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Charles White-Retrospektive im MoMA
Afro-Amerikaner als Helden

Der Maler Charles White stellte sein Werk in den Dienst der Bürgerrechtsbewegung. Das Museum of Modern Art in New York würdigt den afro-amerikanischen Künstler mit einer Retrospektive anlässlich seines 100. Geburtstags. Eine Schau mit besten Absichten, aber zweifelhaftem Erfolg.

Von Sacha Verna |
    Der Eingang zum MoMa - Museum of Modern Art - in New York City.
    Der Eingang zum MoMA - Museum of Modern Art - in New York City (imago/Levine-Roberts)
    Fäuste so groß wie Abrissbirnen, Arme wie Ambosse und Brustkästen wie Panzerschränke. Die Frauen sind weicher, runder, der Ausdruck in ihren Gesichtern ist jedoch genauso entschlossen wie jener der Männer. Das Wandgemälde, das die Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art eröffnet, stammt aus dem Jahr 1939. Auf vier mal eineinhalb Metern zeigt Charles White neben Ikonen der afro-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung eine Volksmenge, die bereit ist, für das zu kämpfen, was man ihr vorenthält – nämlich Recht und Würde.
    Für "Bilder der Würde", die "Images of Dignity", ist der 1978 verstorbene Künstler bis heute bekannt. Gemeint seien damit vollkommen ausgeführte, respektvolle Darstellungen von Afro-Amerikanern, sagt Kuratorin Esther Adler. Charles White, 1918 in Chicago geboren, hatte ein Ziel: Er wollte die Welt verbesssern. Und das bedeutete eine Welt, in der Schwarze und Weiße gleichgestellt sind. Die Kunst betrachtete er als Teil seines Aktivismus.
    "Er glaubte daran, dass Kunst das Leben der Menschen verändern kann. Dass Kunst unsere Art zu denken verändert und uns hilft, einander zu verstehen. Dieses Ziel hatte er bei all seinen Bildern im Sinn."
    Schwarze nie als Opfer dargestellt
    White malte Arbeiter, Kinder und Kartenspieler. Er zeichnete Protestierende und Prominente wie Harry Belafonte, mit dem er befreundet war. Seine Protagonisten sind allesamt schwarz. Aber kein einziger wird als Opfer dargestellt. Im Gegenteil: Diese Afro-Amerikaner sind die Helden der Bildergeschichten, die White erzählt.
    Die New Yorker Ausstellung ist chronologisch organisiert. So lässt sich verfolgen, wie der expressionistische Einschlag der frühen Werke einem geschliffenen Realismus weicht. Daran hielt White fest, unbeirrt vom Abstrakten Expressionismus, der Popart und anderen Kunstströmungen seiner Zeit. Bei ihm triumphiert der Inhalt über Form und Originalität.
    Kollegen und Kritiker schätzten ihn trotzdem oder gerade deshalb. Er spielte als Lehrer eine wichtige Rolle, zuletzt am Otis Arts Institute in Los Angeles, wo er eine ganze Reihe von gefeierten Gegenwartskünstlern unterrichtete, darunter Kerry James Marshall und David Hammons.
    Vieles mit Symbolen überfrachtet
    In späteren Jahren nehmen Whites Werke mehr und mehr allegorische Züge an. Da ist eine Figur vor weißem Hintergrund in einen zeltartigen Umhang gehüllt, über ihr das Wort Mississippi und darüber der Abdruck einer blutroten Hand - eine Erinnerung an die ermordeten Bürgerrechtsaktivisten, nicht nur in Mississippi, sondern überall in den Vereinigten Staaten.
    Nicht alle der Arbeiten in dieser Ausstellung sind über Ethnokitsch erhaben. Viele sind derart symbolüberfrachtet, dass man an ihrer Stelle stöhnen möchte. Tatsächlich wird man den Eindruck nicht los, dass das Museum of Modern Art mit dieser Ausstellung in erster Linie die eigenen guten Absichten beweisen will.
    "Mehr Diversität!" lautet das Gebot der Stunde. Doch nur weil Charles White einer Minderheit angehörte und sich mit seinem Werk politisch engagierte, war er kein bahnbrechender Künstler. Indem man ihm einen Auftritt verschafft, der eher enttäuscht als überzeugt, tut man niemandem einen Gefallen. Das Umschreiben der Kunstgeschichte hat gerade erst begonnen. Mit der Auswahl der Einträge hapert es noch.