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Charme im Elend

In Haitis Hauptstadt sieht man die Folgen des schweren Erdbebens vor zwei Jahren überall. Slums und Zeltstädte; hermetisch abgeriegelte Wohngegenden und ein Präsidentenpalast in Trümmern. Inmitten dieser Wirren sticht das Hotel Oloffson heraus.

Von Thomas Wagner |
    "Wenn eine Person hierher kommt, ist es ein sehr besonderes Gefühl, es was 'unique‘, Einzigartiges, was man nicht erklären kann, was man fühlen kann. Das wirklich Besondere, das Ollofson. Es gibt kein zweites Oloffson auf der ganzen Welt."

    Lässig sitzt Frantz Large auf seinem hölzernen Hocker an der einladenden Mahogoni Bar. Large, ein Mann Ende 40, ist einer der wenigen Haitianer, die sich hier einen Drink leisten können. Von Beruf Augenarzt, freut er sich mächtig über die Gelegenheit, nach Jahren erstmals wieder Deutsch zu reden. Das habe er von seiner ehemaligen deutschen Freundin gelernt; die wohne immer noch in München. Mit dem Glas in der Hand blickt Large auf die abgewetzte Mahagoni Bar mit allen ihren Kratzern, dann hinauf auf den Spiegel, der so verschmitzt ist, dass die Barbesucher darin längst nichts mehr erkennen können. Auch die Wände ziehen sich vereinzelt Risse, die nur notdürftig von historischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen verdeckt werden. Das Gebäude selbst erweckt den Anschein einer großen, heruntergekommenen Villa: ein weißer Bau mit Rundbogenfenstern, ein paar Türmchen und Erkern. Innen grau-weiße Wände, die ein wenig Farbe durchaus vertragen könnten. Aber: Das Gebäude atmet Geschichte.

    "Oh, dieses Hotel ist eines der ältesten Hotels von Haiti. Es war das Haus von einem Präsidenten, es war das Haus von Doemsthenes Sam. Oh, eigentlich war es das Haus zweier haitianischer Präsidenten, Doemstheus Sam und Virguil Sam. Und wurde von einem Architekten aus Schweden gebaut, Oloffson hieß der."

    Womit der Name erklärt wäre. Anfang des 18. Jahrhunderts als Präsidentenvilla erbaut, dauerte die Freude darüber der beiden Brüder Sam nicht lange: 1815 wurde einer von ihnen vom aufgebrachten haitianischen Mob totgeschlagen, nachdem er seinerseits 160 Oppositionelle hatte erschießen lassen. Die Amerikaner rückten ein, verwandelten das herrschaftliche Gebäude mit dem riesigen Garten davor in ein Militärkrankenhaus. Erst danach wandelte sich das Gebäude zum Hotel; mehrere Besitzerwechsel folgten. Einer von ihnen soll, so erzählen es die Haitianer heute noch, viel Spaß daran gehabt haben, vom Hotelbalkon aus auf lebende Krokodile im Swimmingpool unterhalb zu schießen - ein Pool übrigens, der auch in der Literatur so richtig berühmt wurde. Der amerikanische Autor Graham Greene kam in den 60er-Jahren hierher. Und die Vorlage seines fiktiven Tropenhotels "Trianon" war zweifelsohne das Oloffson auf Haiti:

    Es schien zerbrechlich, hübsch und absurd, wie eine Illustration aus einem Märchenbuch.

    Schrieb Graham Greene in seinem Werk, passgenau auf das Oloffsons hin.

    "Ich habe hier regelmäßig Journalisten getroffen, Politiker, Dokumentarfilmproduzenten, - also wirklich alle Art von Leuten. Und man weiß nie, wen man hier als Nächstes trifft. Heute Abend war der englische Botschafter hier."

    Michaele Lacurzy arbeitet im Auftrag einer amerikanischen Hilfsorganisation auf Haiti. Immer wieder kommt sie ins Oloffson - eine Behausung, die zwar von Luxus westlicher Prägung weit entfernt ist, dass stattdessen etwas bietet, was umso wichtiger ist: Menschen treffen, auf die es ankommt.

    "Das ist das alte Haiti. Das hat mit Nordamerika und den Standards nichts zu tun. Auf den Zimmern gibt es keine Fernseher und all so ein Schnickschnack. Aber: Macht nichts. Ich möchte mit Menschen zusammen kommen, mit Menschen sprechen. Und das ist genau der richtige Ort, um so was zu tun."

    Ben, ein Reporter des dänischen Rundfunks, kommt seit Ende der 90er-Jahre nach Haiti. Und genau dort, im Hotel Oloffson, tippte er gute und schlechte Nachrichten in seinen Laptop: die politischen Wirren nach dem Ende der Duvalier-Diktatur, die Vertreibung des früheren Präsidenten Aristide, dann die Nachrichten über das schwere Erdbeben. Wer hier im Oloffson wohnt, hört auf Haiti das Gras wachsen. Und wer sich ein wenig was gönnen will, der wählt jene Suiten, die dann den ehemals prominenten Hotelbesuchern benannt sind.

    "Mein Kollege ist im Mike-Jagger-Room, dann haben wir hier noch die Graham Green Suite. Und ich habe auch die Suite von Olivier."

    Porte -au-Prince, die Millionenstadt: Überall in der Hauptstadt sieht man die Folgen des schweren Erdbebens. Slums und Zeltstädte; die besseren Häuser hermetisch abgeriegelt mit Stacheldraht; der Präsidentenpalast liegt immer noch in Trümmern, so, als ob sich das Erdbeben erst gestern ereignet hätte. Die Hotelauffahrt wirkt gespenstisch: Vor dem großen gusseisernen Tor stehen Bodyguards mit kugelsicheren Westen, ein durchgeladenes Gewehr in der Hand - der Schutz vor den immer noch aktiven Diesesbanden im leicht anarchisch anmutenden Porte-Au-Prince. Da mag es fast schon dekadent wirken, nur wenige Hundert Meter entfernt von all dem Elend entfernt einen Rum-Punsch oder einen Gin Tonic zu sich zu nehmen. Rick Davis, Entwicklungshelfer aus Florida,

    "Also ich habe nach dem Erdbeben eine Weile lang direkt mit den Opfern in den Camps gewohnt, ich habe die Ärzte bei Amputationen: die Armut, die Traurigkeit, ja auch dieser furchtbare Geruch. Und da musst Du manchmal die Chance haben, einfach irgendwo hinzulegen und zu schlafen, ganz ungestört. Und da ist das Oloffsons eine Art Rückzugsmöglichkeit für mich. Und es ist natürlich ein idealer Ort fürs Networking. Du triffst hier alle Kategorien von Menschen, eigentlich alle, die wichtig sind. Und wenn ich mit jemandem treffen muss, sage ich einfach nur: Komm ins Oloffson. Das kennt hier wirklich jeder - ein wunderschöner Ort."