Das Interview in der Langversion
Ralf Krauter: Wo waren Sie als der Anruf aus Stockholm kam?
Joachim Frank: Da war ich in meinem Apartment, das ist die Upper Westside. Hier wurden wir aufgeweckt, und ich habe an dem Akzent direkt wahrgenommen, was sich jetzt tut, und den vierten Oktober, den kennt man bereits schon als Datum. Man weiß schon, das wäre der Tag, wo so ein Anruf kommen könnte, aber andererseits ist die Wahrscheinlichkeit sehr klein.
"Eine fantastische Möglichkeit"
Krauter: Das heißt, Sie waren nicht komplett überrascht, aber dann doch irgendwie.
Frank: Nicht komplett, nein, aber andererseits, als er dann wirklich kam, dann war es wirklich ein ungeheures emotionales Ereignis. Die Realisierung bringt eben alle Dinge im Gehirn in eine andere Konstellation. Die Implikationen kommen alle sofort, die wirklich einfach heißt, dass unser Leben sich jetzt ändert.
Krauter: Sie haben in München ja Physik studiert, am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried, haben Ihre Doktorarbeit geschrieben. Warum zog Sie es danach ins Ausland?
Frank: Das Klima für Forschung. Ich habe es irgendwie extrapoliert von was ich gesehen habe in meiner eigenen Gruppe. Eine Gruppe war sehr autoritär geführt, und da habe ich mir gedacht, das ist eben so in Deutschland, und die Möglichkeit für Studenten, unabhängig Entwicklungen zu machen, war sehr gering. Damals, als ich meinen Doktor bekam, hatte ich die Gelegenheit, in die USA zu gehen. Das war das Harkness Fellowship. Das war eine sehr großzügige Unterstützung, die es mir ermöglicht hat, irgendwelche Labore zu besuchen. Ich habe mir drei ausgesucht, und eine war dann Jet Propulsion Laboratory of Caltech. Das war bereits schon damals in den Jupiterflügen involved, und die hatte damals die beste Ausstattung für Image Processing, für Bildbearbeitung.
Krauter: Also weil die Bildverarbeitung für die Kameras der Jupitersonden letztlich entwickelt hatten.
Frank: Ja. Das war eine fantastische Möglichkeit für jemanden, der an Bildverarbeitung interessiert war, hier auf den letzten Stand zu kommen. Der zweite Platz war UC Berkeley, University of California in Berkeley. Da war ich mit Bob Glazer. Bob Glazer war ein junger Professor dort, und der war interessiert an Abbildungen mit dem Elektronenmikroskop.
Krauter: Ihre bahnbrechende Idee war ja letztlich, die recht unscharfen ersten elektronenmikroskopischen Aufnahmen von Biomolekülen, die man dann in den 1970er-Jahren gemacht hat, zu verbessern mit Methoden aus der Informatik. Wie kamen Sie darauf, diese Verfahren zu entwickeln? Gab es da so eine Art Heureka-Moment?
"Ein einziges Bild gibt uns bereits hunderte von Projektionen"
Frank: Ich glaube, das war doch eine langsamere Entwicklung, und ich kam gerade durch die Tatsache, dass ich mit meinem Doktorvater mich gestritten habe. Er hat also die ersten Bilder von Molekülen gemacht in der Weise, dass er Moleküle gekippt hat in verschiedene Richtung und dasselbe Molekül über und über mehr bestrahlt hat. Das können Sie sich vorstellen, wenn jetzt die ganze Bestrahlung sich akkumuliert, dann ist also nichts mehr da.
Krauter: Da verdampft das Molekül praktisch über kurz oder lang.
Frank: Ja, und dann kriegt man so leicht eine dreidimensionale Abbildung, aber die nützt nichts. Dann ist mir eingefallen, die Moleküle existieren in tausenden, Millionen Kopien. Wenn man die also jetzt extrahiert beim Sample, dann hat man viele von diesen. Wenn man die im Wasser hat, dann haben die alle möglichen Orientierungen. Das heißt also, ein einziges Bild gibt uns bereits schon hunderte von Projektionen in verschiedenen Richtungen. Das heißt also, das Molekül kippt sich selbst. Wir brauchen es nicht zu kippen. Man kann also jetzt ein Bild mit sehr kleiner Bestrahlung machen. Man verteilt also die Bestrahlung über hunderte oder tausende oder Millionen von Molekülen.
Krauter: Das hat den Vorteil, dass die Moleküle intakt bleiben, ihre Form behalten.
Frank: Ja, genau.
Krauter: Aber man steht dann vor der Herausforderung, die verschiedenen Perspektiven irgendwie zusammenzurechnen zu einem Bild.
Frank: Genau. Man hat also das Problem verschoben. Man hat es verschoben in den Computer. Man muss also jetzt die Orientierung nachträglich herausfinden, und das wird erschwert durch die Tatsache, dass die Bilder mit so kleiner Bestrahlung aufgenommen sind, die rauschen. Das sind nicht sehr klare Bilder. Man hat also zwei Probleme zu lösen. Dafür braucht man Informatik.
"Die Leute dachten, das wird nie gelingen"
Krauter: Sie haben also letztlich Methoden entwickelt, um aus vielen verrauschten, unscharfen Bildern letztlich eine scharfe räumliche Aufnahme zu generieren dann. Wenn es so will, kann man sagen, dass Sie einer der ersten Bioinformatiker waren, bevor diese Disziplin überhaupt erfunden war. Wie viel Gegenwind haben Sie damals verspürt, weil vermutlich stießen Sie anfangs oft auf völliges Unverständnis bei dem, was Sie vorhatten?
Frank: Ich glaube, die Leute, mit denen ich gesprochen habe und die ich auf Konferenzen getroffen habe, die waren schon schlau genug, um die Methode zu verstehen, aber sie haben ihr keine Chance gegeben, dachten, das wird nie gelingen. Die ganzen Ansätze wurden so belacht. Ich war also ein völliger Einzelgänger.
Krauter: Hat Sie aber nicht gestört.
Frank: Nein. Nein, das haben wir mit Volldampf weitergezogen, aber es hat natürlich einen Einfluss auf die Geldmittel, die man bekommen man. Ich glaube, die Atmosphäre in den USA war ein bisschen günstiger. Ich glaube, da war mehr Bereitschaft, solche Wege zu riskieren.
Krauter: Hätten Sie selbst gedacht, dass sich das Feld mal so dynamisch entwickeln wird?
Frank: Nein. In unserem eigenen Labor haben wir jetzt eine Ribosom-Rekonstruktion gemacht mit zweieinhalb Auflösung, und wir können einzelne Wassermoleküle sehen, und das hat mich also irgendwie emotional berührt. Ich hätte also vor 40 Jahren mir nie vorgestellt, dass wir sowas wie Wassermoleküle und einzelne Magnesium-Ionen darstellen können.
Die Welt "scheint mir unwahrscheinlich groß und reich"
Krauter: Was, glauben Sie, war das Geheimnis Ihres Erfolgs? Was zeichnet Sie persönlich aus, dass Sie so lange am Ball geblieben sind und letztlich diesen Erfolg hatten?
Frank: Durchhaltevermögen. Tenacity ist das englische Wort. Ich kann mich noch erinnern, als ich ein kleiner Junge war, wo wir um den Block herum gespielt haben. Da war ich immer berühmt als einer, der über weite Strecken immer wieder gewann. Ich konnte nicht besonders schnell rennen, aber ich konnte durchhalten, und das ist vielleicht eine Eigenschaft, die so in mir steckt.
Krauter: Also Sie waren kein Sprinter, sondern ein geborener Langstreckenläufer, wenn man so will.
Frank: Ja, genau.
Krauter: Sie sind ja nicht nur Forscher, Sie haben auch eine eigene Webseite, wo man literarische Texte von Ihnen lesen kann, Kurzgeschichten, die unter anderem durchaus auch noch starke Bezüge zu Deutschland haben. Eine Geschichte zum Beispiel spielt an der Universität Bonn, dort in einem Naturkundemuseum, wenn ich es richtig weiß. Was treibt Sie an, auch literarisch tätig zu sein?
Frank: Das ist irgendwie eine Realisation in mir, dass die Isolierung in wissenschaftliche Tätigkeit irgendwie sehr mich atrophiert. Ich muss also eine Balance haben in meinem Leben, und die Balance finde ich in solchen Sachen, die ästhetische Aspekte haben. Das ist Fotografie und Fiktion, Gedichte und so weiter. Also es scheint mir, dass die Welt unwahrscheinlich groß und reich ist, und wenn ich nur Wissenschaft betreibe, dann sehe ich nur einen sehr kleinen Aspekt davon.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.