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Chile
Präsidentschaftswahl: Michelle Bachelet in den Umfragen klar vorne

Die Präsidentschaftswahl in Chile wird wohl eine klare Angelegenheit - Michelle Bachelet, die Spitzenkandidatin der Mitte-Links-Opposition, liegt in den Umfragen uneinholbar in Führung. Die härteste Konkurrentin von Bachelet ist die Kandidatin der Konservativen, Evelyn Matthei.

Von Peer Vorderwülbecke | 16.11.2013
    In Chile steht ein Regierungswechsel an. Alle Umfragen sprechen dafür, dass Michelle Bachelet mit ihrer Mitte-Links-Koalition in den Präsidentenpalast einziehen wird. Und das, obwohl die Wirtschaft sich unter der konservativen Regierung hervorragend entwickelt hat. Das Wachstum soll im nächsten Jahr über vier Prozent betragen, die Arbeitslosigkeit ist extrem niedrig und das Pro-Kopf-Einkommen wächst rasant. Der Politik-Experte Patricio Navia versucht das zu erklären:
    "Ich glaube, es wird einen Wechsel geben. Allerdings eher einen Personal-Wechsel als einen Richtungswechsel. Chile hat seit dem Ende der Diktatur, eigentlich seit der Diktatur ein neoliberales System, das dem Markt sehr freundlich gegenübersteht. Das hat der letzte Präsident so beibehalten und wahrscheinlich wird Michelle Bachelet es auch beibehalten."
    Die Verfassung, die den Rahmen für die neoliberale Wirtschaftsordnung vorgibt, stammt noch aus der Militärdiktatur. Bachelet will diese Verfassung ändern. Aus politischen und ökonomischen Gründen – und vielleicht auch ein bisschen aus persönlichen. Denn die 62jährige Politikerin hat stark gelitten unter der Militärdiktatur, die 1973 begonnen hat.
    Allerdings spricht Bachelet nicht öffentlich über ihre Geschichte. Als 20jährige Studentin wurde sie zusammen mit ihrer Mutter zwei Monate im berüchtigten Folterlager Villa Grimaldi interniert. Was dort genau passiert ist, das hat sie bis heute nicht erzählt. Cristian Gutierrez kann es sich zumindest vorstellen, der Historiker arbeitet in der Gedenkstätte Villa Grimaldi.
    "Diese geheimen Gefangenenlager wie Villa Grimaldi, existierten, um zu foltern. Wer hier landete, wurde in größerem oder geringerem Maße gefoltert. Sei es durch Prügel oder durch Stromschläge. Und allein, dass man festgenommen und entführt wird und in so einem Ort eingesperrt wird – das ist Folter. "
    Die Zellen, in denen vier bis fünf Frauen eingepfercht wurden, waren fensterlose Verschläge mit einer Grundfläche von einem Quadratmeter. Fast 5000 politische Häftlinge wurden in der Vila Grimaldi gefoltert, 229 wurden getötet oder sind bis heute verschollen. Im vergangenen September, zum 40. Jahrestag des Militärputsches war Michele Bachelet als eines von vielen Opfern in das Folterlager zurückgekehrt – mit einer Rose in der Hand und Tränen in den Augen. Einige Stunden später hat Sie bei einer weiteren Gedenkfeier eine Rede gehalten – Diesmal als Präsidentschaftskandidatin. Sie appellierte an die chilenische Bevölkerung, in der Opfer und Täter nach wie vor zusammenleben.
    "Eine Versöhnung ist nur möglich, wenn wir verstehen, dass man die Vergangenheit nicht ungeschehen und nicht wieder gut machen kann. Und wir trotzdem bereit sind für eine gemeinsame Zukunft. Eine Zukunft, ohne Vergessen und mit Gerechtigkeit. Nur so können wir sicher sein, dass wir aus dieser schrecklichen Lektion gelernt haben. Wir werden nicht zulassen, dass sich diese Geschichte wiederholt."
    Fast scheint es aber, als wird Michelle Bachelet im Wahlkampf von ihrer eigenen Geschichte eingeholt. Die regierende konservative Partei hat Evelyn Matthei ins Präsidentschaftsrennen geschickt, eine Jugendfreundin Bachelets. Die beiden sind gemeinsam aufgewachsen, weil die Väter zusammen in der chilenischen Luftwaffe gearbeitet haben. Die tiefe Freundschaft der Väter zerbrach Jahre später durch den Militärputsch. Alberto Bachelet hat zum demokratisch gewählten Präsidenten Allende gehalten. Fernando Matthei hat sich den dem putschenden General Pinochet angeschlossen. Bachelet wurde festgenommen und gefoltert. Ausgerechnet in den Kellergewölben der Kriegs-Akademie der Luftwaffe. Die Leitung hatte zu diesem bereits Fernando Matthei übernommen. Alberto Bachelet starb im Frühjahr 1974.
    Diese tragische Geschichte der beiden Präsidentschaftskandidatinnen wurde im Wahlkampf nicht thematisiert. Und dass obwohl mitten in den Wahlkampf die umfangreichen Gedenkfeiern zum 40. Jahrestag des Militärputsches fielen. Der Polit-Analyst Patricio Navía hat dafür eine Erklärung parat:
    "Das ist ein großes Thema für die ausländische Presse, aber es ist kein großes Thema für die Chilenen. Das ist keine Wahl bei der die Chilenen auf die Vergangenheit zurückblicken. Wenn sie nämlich zurückblicken, dann sehen Sie eine schlimme Vergangenheit, eine Vergangenheit in Schwarz und weiß, mit Armut, Arbeitslosigkeit und Verletzung der Menschenrechte. Mit dieser Vergangenheit wollen sie nichts mehr zu tun haben. Die Herkunft von Bachelet und Matthei ist nicht wichtig, wichtig ist ihre Fähigkeit, Treppen zu bauen, damit die Menschen den sozialen Aufstieg schaffen."
    Diese Fähigkeit wird Michelle Bachelet offensichtlich viel eher zugetraut als Evelyn Matthei. In den letzten Umfragen liegt Bachelet uneinholbar vor Matthei.
    Wenn die Favoritin Bachelet am Sonntag nicht die absolute Mehrheit erreicht, dann wird es in vier Wochen zu einer Stichwahl zwischen den beiden ehemaligen Jugendfreundinnen kommen. Ihre tragische Vergangenheit wird auch dann keine Rolle spielen.