Seine Schritte wirken beschwingt. Fröhlich bahnt sich Mpumelelo Nktatsha einen Weg durch sein Heimatviertel, das Township Cato Manor in der Nähe der Hafenstadt Durban. Dabei ist auf den ersten Blick kein Grund für diese gute Laune zu erkennen: Am Straßenrand türmt sich der Müll. Ratten huschen durch die engen Gassen zwischen den kleinen Häuschen und Blechhütten. Darüber hängt ein Wirrwarr aus Kabeln, angezapften und ungesicherten Stromleitungen. Das typisch trostlose Bild, das viele Townships in Südafrika bieten. Doch das werde sich bald ändern, sagt der 31-jährige Nkatsha.
"Die Demokratische Allianz hat in diesem Wahlbezirk den ANC als Mehrheitspartei abgelöst. Damit hatte keiner gerechnet. Jetzt warten wir alle darauf, dass sich die Dinge ändern. Wie in vielen anderen Vierteln des Landes leiden wir darunter, dass Geld verschwendet wird. Niemand weiß, wie hoch das Budget ist und wofür es ausgegeben wird. Die neue politische Führung hat mehr Transparenz versprochen. Sie will dafür sorgen, dass das Geld auch bei den Bürgern ankommt. Und ich glaube ihnen."
Nur ein paar Straßen weiter sitzt ein untersetzter Mann in seinem winzigen Wohnzimmer. Seine Frau spült hinter der verschlissenen Couchgarnitur Teller und Töpfe. Von Hoffnung ist hier nichts zu spüren. Nach der Kommunalwahl Anfang August herrscht Katerstimmung. Denn in diesem Nachbarbezirk hat der ANC erneut eine satte Mehrheit errungen. Es gibt zwar einen neuen Gemeinderat, aber nichts weist auf eine Veränderung hin. Im Gegenteil, meint der Familienvater, der seiner Wut lieber anonym Luft macht:
"Bevor der Mann Gemeinderat wurde, hat er in einer dieser Blechhütten gelebt. Er hatte nicht einmal ein richtiges Haus oder ein Auto. Aber jetzt hat er beides. Ohne dass er dafür einen Finger krumm gemacht hat. Er wurde auf den Posten gehoben, weil er ein Freund des alten Gemeinderats ist. So läuft das hier. Nach ein paar Wochen im Amt ist er schon genauso arrogant wie sein Vorgänger. Er weiß, dass er einfach in seinem Büro sitzen und nichts tun muss. Er wird trotzdem reich entlohnt. Solche Leute sind unser Problem. Wir hätten uns für jemand anders entscheiden sollen."
Zumas Weg säumen Skandale
Das Gleiche trifft aus Sicht vieler Südafrikaner auch auf den Mann zu, der das höchste Amt im Land bekleidet - auf Staatspräsident Jacob Zuma. Zahlreiche Skandale säumen seinen politischen Aufstieg. Angefangen von einer mehr als 700 Punkte umfassenden Korruptionsanklage vor seinem Amtsantritt, über den millionenschweren Ausbau seiner Privatresidenz auf Kosten der Steuerzahler bis hin zur überraschenden Entlassung des angesehenen Finanzministers, die im vergangenen Dezember zum freien Fall der südafrikanischen Währung geführt hat. Ein Schock, von dem sich die Wirtschaft bis heute nicht erholt hat.
Am Straßenrand lächelt Zumas Konterfei von einem windschiefen Wahlplakat. Aber in vielen Teilen Südafrikas herrscht Chaos, für das er und sein ANC Verantwortung tragen: baufällige Häuser, mangelhafte Strom- und Wasserversorgung, Kriminalität, Armut und Arbeitslosigkeit. Proteste gegen diese Zustände sind an der Tagesordnung. Selbst auf langjährige ANC-Mitglieder wie Pam Taylor wirkt Zumas mildes Lächeln deshalb wie ein Hohn. Der Propaganda ihrer Partei, die als Grund für die verheerenden Lebensumstände gebetsmühlenartig die Apartheid anführt, glaubt sie nicht mehr.
"Die Parteiführung sollte sich mal damit auseinandersetzen, wie es uns hier geht. Stattdessen machen sie lauter leere Versprechungen - nur um zu bekommen, was sie wollen: unsere Stimme. Sie benutzen uns als Leiter, um aufzusteigen. Arbeiter kämpfen für höhere Löhne. Es sind bescheidene Forderungen, wenn man sich ansieht, was Zuma verdient. Aber er ignoriert sie. Die Wirtschaft des Landes liegt in seinen Händen, aber er fügt ihr Schaden zu. Er baut sich selbst einen Palast, während die Menschen drum herum in Armut leben. Das alles belastet mich sehr. Es schadet unserer Partei, und für die Opposition ist das natürlich ein gefundenes Fressen."
Stimmenanteil des ANC schrumpft
Oppositionsparteien, allen voran die Demokratische Allianz, haben bei den Kommunalwahlen vor allem in den Großstädten mehr Stimmen gewonnen als der ANC. Nach Kapstadt nun auch in der Wirtschaftsmetropole Johannesburg, der Hauptstadt Pretoria und der historischen ANC-Hochburg Port Elizabeth. Dunkelhäutige Wähler aus der Mittelschicht - Bürger, die Präsident Jacob Zuma abschätzig als "clever blacks" bezeichnet - wenden sich zunehmend vom ANC ab. Ebenso wie junge Südafrikaner, die die Apartheid nicht mehr miterlebt haben, so wie Sandile Khwela. Er hat studiert, aber keinen Job. Ohne Beziehungen habe man nirgendwo eine Chance, sagt er aufgebracht:
"Die Menschen haben wirklich die Nase voll vom ANC. Aber trotzdem gibt es immer noch diese blinde Loyalität der älteren Generation. Sie haben das Gefühl, dass sie ihre Vorfahren verraten, wenn sie eine andere Partei wählen. Ihre Geschichte ist mit dem ANC eng verwoben. Aber sie vergessen dabei etwas: Erstens hat nicht der ANC allein für unsere Freiheit gekämpft. Und zweitens kann man in einer Demokratie wählen, wen man will. Da gibt es keine Verpflichtungen."
So denken offenbar immer mehr Südafrikaner: Landesweit ist der Stimmenanteil des ANC von knapp 63 auf rund 54 Prozent geschrumpft. Dass der Schwund nicht größer ist, verdankt die Partei vor allem treuen Wählern auf dem Land. Die Dominanz der ehemaligen Befreiungsbewegung aber ist gebrochen.
Zwei Lager innerhalb der Partei
Vorbei sind die glorreichen Tage der Befreiungsbewegung unter Nelson Mandela. Die hehren Grundwerte, für die er jahrzehntelang im Gefängnis saß, sind augenscheinlich vergessen. Mahnende Stimmen von Wegbegleitern Mandelas, von ehemaligen Freiheitskämpfern, werden von der Führung weitgehend ignoriert. Ebenso wie Proteste der Parteibasis und Kritik von den Bündnispartnern aus Kommunistischer Partei und dem Gewerkschaftsbund COSATU. Mehrmals schon haben sich Splittergruppen aus Frust und Wut vom ANC gelöst. Das bekannteste Beispiel ist der Parteigründer der "Economic Freedom Fighters", Julius Malema. Als Präsident der ANC-Jugendliga hatte er noch getönt, er würde für Zuma töten. Heute gehört er zu den ärgsten Widersachern des Präsidenten und wirbt vor allem junge Wähler ab. Doch nicht jeder sieht den Weg im Parteiaustritt: Innerhalb des ANC nehmen die Flügelkämpfe nach den Verlusten bei der Wahl zu. Dabei stünden sich vor allem zwei Lager gegenüber, erklärt Politikwissenschaftler Prince Mashele:
"Die Anhänger Zumas sind in erster Linie Diebe. Leute, die öffentliche Kassen plündern, sobald sich dazu eine Möglichkeit bietet. Was sie so mächtig macht und zusammenschweißt, ist Patronage. Sie wissen, dass sie mit Zuma untergehen würden, also halten sie ihn an der Macht. Das ist der eine Flügel. Zum anderen gehören Vizepräsident Cyril Ramaphosa und Generalsekretär Gwede Mantashe. Ich nenne sie die Vernunft-Gesteuerten. Sie wissen, wie wichtig die öffentliche Meinung ist, und sie sorgen sich um den ANC. Gern würden sie die Partei wieder zum alten Ruhm verhelfen. Doch dieser Flügel ist furchtbar schwach."
Die Machtbasis dieses reformorientierten Flügels ist die Provinz Gauteng – rund um Johannesburg und Pretoria – dort wo der ANC bei der Wahl am meisten Federn lassen musste.
Demokratie verkommt zur Kleptokratie
Viele innerparteiliche Gegner hat Zuma in seiner siebenjährigen Amtszeit aufs politische Abstellgleis manövriert, als Konterrevolutionäre gebrandmarkt und durch treue Marionetten ersetzt. Die hart erkämpfte Demokratie in Südafrika verkommt unter Zuma zu einer Kleptokratie. Sein korruptes Machtgeflecht habe inzwischen bedrohliche Ausmaße angenommen, stellt David Lewis fest, der Direktor der zivilgesellschaftlichen Anti-Korruptions-Organisation "Corruption Watch".
"Die beste und klarste Art Korruption zu messen, ist ihre Wirkung auf Schlüssel-Institutionen des Staates. Unter der Zuma-Administration sind es das Parlament inklusive der parlamentarischen Komitees und des Büros der Parlamentspräsidentin. Außerdem die Strafverfolgungsbehörden, die in einem furchtbaren Zustand sind. Und natürlich das Kabinett sowie der ANC selbst – die Führungsspitze ebenso wie die Frauen- und Jugendliga. Es geht nicht mehr darum, für eine effektive Strafverfolgung zu sorgen, die politische Exekutive zu kontrollieren oder einfach seinen Job als Minister zu machen. Im Mittelpunkt stehen die Abhängigkeit vom Präsidenten und dessen Schutz."
Noch gibt es einige standhafte Persönlichkeiten wie die Obfrau Thuli Madonsela. Derzeit untersucht sie den Einfluss der Gupta-Brüder auf die Regierung – Großunternehmer, die wegen ihrer Freundschaft zum Präsidenten reich geworden sind und sogar über die Besetzung von Ministerposten mitbestimmt haben sollen. Einschüchterungsversuche bis hin zu Morddrohungen haben die mutige Juristin auch nicht daran gehindert, Zuma im Korruptionsskandal um den Ausbau der Privatresidenz zur Rechenschaft zu ziehen. Als er ihre Forderung, einen Teil des Steuergeldes zurückzuzahlen einfach ignorierte, landete der Fall vor dem Verfassungsgericht. Das Urteil war eindeutig.
"The president thus failed to uphold, defend and respect the constitution as the supreme law of the land.”
Von Rücktritt Zumas keine Rede
Der Präsident hat die Verfassung missachtet und damit seinen Amtseid gebrochen. Einen Tag später wandte sich Zuma in einer Fernsehrede an die Nation - mit einer schalen Entschuldigung. Er habe es nicht besser gewusst und nicht absichtlich gegen die Verfassung verstoßen. Mittlerweile hat er die geforderte Summe zurückgezahlt. Doch von Rücktritt keine Rede. Ganz nach seiner Devise – ignorieren, abstreiten, aussitzen. Mit der Parlamentsmehrheit seiner ANC-Abgeordneten im Rücken können ihn Impeachment-Anträge und Vertrauensfragen weiter kalt lassen.
Es wirkt wie der Kampf von David gegen Goliath, wenn Abgeordnete der Opposition nun bei jeder Gelegenheit hervorheben, dass sie Zuma nicht mehr als Staatsoberhaupt anerkennen. Tumultartige Szenen im Hohen Haus sind mittlerweile fast normal geworden. Doch selbst die lauteste Kritik prallt am ANC ab. Und Zuma beklagt, er werde im Parlament jedes Mal verbal misshandelt.
"Each time when I come here I am abused. By members of parliament. Because instead of answering questions I sit here being called a criminal, a thief.”
Statt Fragen zu beantworten, werde er als Krimineller und Dieb bezeichnet, sagte Zuma kürzlich im Parlament. Wenn es dann um konkrete Fragen geht, wie um seinem Neun-Punkte-Plan zur Ankurbelung der kriselnden Wirtschaft, bleibt er Antworten schuldig.
Der Plan sei ja bekannt, so Zuma lapidar. Unter anderem gehe es um die Landwirtschaft und viele andere Bereiche. Offenbar hat er die neun Punkte nicht ad hoc parat. Für die aufgebrachten Zwischenrufe hat er nur sein mittlerweile berüchtigtes glucksendes Kichern übrig.
Südafrika leidet unter Wirtschaftskrise
Südafrika leidet nicht nur unter Korruption und Vetternwirtschaft, sondern vor allem unter der Wirtschaftskrise. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei über 26 Prozent; da die Statistik jedoch nur aktive Jobsuchende umfasst, sind es wohl eher 40 Prozent. Eine Rezession droht ebenso wie eine Herabstufung Südafrikas auf Ramsch-Niveau durch die Ratingagenturen. Entscheidend wird sein, wie der Konflikt zwischen Zuma und Finanzminister Pravin Gordhan ausgeht. Nachdem Zuma mit seinem Vorstoß gescheitert ist, das Ressort mit einem linientreuen Hinterbänkler zu besetzen, eskaliert der Machtkampf. Wegen angeblicher Korruptionsvorwürfe sollte Gordhan zwischenzeitlich sogar festgenommen werden. Absurder könne es kaum werden, meint David Lewis von "Corruption Watch".
"Das ist ein plumper Einschüchterungsversuch. Der Präsident und seine Spießgesellen hoffen, dass Gordhan das Handtuch wirft. Aber da kennen sie ihn schlecht. Sie versuchen die Kontrolle über das Finanzministerium zu gewinnen und damit auch über die Steuerbehörde und die Zentralbank. Das sind Schlüsselinstitutionen, wenn man an Korruption in ganz großem Stil interessiert ist."
Zuma versucht außerdem, die Staatskonzerne noch stärker zu kontrollieren. Es geht um Milliardengeschäfte, zum Beispiel den Bau mehrerer Atomkraftwerke, über den schon vor der Ausschreibung Korruptionsgerüchte kursieren. Zuma soll nun den Vorsitz eines neuen Koordinations-Komitees übernehmen. Eine Ankündigung, die Alarmglocken schrillen lässt. Die für Südafrika wichtige Fondsgesellschaft "Futuregrowth Asset Management" hat daraufhin neue Kredite für mehrere Staatsunternehmen eingefroren. Als Grund nannte sie die Sorge um die Unabhängigkeit des Finanzministeriums sowie die ineffiziente und riskante Führung der Konzerne unter Zumas Regierung.
Stimmung schwankt zwischen Verzweiflung und Hoffnung
Südafrika hängt quasi in einer Warteschleife fest. Zuma und die ANC-Regierungsmehrheit sind demokratisch gewählt worden. Eine kurzfristige Kurskorrektur muss von der Regierungspartei selbst ausgehen. Innerhalb des ANC gibt es Forderungen, den für Dezember 2017 geplanten Wahlparteitag vorzuziehen.
Im Township Cato Manor schwankt die Stimmung zwischen Verzweiflung und Hoffnung. Bepackt mit einer großen Tasche steigt die alleinerziehende Mutter Pam Taylor aus einem überfüllten Minibustaxi. Sie war auf dem Markt. Dort verkauft sie selbstgemachte Geschenkkartons und Eingemachtes, um über die Runden zu kommen. Sie ist enttäuscht: Hilfe von ihrer Partei, dem ANC, ist auch in Zukunft nicht zu erwarten.
"Ich bin in einer ANC-Familie geboren worden. In den frühen 80ern haben wir alles für die Befreiungsbewegung getan, einige sind sogar für den ANC gestorben. Gedankt wird uns das bis heute nicht. Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, für eine andere Partei zu stimmen. Dann lasse ich es lieber ganz sein."
Die Demokratie am Kap wird erwachsen
Ein paar Straßen weiter ist auch Mpumelelo Nkatsha auf dem Nachhauseweg. Wieder mit deutlich beschwingtem Schritt. Er habe gerade mit dem neuen Gemeinderat von der Demokratischen Allianz gesprochen, erzählt er. Der arbeite zwar noch draußen vor seinem Büro, weil sein ANC-Vorgänger sich weigere, den Schlüssel zu übergeben. Aber immerhin – er sei da, das sei auch nicht selbstverständlich.
"Die Leute erwarten, dass sich die Dinge jetzt ändern. Wenn das passiert, werden sie diese Partei wieder wählen. Langsam verstehen wir, wie die Demokratie funktioniert: Meine Eltern waren beide im ANC. Aber darum geht es nicht mehr. Auch nicht um die Hautfarbe. Man wählt den, von dem man sich die gewünschten Veränderungen verspricht. Für mich ist das ein Zeichen wahrer Freiheit."
22 Jahre nach den ersten demokratischen Wahlen wird die Demokratie am Kap erwachsen. Der ANC muss sich ändern, um für mündige Bürger noch attraktiv zu sein. Erfolge in der Vergangenheit und leere Versprechen reichen nicht mehr. Und die politische Konkurrenz brennt nur so darauf, es besser zu machen.