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"Chaos würde ich das nicht nennen"

Aufwendige Nachrückverfahren, Mehrfachbewerbungen und zum Schluss unbesetzte Studienplätze: Das neue Verfahren zur Vergabe von Studienplätzen erntet viel Kritik. In dieses Horn will Horst Hippler nicht stoßen. Im Gegenteil: Die Hochschulen seien gut gerüstet, sagt der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz.

Manfred Götzke sprach mit Horst Hippler |
    Manfred Götzke: Die Bürokratie an den Hochschulen ist zurzeit nicht zu beneiden. Die Mitarbeiter werden nämlich in den nächsten Wochen ziemlich viel und lange für die Mülltonne arbeiten und Uni-Bewerbungen begutachten, die gar nicht mehr aktuell sind. Bis Sonntag konnten sich die Abiturienten nämlich an den Hochschulen bewerben und das haben sie in der Regel mehrfach gemacht, um ihre Chancen auf einen Studienplatz zu erhöhen. Tja, und weil es noch immer kein System gibt, das alle Hochschulbewerbungen zentral erfasst, weiß keine Uni, welche Studienbewerber überhaupt noch im Spiel sind! Eigentlich sollte dieses Problem schon vor Jahren gelöst sein durch das sogenannte "Dialogorientierte Serviceverfahren", hochschulstart.de. Tja, das funktioniert aber nicht! Ausbaden müssen das alles, wie gesagt, vor allem die Hochschulen, die sich mit aufwendigen Nachrückverfahren und Mehrfachbewerbungen rumplagen. Horst Hippler ist Chef der Hochschulrektorenkonferenz. Herr Hippler, wünschen Sie sich eigentlich manchmal die gute alte Zentralstelle zur Vergabe von Studienplätzen, die ZVS, zurück?

    Horst Hippler: Nein, in keinster Weise. Ich denke, die war nicht zeitgemäß und es wird Zeit, dass wir uns umstellen und dass die Hochschulen selber ihre Studierenden tatsächlich auswählen dürfen.

    Götzke: Das dürfen sie seit einigen Jahren ja schon, das Problem ist ja, dass es zu Mehrfachbewerbungen kommt und das Ganze schon im vergangenen Semester für ein riesiges Chaos gesorgt hat. Droht das jetzt wieder?

    Hippler: Also, Chaos würde ich das nicht nennen. Ich denke mal, wir sind in einer Situation, in der wir uns umstellen. Wir hätten das eigentlich viel eher machen sollen, das ist wohl wahr. Aber ich denke ja auch, das letzte Jahr hat gezeigt, dass es eigentlich doch relativ gut gegangen ist mit dem doppelten Abiturjahrgang, der jetzt auch noch mal auf uns zukommen wird. Ich denke mal, die Hochschulen sind gerüstet. Allerdings tut es ein bisschen weh, aber ich denke mal, wir werden das "Dialogorientierte Serviceverfahren" in einiger Zeit auch tatsächlich auf die Schiene bringen.

    Götzke: Darauf wollen wir gleich noch zu sprechen kommen. Jetzt ist die Situation ja folgende: Die Hochschulen haben Tausende Bewerbungen auf dem Tisch, von denen klar ist, dass sie für Studienbewerber nur ein Notnagel sind, falls es mit dem wirklich favorisierten Studiengang nicht klappt. Wie sollen die Hochschulen damit umgehen?

    Hippler: So wie in den vergangenen Jahren auch, also, die Situation ist ja nicht neu. Ich denke mal, da gibt es Verfahren, die sich bewehrt haben. Was nur nicht sein darf am Schluss, dass Studienplätze frei bleiben.

    Götzke: Das war ja im letzten Jahr der Fall, 13.000 Studienplätze sind frei geblieben. Wird das dieses Jahr wieder so sein?

    Hippler: Also, ich halte die Zahl für nicht sehr groß, wenn man deutschlandweit schaut. Allerdings ist es schade, wenn es dann tatsächlich passiert. Nachrückverfahren sind ja da und die Frage, warum diese Plätze nicht voll sind und was man hätte tun können dagegen, ist ja nicht geklärt.

    Götzke: Die Kultusministerkonferenz sagt in einem Gutachten, das Einschreibechaos oder auch –nichtchaos durch Mehrfachbewerbungen dürfte zur erheblichen Beeinträchtigung des Lehrbetriebs im ersten Semester führen. Sehen Sie das auch so?

    Hippler: Überhaupt nicht! Weil der Lehrbetrieb hat eigentlich mit den Einschreibungen nicht so sehr zu tun, was sollte er damit zu tun haben?

    Götzke: Na ja, es gibt ja Nachrückverfahren und manche Studierende kommen dann erst im dritten oder vierten Monat an die Hochschulen, wo schon einige Klausuren geschrieben worden sind.

    Hippler: Ja, das ist ein gewisses Problem, aber das gab es sonst auch. Und ich denke mal, wichtig ist überhaupt, dass ein Studienplatz da ist und dass man sich im ersten Semester dann einstellen kann auf das, was auch eine Universität einem bietet. Da hat man sowieso eine große Umstellphase.

    Götzke: Das heißt, im ersten Semester orientiert man sich nur?

    Hippler: Da muss man sich orientieren. Da muss man auch lernen zu arbeiten, da ist, glaube ich, mit den Leistungsnachweisen es relativ schwierig. Das ist ein echtes Problem, aber die Situation ist im Moment gar nicht zu ändern bei dem großen Andrang.

    Götzke: Derzeit nehmen 17 Hochschulen an dem "Dialogorientierten Serviceverfahren" bei hochschulstart.de teil. Man nennt das Ganze jetzt Pilotphase. Gehen Sie davon aus, dass wir in den nächsten zwei, drei Jahren eine Regelphase erleben werden, dass also die meisten Hochschulen teilnehmen?

    Hippler: Also, ich gehe davon aus, dass sich das in diese Richtung entwickeln wird. Wir sind ja überhaupt froh, dass wir eine solche Pilotphase hinbekommen haben, denn die Systeme waren ja nicht wirklich aufeinander abgestimmt. Das war die Nummer eins. Nummer zwei war, dass das Verfahren so, wie es aufgestellt war, nicht garantierte, dass man bei Doppelstudiengängen, die man für das Lehramt braucht, tatsächlich auch funktioniert. Es ist immer vernünftig, mit einem solchen großen Verfahren in einer Testphase zu beginnen, statt wirklich dann ins Wasser zu springen und dann geht das ganze Schiff unter.

    Götzke: Nun hätte diese Testphase ja eigentlich vor zwei oder drei Jahren schon erfolgen sollen. Es wird an diesem Programm seit fünf, sechs Jahren herumgebastelt. An welcher Stelle wurde am meisten geschlampt bei diesem Projekt?

    Hippler: Es wurde nicht unbedingt geschlampt. Das Problem ist, dass man, glaube ich, unterschätzt hat, dass die Hochschulen völlig unterschiedliche interne Datenverarbeitungssysteme haben, bedingt durch Strukturen, die sie sozusagen irgendwann mal eingeführt haben, aber dann kein Geld hatten, um sie anzupassen an die neueren Versionen. Das ist das große Problem.

    Götzke: Hat man das denn vorher nicht mal gecheckt? Also, eigentlich hätten sich ja die ITler der jeweiligen Hochschulen mit der Zentrale, mit diesem Zentralsystem vorher mal besprechen müssen?

    Hippler: ITler der einzelnen Hochschulen gibt es nicht wirklich, weil dafür auch kein Geld vorhanden war. Aber wir sind auf einem sehr, sehr guten Weg und ich glaube, der Wille ist da, das zu schaffen. Es ist ein Riesenproblem in diesem Datenwust und diesen internen Datensystemen der verschiedenen Hochschulen, das ist ja nicht nur eine, das sind viele, die zusammenzubringen. Und ich denke, das wird noch ein bisschen dauern, aber ...

    Götzke: ... wie lange? Bis 2017, 2018?

    Hippler: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich denke, es wird mit Hochdruck daran gearbeitet, wir sind zuversichtlich, dass wir sozusagen im nächsten Jahr oder im übernächsten Jahr das Problem gelöst haben. Aber es ist wirklich keine Trivialität!

    Götzke: Herr Hippler, Sie wollen nicht nur, dass der Bewerbungsweg für die Hochschulen, für den Hochschulzugang verändert wird, sondern auch die Bedingungen. Sie sagen, die Abiturnote dürfte in Zukunft allein nicht mehr ausreichen als Hochschulzulassungsbedingung. Warum?

    Hippler: Also, ich denke mal, die Abiturnote und das Abitur an sich ist sozusagen eine notwendige Voraussetzung, aber nicht für alle Studiengänge tatsächlich hinreichend, weil es natürlich Fächer gibt und Studiengänge gibt, die man an der Schule gar nicht kennt und gar nicht kennenlernt.

    Götzke: Was wäre denn dann eine hinreichende Zulassungsbedingung?

    Hippler: Man muss, glaube ich, dazu übergehen, dass die Studierenden sich eigentlich selbst überprüfen, ob sie für dieses Fach sozusagen studierfähig sind. Das kann man über ein Self-Assessment machen, in einigen Studiengängen wird das offen angeboten, und wenn die Nachfrage riesengroß ist, müssen die Universitäten sozusagen ein Assessment selbst entwickeln. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass wir nicht nur Studierende von deutschen Gymnasien bei uns zulassen, sondern eben auch international zulassen, von den gesamten EU-Ländern oder weltweit Studierende zulassen. Und die müssen eigentlich alle vergleichbare Voraussetzungen erfüllen und da wird mir, glaube ich, jeder zustimmen, dass sozusagen die Zeugnisse, die Abschlusszeugnisse der Gymnasien nicht wirklich vergleichbar sind.

    Götzke: Horst Hippler, Chef der Hochschulrektorenkonferenz, sieht den Lehrbetrieb nicht wirklich in Gefahr, obwohl es noch immer kein zentrales Bewerbungsverfahren gibt. Vielen Dank!

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