im Unterhaus notwendig. Doch die hat Johnson inzwischen auch nicht mehr.
Auch ein Rücktritt Johnsons wäre denkbar. Damit würde er Corbyn zwingen, das Amt des Premierministers zu übernehmen und den Antrag auf eine Fristverlängerung in Brüssel zu stellen. In dem Fall könnten dann im November Neuwahlen stattfinden.
Viertes denkbares Szenario: Johnson weigert, sich einen EU-Kommissar zu benennen. Das müsste er tun, wenn Großbritannien in der Europäischen Union bleibt. Dann wäre Brüssel gezwungen, das Land aus der EU auszuschließen.
Gibt es Alternativen zum Backstop?
Die Ankündigung des irische Premierminister Leo Varadkar, im Falle eines ungeregelten Brexits etwas entfernt von der Grenze Kontrollen durchzuführen, kommt überraschend. Bislang lautete der Standpunkt Dublins, selbst bei einem No Deal keine Grenzkontrollen einführen zu wollen. Möglicherweise will Varadkar nun der EU etwas entgegenkommen, die für den Fall eines ungeregelten EU-Austritts Großbritanniens unmissverständlich Grenzkontrollen zu Nordirland eingefordert hat.
Doch jede Art von Kontrollen stellen ein enorm kritisches Szenario dar, gerade vor dem Hintergrund neuerlicher Gewalttaten in Nordirland. Die RIRA, die Wahre Irisch-Republikanische Armee, wird Kontrollen – welcher Art auch immer und wo auch immer – in keinem Fall tatenlos zulassen.
Wann droht die Parlamentspause?
Am kommenden Montag wird es noch eine Sitzung des Unterhauses in London geben, da am Abend noch einmal über mögliche Neuwahlen abgestimmt werden soll. Dann könnte die Suspendierung des Parlaments am Dienstag beginnen.
Nur wenn die Regierung eine der oben erwähnten, anderen Möglichkeiten in Betracht zieht, um doch noch vorgezogene Neuwahlen zu erreichen, könnte es sein, dass die Parlamentarier am Dienstag und Mittwoch noch einmal zusammenkommen müssen. Spätestens ab Donnerstag, den 12. September, gilt dann die Parlamentspause, die bis mindestens 14. Oktober dauern wird.