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Chavez baut seine Macht aus

Mit einer Reihe von Sondervollmachten will der venezolanische Präsident Hugo Chavez weitere Verstaatlichungen in seinem Land durchsetzen und seine Machtposition stärken. Nach Einschätzung des Politologen Nikolaus Werz von der Universität Rostock wird Chavez die Befugnisse nutzen, um den von ihm propagierten Sozialismus des 21. Jahrhunderts voranzutreiben. Wie diese Form des Sozialismus "genau aussehen könnte, das weiß man nicht, es hat ihn noch keiner gesehen", sagte Werz.

Moderation: Silvia Engels |
    Silvia Engels: Im vergangenen Jahr wurde der venezolanische Präsident Hugo Chavez mit deutlicher Mehrheit wiedergewählt. Seine neue Machtfülle nutzt der charismatische Linkspopulist nun nach Kräften aus. Heute steht im Parlament die endgültige Verabschiedung eines Gesetzespaketes an, das dem Präsidenten Sondervollmachten gewähren soll. Die Zustimmung gilt als sicher, da die Opposition im Parlament so gut wie nicht vertreten ist. Sie hatte die Parlamentswahlen boykottiert.

    Am Telefon ist nun Professor Nikolaus Werz, er ist Politologe an der Universität Rostock, befasst sich seit Jahren mit der Entwicklung in Venezuela und hat das Land häufig bereist. Guten Morgen, Herr Werz!

    Nikolaus Werz: Guten Morgen!

    Engels: Welche Sondervollmachten sind es denn nun genau, die Hugo Chavez heute bekommen soll?

    Werz: Es ist ein ganzes Bündel von Sondervollmachten. Offenbar sollen sie für ein Jahr beantragt werden. Damit will er Veränderungen bei den staatlichen Telefon- und Elektrizitätswerken herbeiführen. Er will die Unabhängigkeit der Nationalbank aufheben und auch im Ölbereich weitere Verstaatlichungen vornehmen.

    Engels: Welchen Weg nimmt denn damit Venezuela? Sind das Schritte hin zu einer Diktatur, wie Kritiker sagen?

    Werz: Präsident Chavez spricht seit 2004 von einem Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Wie der genau aussehen könnte, das weiß man nicht, es hat ihn noch keiner gesehen. Er hat eine starke Betonung auf der Mehrparteiendemokratie, Entschuldigung, Mehrheitendemokratie. Er enthält plebiszitäre Elemente, und in der unter Chavez erlassenen neuen Verfassung ist in Artikel 236 ein solcher Mechanismus enthalten, der Sondervollmachten zulässt.

    Engels: Das heißt also, wie beurteilen Sie nun dieses Gesetzespaket?

    Werz: Hugo Chavez ist Anfang Dezember in freien Wahlen mit knapp über 60 Prozent wiedergewählt worden. Er hat danach das Kabinett umgebildet, er hat es mit sehr stark auf seine Position ausgerichteten Leuten besetzt, er hat die Zahl der Minister weiter erhöht, und er wird versuchen, das, was er den Sozialismus des 21. Jahrhunderts nennt, durchzusetzen.

    Engels: Unmittelbar nach den Wahlen und auch im Vorfeld gab es Proteste gegen Chavez. Das Land gilt ja als gespalten, längst nicht jeder steht hinter Chavez. Hört man denn derzeit noch etwas von der Opposition, kann sie sich noch frei äußern und unterlässt es einfach, oder wie muss man sich das vorstellen?

    Werz: Es sind angekündigt Demonstrationen jetzt als Reaktion auf diese Sondervollmachten. Ansonsten war die Opposition relativ ruhig in den vergangenen Tagen und Wochen. Interessanter ist die Veränderung, die im Lager der Chavez-Anhänger entstanden ist, denn ein Teil der nicht sehr umfangreichen intellektuellen Linken, die Präsident Chavez gestützt hat, hat angesichts der auch von ihm gemachten Ankündigung zum Aufbau einer Art sozialistischen Einheitspartei, in der er seine Anhängerschaft, das sind verschiedene kleinere Parteien, unter anderem versammeln will, eine gewisse Distanz gegenüber Chavez eingenommen.

    Engels: Ganz weit oben, Sie haben es angesprochen, stehen bei diesen Sondervollmachten die Pläne, den Energie- und den Kommunikationssektor stärker zu verstaatlichen. Sie haben die innerparteilichen Probleme für Chavez angesprochen. Wie reagieren denn Wirtschaft und Investoren im Land?

    Werz: Nun, Venezuela hat durch den enorm hohen Ölpreis in den letzten Jahren ein Wirtschaftswachstum gehabt. Wir haben also die paradoxe Situation, dass der gewählte Präsident einen Sozialismus aufbauen will, die Wirtschaft, und Venezuela ist sehr stark gegenüber dem Ausland geöffnet, sehr gute Profite macht. Die Knappheit, die in Venezuela im Moment besteht, ist auch die von zu importierenden Luxusautos, und da ist nun seine neueste Ankündigung nicht uninteressant. Er hat angedeutet, dass erstmals seit neun Jahren der interne Benzinpreis, der bei etwa fünf Cent pro Liter liegt, erhöht werden soll. Und das könnte auch zu gewissen Unmut führen.

    Engels: Das klingt aber nach einem sich abzeichnenden Spagat für Chavez, zum einen relativ breite Öffnung nach wie vor nach außen, um die Handelskontakte nicht zu verlieren, nach innen aber Sozialismus. Wird das nicht seinen Rückhalt innerhalb der ärmeren Bevölkerung auch schwächen?

    Werz: Nicht zwingend, zumindest solange der Ölpreis hoch bleibt. Wir müssen immer bedenken, Venezuela ist ein Ölstaat und hat damit andere Funktionsbedingungen als die meisten anderen lateinamerikanischen Länder. Manche Aspekte von Chavez' Sozialismus wären zu vergleichen mit Versuchen in den 60er und 70er Jahren in einigen arabischen Staaten. Der Staat ist der Verteiler dieser Ölrente, und die ärmeren Schichten sind durch zum Teil auch klientelare Beziehungen, die werden jetzt als Missionen bezeichnet und haben zum Teil auch in einzelnen Aspekten soziale Verbesserungen gebracht, sie werden dadurch eingebunden.

    Engels: Es gab in der vergangenen Legislaturperiode ja bereits einmal einen Putschversuch gegenüber Hugo Chavez. Wir des Ihrer Einschätzung nach noch einmal dazu kommen?

    Werz: Zurzeit deutet wenig darauf hin. Alle Versuche, Präsident Chavez zu stürzen, haben eher dazu geführt, dass er seine Position gefestigt hat. Nach diesem eigenartigen Staatsstreich im April 2002 hat er das Militär umorganisiert, und nach einem Streik in der nationalen Ölgesellschaft PDVSA ist es dort zu Entlassungen gekommen, so dass jetzt sowohl das Militär als auch die Ölgesellschaft stark auf seine Person zugeschnitten sind.

    Engels: Ihre Einschätzung zum Schluss: Entwickelt sich Hugo Chavez zu einer Bedrohung für Lateinamerika?

    Werz: Er hat in Teilen der lateinamerikanischen Bevölkerung durchaus einen Anhang, seine antinordamerikanische Haltung und sein Aufgreifen des Traums von Simon Bolivar prädestinieren ihn dazu. Allerdings darf man nicht davon ausgehen, dass die in jüngster Zeit gewählten Linken oder sozialdemokratisch ausgerichteten Präsidenten Lateinamerikas einheitlich sind. Es gibt eine eher moderate Linke und eine nationalistisch antiimperialistische, und an deren Spitze steht Präsident Chavez in Venezuela. Möglicherweise, oder vieles deutet darauf hin, auch Evo Morales in Bolivien ist dazu zu zählen.

    Engels: Der venezolanische Präsident Hugo Chavez erhält heute voraussichtlich Sondervollmachten vom Parlament. Zu diesem Thema sprachen wir mit Nikolaus Werz, Politologe an der Universität Rostock. Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch.

    Werz: Vielen Dank.