Tobias Armbrüster: Zwei Tage sind vergangen seit dem Giftgas-Angriff auf eine Stadt im Nordwesten von Syrien. Die genauen Umstände sind nach wie vor nicht geklärt. Nicht geklärt ist auch, ob es sich überhaupt um einen regelrechten Angriff gehandelt hat. Das ist auch alles schwierig herauszufinden, mitten in einem solchen Kriegsgebiet. Aber viele Finger zeigen schon jetzt auf Syriens Machthaber Assad und auf seine Luftstreitkräfte. Die sollen verantwortlich sein, so heißt es aus vielen westlichen Hauptstädten. Russland dagegen, der engste Verbündete des syrischen Regimes, Russland hat diese Anschuldigungen schon jetzt zurückgewiesen.
Es ist alles nicht ganz leicht zu durchschauen. Wir wollen das jetzt besprechen mit einem Mann, der sich auskennt mit Giftgasen und mit dem Einsatz solcher Waffen. Am Telefon ist der Toxikologe Ralf Trapp. Er ist einer der Gründer der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen, kurz OPCW. Schönen guten Morgen, Herr Trapp.
Ralf Trapp: Guten Morgen!
"Ich gehe davon aus, dass die OPCW bereits eine Untersuchung durchführt"
Armbrüster: Herr Trapp, wie stehen die Chancen, dass man diesen Angriff überhaupt aufklären kann?
Trapp: Man kann das schon. Es ist eine Frage, wie weit Syrien und auch die Russen bereit sind, an einer entsprechend unabhängigen und tiefgreifenden Untersuchung mitzuwirken, weil natürlich bestimmte Voraussetzungen dafür geschaffen werden müssen, dass man Zutritt hat zu den Leuten, zu Standorten, zu Dokumentationen und so weiter. Es gibt hier im Grunde zwei verknüpfte Fragen, die beantwortet werden müssen. Die eine ist: War es ein Giftgas-Angriff und wenn, was für ein Giftgas wurde verwendet? Und die zweite Frage ist: Was hat man an Indizien, an Beweismaterialien zur Verfügung, die einen dann dazu führen, nachweisen zu können, wer denn dafür verantwortlich war, was eigentlich wirklich passiert ist und was die Umstände dieses Einsatzes waren?
Armbrüster: Das heißt, nur anhand der Bilder, die wir da jetzt sehen, anhand der Bilder von Toten und Verletzten und wie diese Leute zum Teil noch um ihr Leben ringen, anhand dieser Bilder allein kann man gar nichts sagen?
Trapp: Gar nichts kann man nun auch wieder nicht sagen. Man kann schon etwas sagen. Man kann sagen, dass eine große Zahl von Leuten vergiftet worden sind, dass die Symptome darauf hindeuten, dass es sich um eine Art von Nervengas handelt, vermutlich um ein Organum-Phosphat. Was es genau war, dafür bräuchte man jetzt eine Untersuchung an den Opfern. Die müssten befragt werden. Man macht medizinische Checks mit denen. Man nimmt Blutproben und untersucht die Blutproben. Und wenn es dann zum Beispiel Sarin gewesen wäre, dann kann das noch über Tage und Wochen hinweg über Blutproben relativ sicher nachgewiesen werden, weil Sarin zum Beispiel im Blut Adulte bildet, die noch über Wochen stabil im Blut vorhanden sind. Das heißt, da gibt es gute Chancen dafür, dass man das machen kann. Und mein Verständnis ist, dass eine Reihe von Opfern in die Türkei verbracht worden sind. Ich gehe mal davon aus, dass die OPCW bereits eine Untersuchung durchführt, mit den Opfern sprechen wird und auch entsprechend versuchen wird, Probenahmen durchzuführen.
Armbrüster: Das heißt, die OPCW könnte eine solche Untersuchung auch durchführen, solange dieser Krieg noch läuft?
Trapp: Das hat sie auch in der Vergangenheit gemacht und das wird sie auch jetzt wieder tun. Da bin ich sicher. Aber wie gesagt, diese Untersuchung orientiert sich zunächst mal darauf, die Umstände abzuklären und herauszufinden, was es denn für ein Kampfstoff gewesen ist, wenn es ein Kampfstoff war. Die Untersuchung der OPCW selbst ist nicht gezielt darauf gerichtet, Informationen dafür zu sammeln, wer dafür verantwortlich war. Das geht über den Rahmen der OPCW hinaus und das geht dann in den Bereich des sogenannten Joint Investigation Mechanism hinein, der vom Sicherheitsrat erstellt worden ist, an dem die OPCW sich natürlich beteiligt, zusammen mit Experten aus den Vereinten Nationen, und in denen man dann weitergeht und einschließt nachzuvollziehen, wer denn zuständig war. Daher kamen die Forderungen, dass die Syrer Zugriff erlauben sollen zu Fluglocks, zu operativen Berichten, zu den militärischen Standorten ihrer Hubschrauber und ihrer Flugzeuge, um an Ort und Stelle nachzuvollziehen, was eigentlich wirklich passiert ist.
Chemiewaffen-Übereinkommen 2013: "Hinweise, dass die syrischen Meldungen nicht vollständig waren"
Armbrüster: Herr Trapp, ganz kurz noch zum Schluss. Es waren ja einige richtig überrascht, dass so etwas überhaupt noch möglich war. Denn wir hatten ja eigentlich gedacht oder viele haben gedacht, dass die Chemiewaffen-Bestände in Syrien eigentlich komplett vernichtet worden sind in den vergangenen Jahren. Warum gibt es solche Vorräte denn immer noch?
Trapp: Ja, es sollte sie eigentlich nicht mehr geben. Das ist völlig richtig. 2013 ist Syrien dem Chemiewaffen-Übereinkommen beigetreten, hat seine Bestände gemeldet. Diese gemeldeten Bestände sind auch alle vernichtet worden. Das ist verifiziert worden von der OPCW. Die wurden außer Landes gebracht und wurden vernichtet. Was wir nicht wissen ist, ob die Meldungen seinerzeit vollständig gewesen sind, oder ob etwas zurückgehalten worden ist. Es ist auch nicht unbedingt klar, ob nicht inzwischen versucht worden ist, neue Kampfstoffe oder zumindest neue Vorstufen für Kampfstoffe zu bevorraten. Es hat immer wieder Hinweise darauf gegeben oder zumindest Anwürfe darauf gegeben, dass die syrischen Meldungen nicht vollständig waren. Dazu hat es auch dann entsprechende Maßnahmen in der OPCW gegeben, um den Syrern unter die Arme zu greifen und ihnen zu helfen, ihre Meldung zu vervollständigen. Das hat aber nie zu Ergebnissen geführt.
Armbrüster: Der Chemiewaffen-Experte und Toxikologe Ralf Trapp heute Morgen hier bei uns live im Deutschlandfunk. Vielen Dank für Ihre Auskünfte.
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