Sarah O'Connor wird den Tag nie vergessen, als sie im Fernsehen die Nachrichten einschaltete. Sky News meldete gerade einen Hubschrauberabsturz im Irak und sie bekam plötzlich ein merkwürdiges Gefühl.
"Es war der Tag, an dem mein Bruder Bob getötet wurde. Dann reagierte mein Körper. Ich glaube, ich wusste es auf einmal. Das war der Tag, an dem meine Familie starb."
Sarah O'Connors Bruder Bob war unter den Toten, nachdem sein Hubschrauber abgeschossen worden war. Er ist einer von 179 im Irakkrieg gefallenen britischen Soldaten. Einige Angehörige wollen heute Tony Blair, den damaligen Premier, vor Gericht gestellt sehen.
"Wir waren im Untersuchungsausschuss, als Tony Blair aussagte. Er hat kein einziges Mal die Eltern angeschaut, die da waren", berichtet Valerie O`Neill, deren Sohn im Irak fiel. "Ich hätte von ihm gerne gewusst, warum er uns über die Massenvernichtungswaffen belogen hat. Warum sind wir in den Irak-Krieg gezogen? Was war der wahre Grund für diesen Krieg?"
Diese Fragen sind ziemlich genau die Fragen, die der Report einer von Sir John Chilcot geleiteten Kommission beantworten soll. Es gab schon einmal eine Untersuchung, 2004, die das Verhalten der Geheimdienste prüfte. Ihr Vorsitzender war Lord Robin Butler.
Tony Blair - als "Pudel der USA" verspottet
"Tony Blair hat mit den Massenvernichtungswaffen nicht gelogen. Er glaubte an deren Existenz, so wie die meisten Geheimdienste weltweit auch. Er wollte die USA unterstützen, weil er Saddam Hussein für gefährlich hielt. Ich kritisiere aber, dass er die Qualität und Zuverlässigkeit der Geheimdienstberichte übertrieben hat."
Butlers Urteil fällt vergleichsweise milde aus. Tony Blair wurde damals als "Pudel der USA" verspottet, angeprangert als Kriegstreiber und Kriegsverbrecher, an dessen Händen Blut klebt. Vom linken Flügel Labours wird er gehasst. Selbst Parteichef Jeremy Corbyn will ihn vor Gericht sehen. Eine völkerrechtliche Bewertung wird der Chilcot-Report aber wohl nicht vornehmen. Tony Blair selbst will erst nach dem Bericht Stellung beziehen, wehrt sich aber gegen den Vorwurf, der Irakkrieg habe den islamistischen Terrorismus groß gemacht.
"Nur im Irak haben sie eine Regierung, die den Terrorismus bekämpfen kann. Sie wird international anerkannt, auch von Saudi-Arabien und dem Iran. Ich verstehe alle die Aspekte, aber wir diskutieren sie, wenn der Chilcot-Bericht da ist."
Sieben Jahre Warten auf den Bericht
Ganze sieben Jahre hat es gedauert, bis der Bericht heute endlich vorgelegt wird. John Chilcot erklärte vor einem halben Jahr den ungeduldigen Unterhaus-Abgeordneten, warum.
"Sie können keine Deadline nennen, wenn die Arbeit nicht fertig ist. Alle genannten Personen durften ausführlich Stellung beziehen, nachdem der Bericht fertig war. Ich wollte die Angehörigen nicht enttäuschen und falsche Erwartungen wecken, wann der Bericht wahrscheinlich zur Verfügung steht."
"Diese Verzögerung ist ein Skandal", entgegnete Labour-Politikerin Dianne Abbot. "Die Menschen verstehen nicht, wenn mächtige Kreise dafür sorgen, dass der Bericht Jahr um Jahr verschoben wird."
Der Irak-Krieg vor 13 Jahren stellt für Großbritannien eine traumatische Erfahrung dar. Als es um einen Angriff gegen Syrien ging, weil deren Diktator Assad Giftgas einsetzte, weigerte sich das Unterhaus zuzustimmen. US-Präsident Barak Obama ließ kürzlich wissen, dass er sich von David Cameron im Stich gelassen fühlte. Die Angehörigen in Großbritannien aber hoffen heute, endlich zu erfahren, warum und wofür ihre Brüder und Söhne im Irak gestorben sind.