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Charlie Hebdo
Persönliche Erinnerung an die ermordeten Freunde

Patrick Pelloux war nur zufällig nicht in der Redaktion des französischen Satiremagazins "Charlie Hebdo", als dort im Januar viele seiner Kollegen ermordet wurden. In seinem Buch erinnert er sehr persönlich an seine Freunde.

Von Ursula Welter |
    Die erste Ausgabe von "Charlie Hebdo" nach dem Anschlag zeigt eine Karikatur Mohammeds auf dem Titel
    Die erste Ausgabe von "Charlie Hebdo" nach dem Anschlag zeigt eine Karikatur Mohammeds auf dem Titel (imago stock&people)
    Dieses Buch zu schreiben, war schrecklich, ein Horror. Patrick Pelloux sitzt in einem Café im Vergnügungsviertel Pigalle. Die Polizisten, die ihn schützen, sind nicht zu sehen. Die Entscheidung für das Buch fiel am 21. August, dem Geburtstag des ermordeten Karikaturisten "Charb", dem Tag, als im Thalys Amsterdam-Paris beinahe ein weiteres Attentat verübt worden wäre, wenn nicht einige Passagiere beherzt eingegriffen hätten.
    "Ich fühlte mich unbehaglich beim Gedanken, bei Charlie Hebdo weiterzumachen, denn es war etwas zerbrochen. Ich litt körperlich. Und dann das vereitelte Thalys-Attentat, die Amerikaner, der Engländer, die sich erhoben und dem Nazi-Dschihadisten auf die Schnauze hauten. Da dachte ich, darin steckt Hoffnung."
    Pelloux leidet unter den Folgen
    Der Titel "Toujours là, toujours prêt" ist doppeldeutig. Aus Sicht des Notarztes hieße er: "Stets da, stets bereit". Aber aus Sicht des Überlebenden der Redaktion von Charlie Hebdo handelt der Titel von einem, der "immer noch da ist". Und der leidet.
    "Dieses Buch zu schreiben, bedeutet, tiefen Schmerz zu empfinden, denn es wird die letzte Verbindung mit meinen Freunden von Charlie Hebdo sein."
    Pelloux, der Kolumnist von Charlie Hebdo, hatte nur zufällig nicht an der Redaktionskonferenz am 7. Januar teilgenommen. Er war der erste, den die wenigen Überlebenden an den Tatort riefen.
    "Der einzige Vorwurf, den ich mir vielleicht machen kann, ist, dass ich keinen von ihnen mehr retten konnte, als ich am Ort des Attentats eintraf. Sie waren von Kugeln durchlöchert. Ich habe dieses Buch nicht geschrieben, um mich zu beklagen, sondern um zu sagen, was für tolle Menschen die umgebracht haben. Ich fand, dass in den Medien zu kurz kam, dass das wunderbare Leute waren, Arbeiter, Väter, Freunde, Leute ohne Hass und ohne Waffen. Das wollte ich sagen."
    Schon früher veröffentlichte Patrick Pelloux seine Charlie-Hebdo-Kolumnen in Buchform. Dieser Band ist der letzte. Der Kolumnist hat die Zeitung verlassen, teils wegen interner Streitereien, aber vor allem:
    "Weil ich nicht mehr weiß, was ich der Zeitung bringen kann. Denn ich bin irgendwie gestört durch die Attentate, meine geistige Verfassung steckt immer noch tief in der Trauer."
    Würdigung aller Opfer der Attentate
    Mit seinem Buch würdigt er nun alle Opfer der Januar-Attentate, auch die Polizisten und die Menschen, die im Supermarkt für koschere Lebensmittel in Paris starben.
    "Warum diese Essaysammlung, wirst du dich fragen, lieber Leser? Ich duze dich, weil du in mein Intimstes vordringst. Weil man nicht aufhören darf, niemals! Man muss kämpfen! Im Angesicht der Barbarei müssen wir schreiben, zeichnen, filmen und über alles lachen, stets. Den Laizismus verteidigen, die Werte der Republik, die Rechte der Frauen, Männer und Kinder, gegen Barbarei, aber ohne in Hass, in Rechtsextremismus und Intoleranz zu verfallen."
    Schreibt Pelloux und sagt:
    "Wir haben Recht. Und wir werden gewinnen und diese Religion dorthin verfrachten, wo sie hingehört, zwischen die Ohren."
    Pelloux' Kolumnen handeln von Krankheit, Einsamkeit, Armut, sozialer Not, Ignoranz einer hastenden Gesellschaft. Diese Schilderungen des alltäglichen Grauens kommen zunächst mit leichter Feder daher. Lässt schmunzeln. "Die Kunst, andere zum Lachen zu bringen. Lachen, angesichts der Tragikomödie des Lebens, der menschlichen Dummheit. Sich lustig machen über Integristen, Terroristen, Nazis, Schweine, Religionen und politische Macht" – das sei das Spiel von Charlie Hebdo gewesen, schreibt Pelloux:
    "Lachen als Ausdruck der Freiheit. Lachen gegen den Hass und gegen Intoleranz."
    "Es ist schwer, sich zu konzentrieren, um andere zum Lachen zu bringen. Und dann ist es schwer, die Kolumnen zu sehen und die Karikaturen von "Charb" fehlen."
    Mehr als ein Jahrzehnt hatte "Charb", Stéphane Charbonnier, der Herausgeber und prägende Kopf der Redaktion, seine Kolumnen illustriert. Ein letztes Mal bringt Pelloux mit seinem Buch Text und Karikaturen zusammen: "Liebling, schalte das Fernsehen an, es ist Attentatszeit." Diese Zeichnung von "Charb" leitet das Buch ein.
    "Wir stehen an einer Kreuzung des Schreckens und des Grauens, die wir überqueren müssen, um die Dramen überleben zu können, die wir im Januar erlebt haben. Die, die bei Charlie Hebdo und im Supermarkt für jüdische Lebensmittel gestorben sind, sind voneinander untrennbar und sie sind bei politischen Attentaten ermordet worden."
    Schreibt Pelloux. Seinen Text in der Charlie-Hebdo-Ausgabe vom 7. Januar hatte er wenige Tage zuvor verfasst:
    "Nach einem Abendessen mit "Charb" und den Freunden. Wir haben über den sozialen Kampf diskutiert. Vor diesem gemeinen Mittwoch hatten wir die drei letzten Abende gemeinsam verbracht. Und der letzte Augenblick war ein Lachkrampf, während wir jiddische Musik hörten."
    Alles ist Abschiednehmen in diesem Buch. Ein lesenswertes Buch, weil es die Opfer wieder aufleben lässt. Und weil es eine Ahnung davon vermittelt, wie einsam die Überlebenden zurückgeblieben sind. Einsam und ohne Freunde angesichts der gewaltigen Herausforderung, vor der die französische – und nicht nur die französische – Gesellschaft steht. Die Antwort, sagt Pattrick Pelloux im Gespräch mit unserem Programm, die Antwort auf die islamistische Bedrohung kann nur "europäisch sein".
    Buchinfos:
    Patrick Pelloux: "Toujours là, toujours prêt", Le Cherche Midi, 261 Seiten, Preis: 17,90 Euro