Es ist ein warmer Sommerabend auf Gut Immling, einem Pferdegehöft nahe Bad Endorf im Chiemgau, 50 Kilometer östlich von München gelegen; der strahlende, wolkenlose Himmel erlaubt den Blick auf die Gipfel des Alpenvorlandes, es riecht nach Dung und Heu – und es ist Premierenabend: Soeben hebt sich in der 600 Zuschauer fassenden Reithalle der Vorhang zu Donizettis Oper Lucia di Lammermoor. Das Festivalorchester Gut Immling spielt unter der Leitung von Kornelia von Kerssenbrock, es singt der Festivalchor und ein Sängerensemble, bestehend aus Solisten, die auch auf den großen Bühnen Europas und der Welt zu Hause sind. Es ist die zweite Premiere auf Gut Immling in diesem Jahr. Denn das Pferdegehöft ist eines der wohl ungewöhnlichsten Opernfestivals in Deutschland – es ist Bayerns zweiter "grüner Hügel" nach Bayreuth, wie selbst der bayerische Kultusminister sagt.
"... ich bin lieber der Zweite mit etwas ganz anders. Ich mag mich mit niemandem vergleichen. Was wir hier machen, ist ne Leidenschaft und hat damit angefangen, dass wir wegen schlechten Wetters in die Reithalle gingen. Das war vor siebzehn Jahren. Das hat sich in den siebzehn Jahren halt so entwickelt, dass wir auch 17000 Menschen haben und eigentlich jedes Jahr fünf Opern Neuinszenierungen und äh, ja ich glaube wir haben eine eigene Handschrift hier, wir haben mit den wenigen Möglichkeiten, die wir finanziell hier haben, fünf Opern in Eigenproduktion zu machen. Das ist nicht ganz einfach, aber ich finde, es ist auch eine Herausforderung, um eine „Traviata“, einen „Don Carlos“ eine „Aida“, eine "Carmen" eine "Lucia di Lammermoor", wie dieses Jahr. Und auch Mut, glaube ich, haben wir auch, dass wir seit Jahren eine Barockoper hier aufführen."
… sagt Intendant Ludwig Baumann lächelnd.
Dabei liegt dem 1994 gegründeten Festival eine Tragik zugrunde: Denn noch vor 20 Jahren führten den heute 61-jährigen Baumann Engagements als Sänger an alle großen Opern- und Konzerthäuser der Welt, nach Berlin, Paris und New York. Bis zu jenem Tag, als er an der Dresdner Semperoper bei einer Probe zu Verdis "Ein Maskenball" kopfüber von der Bühne stürzte. Baumann verletzte sich am Rücken, lag zwei Jahre im Krankenhaus und kann seitdem keine Partie mehr schmerzfrei singen. Nach dem Unfall zog sich der gebürtige Rosenheimer in seine Heimatregion zurück, pachtete das Gut und baute als passionierter Reiter die Halle darauf. Doch ihm wurde langweilig ohne Theater und Musik und irgendwann hatte er die Idee, mit Berufssängern und den Musikvereinen aus Bad Endorf, Eggstädt und Rosenheim Mozarts "Zauberflöte" zu inszenieren: auf dem Baggersee nahe bei Immling. Es waren die eigentlichen Geburtsstunden des Festivals.
In der hölzernen Reithalle ringen verfeindete schottische Adelsfamilien um politischen Einfluss
In der hölzernen Reithalle sind alle 600 Plätze besetzt. Man sitzt in langen Reihen bequem auf gepolsterten Sesseln und glaubt den ländlichen Geruch zu verspüren, jene Mischung aus Dung und Heu; und unter den Füßen fühlt man den Sand, auf dem einst Reiter Pferde ritten. Der Boden hat ein leichtes Gefälle und gibt auch den Zuschauern auf den hintersten Plätzen einen tadellosen Blick auf die etwa 30 Meter große Bühne: Dort ringen die verfeindeten schottischen Adelsfamilien Ravenswood und Ashton um politischen Einfluss, während ihre Kinder Lucia und Edgardo einander in tiefer Liebe verbunden - es ist die tragische Geschichte von Romeo und Julia, die Donizetti zu seiner romantischen Belcantooper inspirierte.
Die meisten Choristen, die vor der Reithalle in Maske und Kostüm auf ihren Auftritt warten, kommen aus Rosenheim oder den umliegenden Dörfern. Sie singen als Laien im Festivalchor Immling und arbeiten sonst als Bäcker, Versicherungskaufleuten oder Bauern. Auf der Bühne zu singen, zu spielen, so sagen viele, sei ihr Hobby, ihre Leidenschaft. Theater und Oper sind eigentlich städtische Künste. Doch hier scheinen sie tief verwurzelt zu sein.
"Das ist Idealismus, reiner Idealismus. Wir bekommen auch nix bezahlt, sondern wir machen das freiwillig. Es ist ein Laienchor der aber professionellen Status hat",
… sagt Joachim, der in einer Schlosserei in Rosenheim arbeitet. Seit 15 Jahren ist er dabei. Er komme aus einer musikalischen Familie, sagt er, wo vor allem Jazz und Country gespielt worden seien. Als Schüler habe er in einer Band gespielt, heute gehöre seine Leidenschaft dem Chorgesang.
"Wir kriegen eine Gesangsausbildung und alles, was uns zusteht. Aber wie gesagt, da kommen Leute von weit her, von sehr weit her - auch im Winter. Die Proben beginnen bereits im Oktober, im ganzen Winter rum.Und dann müssen sie sich vorstellen, wenn dann mal Schneeverwehungen sind … dann ist das nicht unbedingt für jeden einfach, aber die Leute sind da, sind immer da."
Der spanische Tenor Xavier Moreno singt in der Inszenierung die Partie des Edgardo di Ravenswood, des Geliebten der Lucia Ashton. Für Moreno, der auch an international bedeutenden Opernhäusern wie an der "Opéra National de Paris" und dem "Gran Teatre del Liceu" in Barcelona gastiert, sind die Opernfestspiele auf Gut Immling eine besondere Sache.
Ein Gefühl von Urlaub trotz hohen künstlerischen Niveaus
"Es ist fast ein Gefühl von Urlaub, das sich hier einstellt, aber das künstlerische Niveau ist trotzdem sehr hoch. Eine Oper auf dem Lande - das ist eine tolle Idee; es ist zwar manchmal lästig, wenn man hier plötzlich Kühe und Schafe hört, oder einen öfters, als gewünscht eine Mücke begrüßt. Aber sonst ist alles fantastisch, vor allem das Publikum: Die Leute, die hierherkommen, sind sehr begeistert."
Begeisterte Zuschauer gibt es überall; doch hier reizt sie auch das Besondere, Ungewöhnliche der Oper auf dem Land.
"Sehr entspannt ist es, sehr heimatnah verbunden. Also ich find's super."
"Man guckt hier jetzt über die Wiese in die Wälder und der Sonnenuntergang ist da und das ist einfach schön zum Anschauen."
"Nun ja, das ist mal etwas anderes. Es ist net, wie wenn man im München im Opernhaus sitzt. Die Atmosphäre, der alte Kuhstall oder der alte Pferdestall, den man hier umgebaut hat. Das ist doch super ... prima Leistung, muss ich sagen, das hier zu installieren und durchzuziehen, find' ich schon."
"Es heißt ja immer an vielen Opernhäusern: Opern für alle. Das ist so ein Slogan, den können wir wirklich auch, der ist toll der Slogan. Aber bei uns ist es wirklich so. Bei uns geht jeder Bäcker, jeder Bauer, jeder aus der ganzen Umgebung geht in die Oper, keine Hemmschwelle. Bei uns kommen sie vom eleganten Abendkleid bis zur Jeans und manchmal auch in der Bauernhose."
… sagt Intendant Ludwig Baumann.
Eine Kuhglocke signalisiert, dass die Pause vorbei ist, und ruft die Zuschauer in Abendkleid, Jeans oder Bauernhosen wieder in die Vorstellung zurück. Damit Donizettis Oper Lucia di Lamermoor in der Reithalle auf dem "grünen Hügel" von Gut Immling ihre Fortsetzung nehmen kann, damit die georgische Sopranistin Tatiana Larina als Lucia und der spanische Tenor Xavier Moreno als Edgardo in die Intrigen und Machenschaften ihrer verfeindeten Familien verstrickt werden; damit ihre Liebesgeschichte wie die von Romeo und Julia tragisch endet. Musikalisch begleitet vom Immlinger Festspielorchester, besungen von renommierten Künstlern und ortsansässigen Laien; beklatscht, bejubelt, gefeiert vor allem – nicht nur von akademisch gebildeten Musikfreunden wie in Berlin, München oder Hamburg, sondern auch von Musik liebhabenden Bäckern, Schlossern und Bauern aus den Dörfern nahe Bad Endorf im Chiemgau.
Nach der Aufführung intoniert ein Flötist Brahms Ungarischen Tanz
Doch das Ende einer Oper bedeutet auf Gut Immling kein Ende der Musik. Denn im großen Festzelt, wo später die Zuschauer an gedeckten Tischen sitzen, ein Buffet auf hungrige Gäste wartet und Kellner Bier und Wein ausschenken, wird weiter musiziert. Es ist ein Markenzeichen des Opernfestivals auf Gut Immling, dass die Künstler, die eben noch auf der Bühne standen oder im Orchestergraben saßen, weitere musikalische Kostproben zum Besten geben - mitunter nicht ganz ernst gemeinte: so wie etwa die von Curt, dem amerikanischen Flötisten, der Brahms Ungarischen Tanz auf einer Pfeife neuseeländischer Maori intoniert.
Gegen zwei Uhr nachts verlassen die letzten Gäste das Festzelt auf dem "Grünen Hügel" von Gut Immling, wo die Reithalle steht, Deutschlands wohl ungewöhnlichstes Opernhaus, verzaubert, verwundert von der musikalischen Hochkultur zwischen blökenden Schafen, Pferden und Schweinen und dem ländlichen Geruch, jener Mischung aus Dung und Heu. Das sei kein Widerspruch, hört man immer wieder, das liege in der Tradition.
Von Rosenheim geht es andern Tages auf der Bundesstraße 93 Richtung nach Süden: entlang des Inn und vorbei an den grünen Hügeln der Chiemgauer Alpen. Das Ziel ist Kiefersfelden, die 6000 Seelengemeinde nahe der österreichischen Grenze und dort ein zweistöckiges Holzhaus aus dem 19. Jahrhundert nahe der Dorfstraße.
"Ja die Anfänge liegen im Dunkeln, sind gekoppelt an die Gründung des Eisenwerkes, was es hier Ende des 16., Anfang des 17. Jahrhunderts gegründet wurde und die der Gemeinde neben einem gewissen Wohlstand auch einen überregionalen Austausch mit Gastarbeitern aus dem nördlichen und aus dem südlichen Tirol beschert hat, was bestätigt, dass dieses Theater auch immer von einer überregionalen, nahezu internationalen Kraft war."
… sagt Roland Dippel, Dramaturg bei den Ritterschauspielen Kiefersfelden
"Also hier war ganz stark der Jesuitenorden, der im Zuge der Gegenreformation diese Theaterkultur, die ja in den Großstädten, die wir also kennen aus den Hoftheatern und so fort auch hier aufs Land verpflanzt hat - und hier in Kiefersfelden sind wir deshalb einmalig, weil sich diese Spieltradition lückenlos bis in die Gegenwart erhalten hat."
Die Ritterschauspiele Kiefersfelden sind seit 1618 das älteste Dorftheater in Deutschland
Die Ritterschauspiele Kiefersfelden sind seit 1618 das älteste Dorftheater in Deutschland. Einst wurden hier, in zutiefst katholischer Gegend christliche Mysterienspiele wie "Der heilige Sebastian" und die "Die heilige Katharina" abgehalten, geschrieben von dichtenden Klerikern und in Szene gesetzt von den Bauern des Dorfes. Doch im Zuge der Säkularisierung des 19. Jahrhunderts wurden die christlichen Sakralspiele verboten. So veranstaltete man Ritterschauspiele, wie etwa die von Johann Georg Schmalz, dem Dichter, von dessen Namen sich das Adjektiv "schmalzig", als Synonym für "sentimental" herleitet. Die Stücke erzählten genauso vom ewigen Kampf zwischen Gut und Böse und Himmel und Hölle. Noch heute werden sie im Sommer in Kiefersfelden gespielt - und Musik spielt dabei eine große Rolle.
"Die Musik hat im Jesuitentheater schon eine ganz besondere Bedeutung gehabt, weil es ja darum ging, durch Prunk die Massen zu beeindrucken. Jetzt gibt es hier im Inntal eine ganz reiche volksmusikalische Kultur, nicht das, was man aus den großen Volksmusiksendungen kennt, sondern ganz wunderbare, filigrane Klanggebilde: Diese Andachtsjodler, Saitenmusik aus Zitter, Hackbrett und Harfe zum Beispiel. Und dieses Musikgut wurde auch instrumentalisiert für die Ritterschauspiele. Man kann tatsächlich sprechen von Opern für Ländliche."
Auf der barocken Drehbühne mit ihrem weißen Proszenium proben Einwohner aus Kiefersfelden "Rudolf von Westerburg oder das Pettermännchen", ein Schauspiel von Josef Georg Schmalz aus dem Jahre 1838. In ihm verbindet sich der Titelheld wie Doktor Faustus mit dem Bösen, um Lebenskraft und Lust zu erlangen. So ergeht er sich in erotischer Freibeuterei und gerät in den fatalen Rausch des Verbrechens.
Die Darsteller legen bei Umbauten mit Hand an und ziehen Prospekte eilfertig an den fast 200 Jahren alten Zügen nach oben. Ein jeder ist hier Schauspieler, Musiker und Bühnenarbeiter - und mancher nähert sich auch dem Sänger:
Die Neigung zum Mysterienspiel im Chiemgau scheint heute noch lebendig zu sein, wenn etwa aus Reithallen Opernhäuser werden und Laien neben international renommierten Künstlern auf der Bühne stehen. Tatsächlich laden im kleinen Chiemgau vor allem im Sommer fast ein Dutzend musikalische Veranstaltungen zum Besuch ein: „Der Musiksommer zwischen Inn und Salzach“ etwa, das Kammermusikfestival "Festivo“ in Aschau oder die "Herrenchiemsee-Festspiele2 auf der Herreninsel im Chiemsee. Von den vielen Blasmusikkapellen und Kirchenchören ganz zu schweigen.
Aschau im Chiemgau. Direkt an der Autostraße nach Sachrang liegt die Festhalle Hohenaschau, ein 1895 errichteter Natursteinbau, der ähnlich wie die Oper auf Gut Immling einst ein Stall für Pferde war. Im Norden und Westen erstrecken sich freie Wiesen; im Süden erhebt sich auf einem Felsrücken das Schloss Hohenaschau, mit seinen rot-weißen Fensterläden. Einstmals Sitz der in der Herrschaft Hohenaschau ansässigen Adelsgeschlechter wie derer von Freyberg und von Preysing ist das Schloss heute ein Ferienheim. Umschlossen ist das Areal um die Festhalle und das Schloss von den Bergen um die 1669 Meter hohe Kampenwand.
"Ich glaube, dass hier der Nährboden ... gut ist. … Es gibt Publikum, es gibt gute Orte, wo man tolle Konzerte machen kann, also Schlösser, Seen, Landschaft. Es gibt einen großen Förderwillen, also hier ist die Unternehmensstruktur so, dass die mittelständischen Unternehmen, die hier angesiedelt sind, sind glaube ich alle engagiert in Kulturinitiativen, und zwar in Musikinitiativen. Das hat schon Tradition, auch seitens der Gemeinden und der Politik ist eine große Offenheit da. Die Gemeinden haben, glaub' ich verstanden, dass ein Musikfestspiel etwas ist, was auch ihnen etwas wieder zurückgibt."
Der Bratschist Johannes Erkes. ist Chef des "Festivo", dem Festival für Kammermusik. Nach Jahren, in denen der international renommierte Musiker in Italien arbeitete, etablierte er 1993 mit dem "Festivo" in seiner Heimatstadt ein weiteres Musikfest. Jedes Jahr im Sommer wird es an drei Spielstätten in Aschau gefeiert: der Festhalle, dem Schloss und der Högermühle, einem alten Sägewerk in der Nähe.
"Ich habe Freunde in Italien, die würden auch ein tolles Festival machen. Aber die haben diesen Nährboden nicht. Die haben zwar die tollen Locations und die haben ne tolle Landschaft und gutes Essen, aber da ist - danach Schluss."
Auch das "Festivo" setzt auf sehr persönliche Atmosphäre
Ähnlich wie das Opernfestival auf Gut Immling setzt das "Festivo" auf eine sehr persönliche Atmosphäre; die gastierenden Musiker sind zumeist befreundete Kollegen des Festivalgründers, teilen seine musikalischen Vorlieben und Herangehensweisen. In der Vergangenheit gastierten hier international renommierte Musiker wie der Amerikaner Dollar Brand oder das preisgekrönte Vocalensemble "Singer Pur".
Das "Festivo" widmet sich einem anspruchsvollen, innovativen Repertoire; auf ihm stehen zeitgemäße Interpretationen von Kammermusik, etwa der von Beethoven, Schubert oder Brahms oder Kammerversionen von Opernwerken wie Verdis "Aida" oder Webers "Freischütz". Dennoch ist vor Ort das Interesse auch für Kammermusik groß, kommt etwa die Hälfte der Besucher aus der Region - etwa wenn die renommierte Camerata Janiczek im barocken Preysingsaal des Schlosses Hohenaschau Mozarts Streichquintette spielt.
Am Südufer des Herrenchiemsees, der etwa zwei Quadratkilometer großen Insel im Chiemsee schaut man direkt auf die Gipfel der Chiemgauer Alpen, den Geigelstein, die Kampenwand und die Hochgern. Die Insel ist vor allem für das Neue Schloss Herrenchiemsee bekannt, das Bayernkönig Ludwig II. hier 1878 erbauen ließ. Im alten Schloss Herrenchiemsee, im 17. Jahrhundert als Augustinerkloster errichtet, berieten im August 1949 Abgeordnete der neu gegründeten Bundesländer über das Grundgesetz. Heute hat hier der Dirigent Freiherr Ennoch von und zu Guttenberg sein privates Domizil:
"Es gibt nirgends auf der Welt eine solche musikalische und Volksliedtradition wie im Gebirge. … Da gab es ja vor dem Klimawandel viele, harte Winter, und in den Bauernhöfen hat man sich im Winter sozusagen gesellschaftlich mit Zitterspielen, mit Hackbrett, mit Gitarren, Bass und da hat sich entwickelt. Das gibt es in Österreich, in der Schweiz und in Bayern, hat sich entwickelt Dreigesang, Viergesang und diese Art Stubenmusik, wie man das nennt. Und diese Menschen haben sich Notabene wieder in der Kirche getroffen und dadurch ist so wie bei Johann Sebastian Bach auch oder bei Mozart und diesen Familien, sind sehr viele musikalische Generationen zusammengekommen.
Unglaubliche Vielzahl an hochbegabten Leuten
Und daher gibt es hier diese unglaubliche Vielzahl an musikalisch hochbegabten Leuten und daraus hat sich entwickelt, dass eigentlich jedes Dorf anfing, seine eigenen kulturellen Höhepunkte zu haben, aus denen sich später dann Festivals entwickelt haben, immer größer und immer mehr --und das Ende vom Lied ist wegen mir auch sogar die Münchner Oper. Die Idee, dass man wie in Immling in einer Reithalle, Opern beginnt aufzuführen - das ist ja noch nicht einmal dem Justus Frantz eingefallen."
Das neue Schloss Herrenchiemsee ließ der verträumte, kunstsinnige Bayernkönig Ludwig II. nach den Entwürfen des Architekten Georg von Dollmann ab 1878 errichten. Seine historistische Fassade, sein Park und seine Wasserspiele lehnen sich an die des Schlosses von Versailles bei Paris an. Der Bau sollte eine deutsche Version des berühmten davon sein. Fertig gestellt wurde das Neue Schloss Herrenchiemsee nie, doch seit Anfang des 20. Jahrhunderts ist es der Öffentlichkeit zugänglich. Heute besichtigen bis zu eine halbe Million Besucher jährlich seine Flure und Räume, deren Verzierungen barocken Formen nachempfunden sind. Und - seit 2000 werden hier jedes Jahr im Sommer die „Herrenchiemsee-Festspiele“ abgehalten.
Mit dem Schiff geht es auf die benachbarte Fraueninsel, wo seit dem achten Jahrhundert ein Benediktinerkloster steht.Die "Herrenchiemsee-Festspiele" ziehen alljährlich Besucher aus dem In- und Ausland an, und alljährlich werden sie im "Münster" der Fraueninsel, mit einem Konzert eröffnet.
"Wir haben versucht, mit den Eintrittspreisen so moderat zu bleiben, das die hiesigen Menschen auch reingehen können und die kommen auch. Aber - die Leute kommen auch sehr viel aus Amerika, aus Japan.
Aber wir sind eben nicht mit den Preisen rauf; sondern sie können bei uns mit einer, also die billigsten Karten bei uns sind, um die 40 Euro. Und sie können mit dem Erwerb einer Karte, haben sie die Schiffsfahrt mit drin, eine Kutschfahrt mit drin, die Parkplätze mit drin in Prien, dann die intellektuellen Einführungen pro Konzert, dann während der Pause, die Pausengestaltung mit den Alphörnern, was es halt hier so gibt auch den höfischen Charakter, den wir hier so halten wollen."
… sagt Freiherr Ennoch zu Guttenberg, Gründer, Intendant und künstlerischer Leiter der "Herrenchiemsee-Festspiele". Der „höfische Charakter“ des Festivals versteht sich als eine Reminiszenz an den geistigen Schöpfer von Herrenchiemsee, König Ludwig II. von Bayern. Nach ihm sollte die ungezähmte Natur, die Berge, der See und die wilde Insel in gezähmte Natur übergehen, in den Park und das Schloss; und - darin sollte nach dem Willen des Bayernkönigs Musik erklingen. Doch dazu kam es nicht mehr.
Idee eines höfischen Gesamtkunstwerks
Die Idee eines „höfischen Gesamtkunstwerkes“ gleichermaßen geboren aus Natur und Kultur, greifen die "Herrenchiemsee - Festspiele" auf und richten ihr Programm daran aus. In diesem Jahr steht es unter dem Motto "Barocke Phantasien“ und widmet sich unter anderem Komponisten wie Marin Marais. Jean Baptiste Lully und Johann Sebastian Bach.
Auch zum Eröffnungskonzert im barocken Münster auf der Fraueninsel erscheinen die Zuschauer vielfach im Smoking, Abendkleid und Tracht, weist ihnen livriertes Personal die Plätze zu. Gemäß der Idee der "Herrenchiemsee-Festspiele" entsteht auch dadurch ein Ort von Ruhe und Sammlung, zu dem das Publikum aufbricht und an dem es verweilt und - an dem es Kunst und Musik nicht konsumiert, sondern sie verinnerlicht und genießt.
"Die Menschen kommen wegen der Kombination der schönen Ortschaft, dem schönen Ort und der hervorragenden Musik. Die ist von vornherein garantiert.
Weil es immer ein ganz besonderes Erlebnis ist; das fängt an mit der Schifffahrt, mit der Stimmung, mit der Atmosphäre hier … Das findet man woanders nicht. "
"Zum Beispiel ist es ja hier nicht nur im Münster, es ist ja dann in Herrenchiemsee, in den schönen Spiegelsaal kommt man ja sonst gar nicht so rein. Da wird man dann bei der Führung durch gescheucht. Und dann kann man da den ganzen Abend verbringen.
Zur Eröffnung der diesjährigen Herrenchiemsee-Festspiele stehen Kantaten von Johann Sebastian Bach auf dem Programm, darunter "Gott der Herr ist Sonn' und Schild". Es spielen und singen Miriam Meyer, Olivia Vermeulen und Daniel Johannsen sowie der Kammerchor und das Orchester der "Klangverwaltung". Es dirigiert Reinhard Goebel. Geistliche Musik in einer Kirche zu hören ist nichts Ungewöhnliches - doch hier im Münster auf der Fraueninsel erscheint es fast als eine Reminiszenz an die Ursprünge der tiefverwurzelten, mannigfaltigen Musikkultur im Chiemgau.