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Chatzimarkakis schlägt "kleinen Marshall-Plan" für Griechenland vor

Es ist zu wenig passiert in der griechischen Sparpolitik, sagt Jorgo Chatzimarkakis. Doch nur Sparen führe ins wirtschaftliche Abseits - Konjunkturprogramme seien jetzt nötig - und der Rücktritt der Regierung.

Jorgo Chatzimarkakis im Gespräch mit Friedbert Meurer | 16.06.2011
    Friedbert Meurer: Das waren keine schönen Bilder, die wir gestern in Athen gesehen haben. Tausende demonstrierten gegen die Sparpolitik der Regierung, das ist ihr gutes Recht, aber leider blieb es dabei nicht friedlich. Autonome und Rechtsradikale lieferten sich Straßenschlachten, die Parlamentarier konnten nur mit Mühe das Parlament betreten. – Die Abgeordneten wurden angepöbelt, beschimpft, eine Welle des Hasses schlägt ihnen entgegen. Ministerpräsident Papandreou kann sich deswegen nicht sicher sein, ob sein Sparpaket eine Mehrheit bekommt. Die Abgeordneten seiner Fraktion und Regierung stehen massiv unter Druck. Gestern Abend scheiterten Gespräche mit der konservativen Opposition, eine gemeinsame Regierung der nationalen Einheit zu bilden. Papandreou stellt heute sein Kabinett um und will die Vertrauensfrage stellen.
    Was bedeutet das alles? – Am Telefon begrüße ich den FDP-Europaabgeordneten Jorgo Chatzimarkakis. Guten Morgen!

    Jorgo Chatzimarkakis: Guten Morgen, Herr Meurer!

    Meurer: Als Sie gestern die Bilder gesehen haben, was ging Ihnen da als Abgeordneter durch den Kopf, wenn Sie sehen, wie Parlamentarier in Griechenland so massiv unter Druck stehen und angepöbelt werden?

    Chatzimarkakis: Na ja, es geht auch um einige Freunde. Einige von den Parlamentariern waren früher im Europäischen Parlament, die kenne ich sehr gut. Es hat auch schon Bilder gegeben, wo Kollegen geschlagen werden auf dem Weg zu ihrem Büro oder zum Parlament. Der Hass gegenüber der politischen Kaste in Athen, in Griechenland insgesamt ist sehr stark angewachsen. Was geht einem durch den Kopf? – Ich schäme mich nicht dafür, ich bin ja auch Grieche, aber es schmerzt einen schon. Es schmerzt einen zu sehen, wie das Land in einem solchen Chaos versinkt, was aber auch damit zu tun hat, dass die politische Klasse versagt hat in den letzten Wochen und Monaten.

    Meurer: Inwiefern versagt in den letzten Monaten? Bisher sieht man das Versagen eher sozusagen weiter zurück in der Vergangenheit der griechischen Politik.

    Chatzimarkakis: Ja. Natürlich liegen die Fehler weit in der Vergangenheit: die Statistikfälschungen, die falsche Investitionspolitik. Aber auch seit Griechenland in dem Sparpaket steckt, seit Mai 2010, sind erhebliche Fehler gemacht worden. Es ist ja wie ein Marathon-Lauf, was Griechenland da machen muss, und es war auch jedem klar, dass dieses Sparpaket mit seinen enormen Schulden, die ja neu aufgenommen werden, sehr schwer abzubauen ist. Aber in dem Marathon-Lauf sind die ersten Kilometer, die ersten vier Kilometer sehr schnell angegangen worden. Was passiert dann? Dann geht einem die Luft aus, und das ist passiert. Es ist de facto zu wenig passiert in der Sparpolitik. Zum Beispiel reden wir jetzt erst über Privatisierung, aber was wir ganz vergessen haben: Wir haben nie über Investitionen gesprochen, über ein Investitions- oder Konjunkturprogramm, und es ist doch völlig klar, dass ein Land, das nur spart, plötzlich wirtschaftlich ins Abseits gerät. Die Arbeitslosigkeit hat enorm zugenommen in Griechenland, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei fast 40 Prozent, die Leute sind völlig logischerweise hoffnungslos, gehen seit Wochen friedlich auf die Straße und gestern ist es halt in Gewalt eskaliert.

    Meurer: Ein liberaler Europaabgeordneter ist für staatliche Konjunkturprogramme?

    Chatzimarkakis: Ja selbstverständlich! Auch Liberale wissen, dass in Krisenzeiten es gar nicht hilft, wenn man eine Ökonomie so in den Abgrund drängt, dass sie Jahre, Jahrzehnte braucht, bis sie sich wieder erholt. Also Griechenland wird so zu einem dauerhaften Problemfall. Deswegen müssen wir jetzt den Griechen dabei helfen, zum Beispiel die EU-Mittel, die Regionalmittel, die sie noch bekommen, die sie nicht abrufen können, weil sie zu wenig gute Projekte haben, weil sie auch keine Co-Finanzierung haben, dass sie diese 18 Milliarden Euro jetzt abrufen. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und würde sagen, aus der nächsten Förderperiode sollte man zehn Milliarden noch drauflegen, ein großes Konjunkturprogramm von 30 Milliarden schnüren, einen kleinen Marshall-Plan, wenn Sie wollen, einen Herkules-Plan, damit endlich wieder Hoffnung entsteht. Das ist doch das Problem der Menschen. Die müssen eine Sparpolitik ertragen, ohne zu wissen, wo das überhaupt endet.

    Meurer: Aber kann man ihnen eine Rosskur zumuten, die nur ein bisschen weh tut?

    Chatzimarkakis: Nein. Man muss das Konjunkturpaket, also das Licht am Ende des Tunnels, einerseits verknüpfen mit – das sage ich ganz klar – noch härteren Einschnitten. Papandreou hat ja die wirklich weh tuenden Sachen gar nicht gemacht. Er ist an die kleinen und mittleren Einkommen gegangen, das stört diese Menschen in Griechenland so, dass hier diejenigen, die nicht raus können aus der Mehrwertsteuer, die werden geschröpft, aber die großen Einkommen, die werden nach wie vor unversehrt gelassen. Das Finanzsystem funktioniert nach wie vor nicht, das Einziehen von Steuern ist immer noch nicht auf einem normalen europäischen Stand.

    Meurer: Wieso ist das so schwer, die Besserverdienenden heranzuziehen und zur Kasse zu bitten?

    Chatzimarkakis: ... , weil das System jahrelang so funktioniert hat. Die Besserverdienenden haben natürlich ihr Geld ins Ausland gebracht. Wenn man sich anschaut, wie die Bewegungen zugenommen haben des Kapitals insbesondere nach Deutschland, oder auch in die Schweiz, das ist atemberaubend und da hat die griechische Regierung gar nichts gegen gemacht. Da muss man Papandreou und seinem Finanzminister Papaconstantinou schon den Vorwurf machen, dass hier nur an den Stellschrauben gedreht wurde, die leicht sind, also Mehrwertsteuer erhöhen und einige wenige Weihnachtsgelder und Urlaubsgelder kappen. Nein, man muss wirklich an die Finanzeinzugssysteme heran und man muss vor allem auch im öffentlichen Dienst wirklich Kündigungen aussprechen. Es ist ja so, ...

    Meurer: Dann geht es aber mit den Demonstrationen erst richtig los!

    Chatzimarkakis: Ja, aber es gilt auch das Wort, dass man jetzt schmerzliche Einschnitte machen muss, damit man nicht langfristig die Folgen zahlt. Denn was jetzt in Griechenland passiert, mangels einer wirklichen Vision, ist doch, dass das politische System implodiert. Ich fand es katastrophal, dass Papandreou gestern einen Zickzack-Kurs angeboten hat. Morgens spricht er von einem besseren Sparprogramm, Mittags will er zurücktreten, weil er eben eine nationale Einheitsregierung bilden will, und Abends sagt er, nein, er macht doch nur eine Kabinettsumbildung, morgen wird er ein Referendum ankündigen. Dieser Zickzack-Kurs verunsichert natürlich Europa und die Geldgeber, er verunsichert aber auch die Griechen, und insofern muss man sagen, er ist gescheitert, das politische System.

    Meurer: Das heißt, Sie fordern seinen Rücktritt?

    Chatzimarkakis: Also ich glaube, das gesamte politische System muss den Hut nehmen. Ich glaube, dass so Leute wie Loukas Papadimos, der renommierte frühere Vizepräsident der Europäischen Zentralbank, jetzt aktiv in die griechische Politik einsteigen müssen. Wir brauchen eine Regierung von Experten, wir brauchen auch eine Regierung von Griechen, die überall in der Welt aktiv sind, die Erfahrung gesammelt haben, weil das jetzige System einfach sich als nicht fähig erwiesen hat, diese Krise zu meistern, und dabei bleibe ich. Da kann auch eine Kabinettsumbildung, die Papandreou für heute angekündigt hat, nichts dran ändern.

    Meurer: Ganz kurz: Soll Papandreou zurücktreten? Ja oder nein?

    Chatzimarkakis: Papandreou soll eine Regierung der nationalen Einheit bilden, oder zurücktreten.

    Meurer: Das war Jorgo Chatzimarkakis, FDP-Europaabgeordneter, zu der immer schwierigeren Situation in Griechenland. Danke schön und auf Wiederhören.

    Chatzimarkakis: Danke Ihnen!

    Deutschlandradio aktuell zum Thema:
    Griechischer Ministerpräsident Papandreou will Vertrauensfrage stellen

    Hintergrundinformationen:
    Griechenland steht mit über 300 Milliarden Euro Staatsdefizit am Rande des Bankrotts und muss einen rigiden Sparkurs fahren. Ein erstes Hilfspaket der EU zeigte nicht die erhoffte Wirkung.

    Am Dienstag wurde Griechenlands Kreditwürdigkeit auf ein "CCC"-Rating durch die Ratingagentur Standard & Poor's herabgesetzt. Es ist die zweitschlechteste Einstufung der Kreditwürdigkeit eines Landes. Schuldner in dieser Gruppe sind aus Sicht der Agentur in ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten und können Zins- und Tilgungszahlungen nicht zuverlässig gewährleisten.