Ärger bei der Vuelta
"Nur Bauern im Sportgeschäft"

Die Spanienrundfahrt sendet schrille Signale aus. Sie wird zum Schlachtfeld für katalanische Separatisten. Aber auch organisatorische Pannen sorgen für Unmut. Radprofis fühlen sich als kleine Schachfiguren auf dem großen Sportentertainmentfeld.

Von Tom Mustroph |
Remco Evenepoel blutet stark an der rechten Schläfe.
Remco Evenepoel stürzte nach seinem Sieg bei der Vuelta-Etappe nach Andorra in einem kleinen Zielraum. (IMAGO / Belga / IMAGO / JOSEP LAGO)
Nicht nur Radprofis werden derzeit in Spanien bejubelt. Der Beifall gilt auch jenen, die Vuelta-Fahrer massenhaft zu Fall bringen wollten. Vier Personen, die sich der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung zugehörig fühlen, wurden in der ersten Woche der Spanienrundfahrt festgenommen, weil sie planten, 400 Liter Öl auf die Fahrbahn zu kippen. Die Polizei schritt rechtzeitig ein, ganz zur Erleichterung der Fahrer. Remco Evenepoel, der Sieger des Vorjahres:
“Es ist schade, dass solche Dinge passieren. Gut, Stürze gehören zum Radsport. Aber Gegenstände auf der Straße, durch die wir die vielen Platten hatten oder das Öl – so etwas sollte verhindert werden. Gut, dass man diese Leute festgenommen hat." Als die mutmaßlichen Täter dann aber aus der Untersuchungshaft entlassen wurden, empfing sie der Beifall ihrer Unterstützer.

"Wie mit dem Auto mit 200 km/h auf der Autobahn in kompletter Dunkelheit ohne Licht fahren."

Es ist ein verrücktes Umfeld, in dem diese Spanienrundfahrt derzeit stattfindet. Auch die Veranstalter trugen zum Chaos bei. Das Mannschaftszeitfahren zum Auftakt wurde so spät gestartet, dass die letzten Teams im Dunkeln unterwegs waren. Die Straßen waren nass und nicht einmal ausreichend Flutlicht gab es beim Hochgeschwindigkeitsrennen durch Barcelonas Altstadt.
„Schaut, ihr habt jetzt Licht an euren Kameras, das heißt, es ist dunkel. Könnt ihr euch vorstellen, wie es ist, hinter dem Rad eures Vordermannes zu sitzen, das Wasser spritzt euch ins Gesicht, die Sichtweite beträgt gerade einmal einen Meter? Das ist einfach sehr gefährlich, ungefähr so, als würdest du mit dem Auto mit 200 km/h auf der Autobahn in kompletter Dunkelheit ohne Licht fahren."
So schimpfte Titelverteidiger Evenepoel. Und der frühere Tour de France-Sieger Geraint Thomas sah es kaum anders: “Wie es dann ablief, war es verrückt, besonders für die letzten Teams. Sie fuhren in fast völliger Dunkelheit. Und als wir zum Bus zurückfuhren, steckten wir mitten im Verkehr, ohne Licht und ohne alles. Es war nicht ideal.“

"Nur Bauern in diesem Spiel"

Einmal in Rage geredet, beklagte Thomas das schlechte Standing der Fahrer dabei: “Niemand kann das Wetter exakt vorhersehen, da trägt niemand Schuld. Aber ja, man hätte eine Stunde früher starten können. Aber ihr wisst ja, da spielen viele Dinge rein: Fernsehen, Geld und so weiter. Wir sind nur Bauern in diesem Spiel.“
Vuelta-Direktor Javier Guillen verwies nach dem Rennen darauf, dass auch in der Vergangenheit schon Vuelta-Zeitfahren nach Sonnenuntergang ausgetragen wurden. Da gaben die Straßenlaternen aber ausreichend Licht.
Vor der zweiten Etappe protestierten die Fahrer wegen gefährlicher Kurven am Ende der Etappe. Die Etappe wurde zwar nicht verkürzt, aber die Zeitnahme für die Gesamtwertung neun Kilometer vor das Ziel gelegt. Und so übernahm mit Andrea Piccolo ein Fahrer das Rote Trikot des Gesamtführenden, der im Ziel nicht vorne dabei war. Neun Kilometer vorher war er eben noch in einer Ausreißergruppe. Ärgerlicher als solche Kuriositäten empfinden viele Fahrer, dass sie erneut mit ihren Sorgen nur unzureichend Gehör fanden.
“Das Peloton verdient mehr Respekt von den Organisatoren. Aber sie hören nicht auf uns. Wieder ein neuer Tag im Paradies“, meinte Evenepoel mit schwarzem Humor. Andere wie Jonas Vingegaard versuchten ihre Kollegen zum kollektiven langsam fahren zu animieren, um den Forderungen mehr Gehör zu verschaffen. Nach einigen Stürzen auf den regennassen und engen Straßen Kataloniens hob der zweifache Tour de France-Gewinner mehrmals seine Arme. Aber nicht einmal seine Autorität reichte aus für geschlossenes Handeln.

Evenepoel stürzt im kurzen Zielraum

Auch die Fahrergewerkschaft CPA, die eigentlich die Belange der Profis vertreten soll, war im Chaos der ersten Vuelta-Tage kaum zu bemerken. Und so kam es, dass wenig später, als die Emotionen nicht mehr ganz so hoch schlugen, Renndirektor Javier Guillen den Auftakt sogar schon wieder als fantastisches Sportevent verkaufen konnte:
„Gut, wir hatten den einen oder anderen Vorfall. Aber die Etappen, die bisher ausgetragen wurden, fanden auf einem tollen sportlichen Niveau statt. Das Zeitfahren hat ja jeder gesehen, gut, die letzten 15 Minuten waren im Dunkeln, aber es wurde durchgeführt. Die Ankunft in Andorra war hoch emotional. Ja, es war auch kompliziert, aber nun hoffen wir, dass es keine weiteren Vorfälle gibt.“
In Andorra übrigens war es auch deshalb hoch emotional, weil Tagessieger Evenepoel in der zu knapp bemessenen Auslaufzone im Ziel auf eine Polizeisprecherin knallte, sich eine Platzwunde zuzog und einiges an Blut verlor. Vuelta-Chef Guillen pries währenddessen ungerührt im katalanischen Fernsehen den Chaos-Startort Barcelona allein wegen der Begeisterung des Publikums als potentiellen Etappenort für die Tour de France an. Frei nach dem Motto: Hauptsache immer größer, immer mehr, immer spektakulärer.