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"Charlie Hebdo"
Schon bald wieder sehr allein?

Ganz Frankreich bekennt sich zu "Charlie Hebdo" - auf einmal. In der Kulturszene wird kontrovers diskutiert: Warum hat sich vor den Anschlägen kaum jemand für das Magazin interessiert? Warum haben viele eher die Nase gerümpft? Die Zeichner machen sich keine Illusionen: Bald, sagen sie, sind wir wohl wieder sehr allein.

Von Kathrin Hondl |
    Eine Person hält die Ausgabe der Zeitschrift "Charlie Hebdo" vom 7. Januar 2015 in Händen.
    Die Ausgabe vom 7. Januar 2015 beschäftigte sich mit dem umstrittenen Roman von Michel Houellebecq (AFP / Bertrand Guay )
    Theaterintendanten und Popsänger, Festivalchefs und Philosophen, Schriftsteller und Schauspieler – alle, die Rang und Namen haben in Frankreichs Kulturbetrieb, sind heute beim großen Gedenkmarsch auf der Straße. Alle sind sie Charlie - von Pierre Lescure, dem Präsidenten des Filmfestivals von Cannes über den Chef der Opéra de Paris, Stéphane Lissner bis zum Schriftsteller Eric-Emmanuel Schmitt oder dem Popmusiker Arthur H.
    Und auch bisher unbekannte Künstler fühlen sich vom islamistischen Terror herausgefordert – wie der Sänger Jean-Baptiste Bullet, dessen Protestsong „Je suis Charlie" innerhalb von nur zwei Tagen über die sozialen Netzwerke im Internet zum Megahit wurde.
    Zusammen mit französischen Popgrößen wie Julien Clerc, Benjamin Biolay oder Catherine Ringer ist Jean-Baptiste Bullet am Abend bei einem großen Solidaritätskonzert in der Pariser Maison de la Radio dabei. Die Show wird in Fernsehen, Radio und Internet live übertragen. Auch prominente Intellektuelle wie der Philosoph Régis Debray, Comiczeichner, Journalisten und Comedians sind für Charlie Hebdo auf der Bühne. Die Solidarität mit dem Satiremagazin ist enorm.
    "Man sollte sich für Zeichner interessieren, solange sie am Leben sind"
    Doch immer lauter werden auch kritische Stimmen. „Man muss sich für Pressezeichner interessieren, solange sie am Leben sind", sagte der Karikaturist Plantu der Nachrichtenagentur AFP. Es sei einfacher, Fotos zu veröffentlichen, die niemanden stören, so Plantu. Die Zeitungen hätten schon immer Angst vor der Unberechenbarkeit der Pressezeichner gehabt. Auch der Humorist Mathieu Madénian, ein Mitarbeiter von Charlie Hebdo fürchtet, dass die große Solidaritätswelle schnell verebben könnte.
    "Sie haben nicht gewonnen. Sie haben Charlie nicht getötet. Aber Ihr könnt Charlie töten, wenn ihr das Heft nicht kauft. Vor nur drei Wochen gab es einen Spendenaufruf für Charlie Hebdo. Wir arbeiten dort alle ohne Bezahlung! Es reicht nicht, wenn jetzt alle sagen „Ich bin Charlie", das Heft aber nur einmal kaufen!"
    Religiös korrekte Selbstzensur
    An die prekäre Situation von Charlie Hebdo vor dem Terroranschlag erinnert auch die Philosophin Elisabeth Badinter. Heute wisse man, dass sie die Freiheit verkörperten, sagte sie der Sonntagszeitung Le Parisien, vor dem Attentat aber habe man diese Freiheit kaum verteidigt. Statt dessen herrschte, so Badinter, „religiös korrekte" Selbstzensur.
    Die Charlie Hebdo-Zeichner galten als Provokateure. Weil sie sich – und da standen sie ganz in der Tradition der französischen Aufklärung - nichts und niemandem unterwerfen wollten – keiner politischen und auch keiner religiösen Autorität. Und schon gar nicht humorfreien Islamisten.
    Als Charlie Hebdo 2007 wegen der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen vor Gericht standen, waren viele – nicht nur in Frankreich – der Ansicht, das Satire-Magazin strapaziere das Recht auf freie Meinungsäußerung zu sehr.
    "Wir waren sehr allein"
    "Wir waren jahrelang sehr allein", sagt Laurent Léger, ein Charlie Hebdo-Journalist, der das Attentat auf die Redaktionskonferenz überlebte. "Man will aus uns ein enormes Symbol machen. Das ist verständlich. Aber wir waren als kleine Zeitung sehr isoliert in dem allgemeinen Klima in Frankreich. Einem Klima, das in den vergangenen Jahren immer angespannter wurde, wenn es um Fragen der Laizität oder der Integration ging. Immer öfter sagte man uns: Ihr macht schon gute Arbeit, ABER ihr übertreibt, ABER ihr schüttet mit euren Zeichnungen Öl ins Feuer. All diese Leute sagen jetzt auf einmal: Bravo, wir sind auf eurer Seite. Das macht nicht viel Sinn. Wir waren sehr allein und ich denke, in ein paar Monaten werden wir wieder sehr allein sein."
    Die Überlebenden der Charlie Hebdo-Redaktion arbeiten jetzt an ihrem nächsten Heft. Kommenden Mittwoch, eine Woche nach dem Massaker, wird es mit einer Auflage von einer Million Exemplaren erscheinen. Und es wird, so verspricht Chefredakteur Gérard Biard, seiner Tradition treu bleiben – dem Humor und vor allem: der Laizität, des Ideals der strikten Trennung von politischer Macht und Religion – und zwar allen Religionen, ein Grundprinzip der französischen Republik.
    "Ich hoffe, man wird uns nie wieder 'laizistische Fundamentalisten' nennen, und also nie wieder das gleiche Wort – Fundamentalist – für die Mörder und die Opfer verwenden. Wir verteidigen Humor und Meinungsfreiheit, aber vor allem verteidigen wir die Laizität. Denn sie ist vielleicht der wichtigste Wert unserer Republik, denn ohne Laizität sind Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit nicht möglich."
    Nach dem großen „republikanischen Gedenkmarsch" wird Frankreich Antworten finden müssen auf die Frage, für welche Werte die Republik tatsächlich steht. Ob sie „Charlie ist" – oder eher doch nicht.