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Charles Gounod: Die 2 Sinfonien

Heute mit Ludwig Rink am Mikrofon und mit Sinfonien von Charles Gounod, gespielt von der Academy of St. Martin in the Fields unter Leitung von Neville Marriner. Beim Namen Charles Gounod fällt dem Musikliebhaber gleich das berühmt-berüchtigte "Ave Maria" ein, bei dem der französische Komponist zu einem Klavier-Präludium seines deutschen Kollegen Bach eine neue Melodie hinzuerfand, der er dann die Worte des "Ave Maria" unterlegte - ein Erfolgsstück bis heute, ein Bestseller, rührselig und sentimental wie es ist ein immer wieder gern gesehener Gast in Wunschkonzerten und volkstümlichen Hitparaden. Gounods Ruf in Komponisten- und Kritikerkreisen hat durch dieses kleine Stückchen eher gelitten, und doch zeigt sich auch hier sein spezielles Talent, das nachfolgende Komponisten wie Fauré, Debussy, Ravel oder auch Strawinsky bewunderten: Gounod gilt vor allem als ein großer Erfinder von Melodien. Kein Wunder also, daß die Oper seine Domäne war, und dort ist es allen voran sein "Faust", der bis heute in den Spielplänen auftaucht, in Deutschland allerdings, um die Distanz zu Goethes Original zu betonen, meist unter dem Namen "Margarethe". Ins Gebiet der Sinfonik hat Gounod nur zweimal einen Ausflug gemacht mit frischer, ausgesprochen lebendiger Musik wie der folgende Eröffnungssatz der ersten Sinfonie sie bietet, einer Musik jedoch, die erstaunlicherweise nie einen festen Platz im internationalen Konzertrepertoire erhielt. * Musikbeispiel: Charles Gounod: Sinfonie Nr. 1 D-dur, 1. Satz: Allegro molto 1818 geboren, war Gounod ein etwas älterer Zeitgenosse von großen Sinfonikern wie Bruckner und Brahms. Doch in Frankreich stand anderes im Mittelpunkt des musikalischen Interesses, vor allem natürlich die Oper. In der Mitte des Jahrhunderts startete Jules-Étienne Pasdeloup mit der Gründung einer "Société des jeunes artistes" den Versuch, auch der reinen Orchestermusik ein Forum zu verschaffen. Hierfür entstanden 1854 und 55 die beiden einzigen Sinfonien im Werkkatalog Gounods. Von der Anlage her ähnelt die erste am ehesten einer Haydn-Sinfonie; vor allem der eben gehörte Einleitungssatz und das gleich folgende Scherzo erinnern in ihrer Art der Themenaufstellung und Themen-Verarbeitung, in Instrumentation und in ihrem natürlich und leicht daherkommenden Tonfall an das klassische Wiener Vorbild. Vom schmerzhaften Ringen um eine eigenständige Auseinandersetzung mit der Form, das bei Brahms Jahre dauerte, oder vom dunklen Ernst und der manchmal bedrohlichen Monumentalität einer Bruckner-Sinfonie ist hier jedenfalls nichts zu spüren. * Musikbeispiel: Charles Gounod: Sinfonie Nr. 1 D-dur, 3. Satz: Scherzo Die überaus positive Aufnahme dieser 1. Sinfonie führte dazu, daß Gounod noch im selben Jahr eine zweite komponierte: diesmal war Beethoven der Pate, vor allem im ersten Satz, wo wir rasche dynamische Wechsel, zahlreiche überraschende Akzente, eine stärkere selbständige Führung der Bläserstimmen, einen deutlich vergrößerten Durchführungsteil und eine kunstvolle Coda erleben, bei der beide Hauptthemen miteinander kombiniert werden. Die Academy of St. Martin in the Fields musiziert auch hier mit großer Selbstverständlichkeit, Präzision, angemessenen Zeitmaßen, natürlich wirkender Phrasierung und musikalisch beseeltem Klang. Da diese Philips-Produktion im übrigen im Augenblick die einzige Möglichkeit ist, Gounods kurzen Ausflug ins Land der Sinfonie auf CD kennenzulernen, kann man sie rundheraus empfehlen. Hier also der erste "beethovensche" Satz der Sinfonie Nr. 2 Es-dur von Charles Gounod in der Neuaufnahme durch die Academy of St. Martin in the Fields unter der Leitung von Neville Marriner. * Musikbeispiel: Charles Gounod: Sinfonie Nr. 2 Es-dur, 1. Satz Die Neue Platte - heute mit der Academy of St. Martin in the Fields unter der Leitung von Neville Marriner. Sie hörten Ausschnitte aus den beiden neuaufgenommenen Sinfonien von Charles Gounod. Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen Ludwig Rink.

Ludwig Rink | 15.11.1998