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Charlotte von Kalb vor 175 Jahren gestorben
Femme fatale der Weimarer Klassik

Weil sie als verheiratete Frau ein Liebesverhältnis mit dem Dichter Friedrich Schiller hatte, nannte man sie eine "hysterische Kokette". Im Leben der Schriftstellerin Charlotte von Kalb findet sich die ganze Tragik des Schicksals einer geistreichen und unangepassten Frau in der Zeit der deutschen Klassik.

Von Christoph Schmitz-Scholemann | 12.05.2018
    Portrait von Charlotte von Kalb
    Charlotte von Kalb (imago/imagebroker)
    "Frau von Kalb ist von allen Frauen … die geistvollste … Sie fühlt sich so frei, dass sie nach dem erhabensten Geistesblick öfters lacht … flugs nimmt ihr Geist eine … entgegengesetzte Richtung und tut da wieder Wunder …"
    So beschrieb eine Zeitgenossin Charlotte von Kalb, die einst die Herzen und Geister berühmter deutscher Dichter und Denker bewegt hatte. 1761 war sie als Charlotte Marschalk von Ostheim zur Welt gekommen und zählte gerade sieben Jahre, als ihr Vater und ihre Mutter kurz nacheinander starben. So wuchs das phantasievolle Mädchen mit den auffallend großen und ausdrucksvollen Augen in der Obhut von Pflegeeltern auf. Eine schwärmerische Leserin war sie, traute sich aber lange Zeit nicht, selbst zu schreiben.
    "Wenn der Geist und das Herz mehr verstanden wird und die Natur reif ist für die reinste Wahrheit, dann dürfen, dann sollen Frauen reden und schreiben."
    In Heinrich von Kalb, einem adeligen Haudegen, den sie als 22-jährige heiratete, fand Charlotte nicht den Seelenverwandten, den sie gebraucht hätte.
    "Gegenseitig war es weder Wunsch noch Neigung, nur Gleichmut des Leidens."
    Schiller machte sich bald aus dem Staub
    Ganz anders war es, als sie im Mai 1784 ihren Mann auf einer Dienstreise begleitete und in Mannheim dem damals blutjungen Dichter Friedrich Schiller begegnete. Hals über Kopf fanden sich die beiden in einem wilden Kampf zwischen den Leidenschaften des Herzens und den Pflichten der Ehe wieder, über den Schillers Gedicht "Der Kampf" Auskunft gibt.
    "Geschworen hab' ich's, ja ich hab's geschworen,
    Mich selbst zu bändigen.
    Hier ist dein Kranz, er sey auf ewig mir verloren,
    Nimm ihn zurück und laß mich sündigen."
    Schiller indes machte sich bald aus dem Staub. Seine Karrierepläne führten ihn nach Leipzig und einige Jahre später in das damalige intellektuelle Zentrum Deutschlands, nach Weimar - wo ihn niemand anders sehnlichst erwartete als die rührend beharrliche Charlotte. Mit sicherem Instinkt und durch Zufälle begünstigt, hatte auch sie die Wege ihrer jungen Familie nach Weimar gelenkt.
    "Am nehmlichen Abend sah ich Charlotten. Unser erstes Wiedersehen hatte soviel … betäubendes, daß mirs unmöglich fällt, es … zu beschreiben."
    Charlotte verschafft Schiller Zugang zur Hofgesellschaft, will sich für ihn sogar scheiden lassen und muss dann doch hinnehmen, dass der Dichter sich ein weiteres Mal abwendet. Charlotte wird zum Stadtgespräch. Ein bisschen enfant terrible, aufgrund ihrer Klugheit aber auch geachtet, fällt ihr im Austausch mit den literarischen Größen von Herder bis Goethe eines besonders auf:
    "Ich kenne nichts Trivialeres als die Vorstellungen unserer meisten Dichter über die Frauen."
    Partisanin der Liebe
    Und doch verliebt sie sich noch einmal, wieder gilt ihre Leidenschaft einem Dichter, diesmal dem romantischen Ironiker Jean Paul. Auch ihm ebnet die Partisanin der Liebe den Weg nach Weimar, auch er verlässt sie und Charlotte fasst sich:
    "Tränen sind mein Morgentau – ich blicke nicht nach der Sonne."
    Nach dieser Affäre reihte sich für Charlotte ein Unglück an das nächste. Ihr Mann, der nicht nur sein eigenes Vermögen, sondern auch das ihre ruiniert hatte, nahm sich das Leben. Charlotte zog, gerade 40 Jahre alt, mit ihrer Tochter, die eine Stelle als Hofdame beim König von Preußen bekam, ins Berliner Schloss. Dort verbrachte sie, allmählich erblindend, die zweite Hälfte ihres Lebens, hielt sich mit einem kleinen Handel für Schokolade und Strickwaren über Wasser, schrieb einen Roman und ihre Lebenserinnerungen und starb, 81-Jährig, am 12. Mai 1843. Ihre Tochter Edda war es, die den Roman "Cornelia" und die Lebenserinnerungen aus dem Nachlass rettete. Ein Kritiker verhöhnte die Schriften als "Vernichtungsfeldzug gegen Rechtschreibung und gesunden Menschenverstand". In Wahrheit sind sie der auch heute noch berührende Versuch eines dezidiert weiblichen Blicks auf Liebe, Leben und Literatur.
    "Ich war auch ein Mensch, sagt der Staub!
    Ich bin auch ein Geist, sagt das All!"