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Charlie Hebdo
Nach dem Schock die Veränderung

Auch wenn das Attentat auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo mehr als vier Monate her ist, sind die Auswirkungen noch zu spüren. Die Redaktionsmitglieder stehen weiter unter Polizeischutz, die Eigentümerstruktur soll verändert werden – und auch das Selbstverständnis der Redakteure und Zeichner ist nun ein anderes.

Von Ursula Welter |
    Das Titelbild des neuen "Charlie Hebdo"-Heftes
    Das Blatt will provokativ bleiben, so das Versprechen. (Ian Langsdon, dpa picture-alliance)
    Die überlebenden Redaktionsmitglieder von Charlie Hebdo stehen noch unter Polizeischutz. Der damals verletzte Zeichner Laurent Sourrisseau, genannt Riss, leitet heute die Redaktion. Das Trauma scheint noch nicht verarbeitet zu sein und seine Mitarbeiter sind zerstritten. Die Kolumnistin El Rhazoui sollte entlassen werden, man beließ es nach ihrem öffentlichen Protest jedoch bei einer Ermahnung.
    Mit 14 anderen hatte El Rhazoui außerdem im März in "Le Monde" Kritik an der neuen Leitung geübt. Das selbst ernannte "Redaktionskollektiv" forderte, aus der Satirezeitung soll eine solidarische Kooperative werden, das Blatt allen Mitarbeitern zu gleichen Teilen gehören.
    "Ich finde das ein wenig übertrieben." Sagte "Riss" im Sender"Europe 1" über die Debatte, die die Kritik seiner Kollegen ausgelöst hatte und kündigte an, dass über die Strukturen im Herbst entschieden werde, wenn die Emotionen sich gelegt hätten.
    Aber das "Redaktionskollektiv" hatte der neuen Direktion intransparente Pläne auch mit Blick auf die Spendengelder unterstellt und vom "Gift der Millionen" gesprochen.
    "Wir haben die Zahlen genannt." Verteidigte sich "Riss". "Es gibt da keine Geheimnisse."
    Er besitzt, wie die Erben des getöteten Direktors Charb, 40 Prozent Anteile; 20 Prozent gehören Finanzdirektor Portheault.
    Vor dem Attentat war die Zeitung finanziell angeschlagen, wenn auch hoch geachtet als Satireblatt in der Tradition der französischen Aufklärung und als Redaktion mit herausragenden Federn. Wie Wolinski, Charb oder Tignous.
    Die große Solidaritätswelle im Januar brachte 4,3 Millionen Euro Spendengelder ein. Der Vorsteuergewinn liegt derzeit bei 12 Millionen Euro, nachdem die erste Auflage nach den Attentaten mit acht Millionen Exemplaren weltweit verkauft worden war und die Abonnentenzahl auf 270.000 stieg. Zwar schaffte es die jüngste Ausgabe von "Charlie Hebdo" an den Kiosken auf nur noch 170.000 verkaufte Exemplare, das ist aber immer noch ein Vielfaches der früheren Verkaufszahlen und immer noch kaufen viele Franzosen das Blatt aus Gründen der Solidarität.
    Er habe von Beginn an mit dem Kulturministerium kooperiert, schildert Riss die Lage nach den Attentaten. Finanz- und Justizministerium suchten derzeit nach einer "Treuhandkonstruktion", "eine Jury soll dann die Spendengelder an die Opferfamilien übergeben "und danach betrifft uns das Geld nicht mehr."
    Das Blatt werde provokativ bleiben, verspricht er, die Satire-Linie beizubehalten.
    "Sonst wäre es nicht mehr Charlie."
    "Meine Aufgabe ist jetzt, neue Zeichner zu finden, eine neue Generation heranzuziehen, so wie damals, 1992, als LUZ und ich zur Zeitung kamen."
    Und nun verlässt auch Renald Luzier, LUZ, das Blatt. Der 7. Januar ist sein Geburtstag, er war zu spät zur Redaktionskonferenz gekommen, hatte nur deshalb überlebt. Das Titelblatt der ersten Ausgabe nach den Attentaten, Mohammed mit versöhnlicher Geste, stammte aus seiner Feder. Wie viele seiner Kollegen, hat auch LUZ die Ereignisse noch nicht verarbeitet, steckt mitten drin in diesem Prozess:
    "Danach habe ich gedacht, vielleicht hätten wir uns für die erste Ausgabe mehr Zeit lassen sollen?"
    LUZ gab der Internet-Plattform "Mediapart" in dieser Woche ein langes Interview. Zuvor hatte er öffentlich gemacht, dass er "Charlie Hebdo" im Herbst verlassen werde. "Eine persönliche, eine seit Langem gereifte Entscheidung", sagt LUZ, der im März die Forderung nach neuen Besitzverhältnissen mit unterschrieben hatte.
    Im Kern geht es dem Zeichner aber nicht um Redaktionsstrukturen oder die Verwendung von Spendengeldern.
    "Was bei Charlie recht seltsam ist, kaum noch jemand identifiziert sich wirklich noch als Künstler. Das ist schade. Und dann hat man uns unsere Identität zusätzlich gestohlen, in dem man uns 'Karikaturisten' nennt. Was ist das ?"
    Der öffentliche Trubel, auch der unreflektierte Umgang mit seiner Arbeit, belastet LUZ - zusätzlich zur traumatischen Erfahrung.
    "Ah, die Leute sagen, Sie sind der Karikaturist der Mohamed- und Sarkozy macht, die haben nie die Zeitung gelesen, wir machen Reportagen, Illustrationen."
    LUZ hat, um die Attentate, die psychischen Folgen, aufzuarbeiten und als Zeichner wieder zu sich selbst zu finden, in dieser Woche einen Zeichenband mit dem Titel "Catharsis" herausgebracht, eine Art therapeutisches Tagebuch aus dem "Innenleben seiner Gefühle", wie der Zeichner selbst sagt.