Archiv

Chile
Protest gegen Bildungsreform

60 Prozent der Schulen in Chile werden von privaten Trägern betrieben, die mit dem Schulgeld kräftig Gewinn machen. Diesem Geschäft will die Regierung nun ein Ende bereiten und die Schulen für alle Kinder öffnen. Auch der Unterricht soll gratis sein. Doch dagegen gibt es harsche Kritik.

Von Daniela Englert |
    Demonstranten auf einer Straße, einer schwenkt die chilenische Flagge mit der Aufschrift "Sin profesores no hay reforma"
    Bereits im November vergangenen Jahres gab es in Chile Proteste gegen die Schulreform. (MARTIN BERNETTI / AFP)
    Seit Jahren protestieren die Studenten in Chile gegen hohe Studiengebühren und für ein Recht auf kostenlose Bildung. Nun plant die Regierung erste Änderungen im Schulbereich.
    Denn den Großteil der Primär- und Sekundarstufe stellen in Chile mittlerweile Privatschulen. Diese sind zwar staatlich subventioniert, doch meist können sich nur Eltern der Mittelschicht das Schulgeld leisten. Das soll sich in Zukunft ändern, erklärt die ehemalige Studentenführerin Camila Vallejos, die jetzt Abgeordnete und Mitglied der Regierungskoalition ist:
    "Als Erstes wollen wir die Zugangsbeschränkungen abschaffen, die derzeit verhindern, dass Eltern die Schule für ihre Kinder frei wählen können. Und die Barriere liegt eben hauptsächlich in der Zahlungskraft der Eltern. Wenn ich meinen Sohn auf eine Schule schicken will, die 70 Euro im Monat kostet und ich kann das nicht zahlen, dann habe ich keine Wahlfreiheit."
    Dabei ist geplant, dass der Staat die privaten Zuzahlungen der Eltern durch höhere Subventionen ausgleicht. Im Gegenzug sollen sich die privaten Betreiber in gemeinnützige Unternehmen umwandeln, Profit mit Staatsgeldern und Beiträgen der Eltern dürften sie dann nicht mehr machen. Solange Valenzuela vom Verband der Schulbetreiber kritisiert die Regierungspläne scharf:
    "Diese Reform, so wie sie geplant ist, bringt uns nichts, sie bringt niemandem etwas, nicht dem Land, nicht den Kindern Chiles, nicht dem Fortschritt. Wir müssten uns hinsetzen und über eine neue Reform reden, die die Qualität der Bildung als Basis hat, die kein Thema ist."
    Viele Eltern fürchten auch, dass nach der Schulreform die Bildungschancen ihrer Kinder sinken könnten oder gar Schulen schließen. Das hat besorgte Eltern zu einem Protest-Konvoi veranlasst:
    "Wir sind hier, weil wir gegen die Reform sind, sie ist ungerecht, auch gegenüber uns als Eltern, die Schule bringt gute Leistungen, es ist eine Eliteschule, deshalb wollen wir nicht, dass sie das System ändern. Fragen Sie die Herren Senatoren oder die Frau Präsidentin doch, wo sie ihre Enkel hinschicken? In eine öffentliche Schule oder eine reine Privatschule? Wir haben nicht das Geld für die Privatschule."
    Polemik um die Reform ist Spiegel der chilenischen Gesellschaft
    Bildungsminister Nicolás Eyzaguirre will die höheren Subventionen an strengere Vorgaben und Bildungsstandards knüpfen, denn bisher gibt es kaum Kontrolle über die Verwendung der Gelder.
    "Ich bin nicht müde zu wiederholen, dass ich überhaupt keinen Grund sehe, dass eine Schule schließen muss, es sei denn, dass sie nicht inklusiv sein will, nicht für alle Kinder offen. Dass ausgewählt wird, du ja und du nicht. Das können sie machen, aber sie können keine öffentlichen Gelder dafür verwenden, zu diskriminieren."
    Dem Minister sitzt auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Nacken. Demnach sind die Privatausgaben in Bildung in Chile die höchsten in der gesamten OECD. Ein Kind aus einer armen Familie habe es hier fünf mal so schwer, ein höheres Leistungsniveau zu erreichen, wie in jedem anderen entwickelten Land. Die Regierungskoalition aus Christdemokraten, Mitte-Links-Parteien und Kommunisten will nun Änderungsvorschläge im Parlament diskutieren. Camila Vallejos, Vorsitzende im Bildungsausschuss, sieht die Polemik um die Bildungsreform auch als Spiegel der chilenischen Gesellschaft:
    "Das Problem ist, glaube ich, ein politisches, dass einige meinen, dass Bildung in Chile auf Profitstreben basieren muss oder dass es einfach ein Geschäft ist - andere wiederum sehen die soziale Kluft als etwas gutes, natürliches an. Es gibt viel Gehässigkeit, weil wir in verschiedenen sozialen Milieus leben, in sozialen Klassen, wir treffen uns nie und die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person aus einer reichen Privatschule und eine aus einem Armenviertel sich jemals begegnen und kennenlernen ist minimal und das ist ein Problem für unsere Demokratie."
    Die Schulreform soll Ende des Monats verabschiedet werden. Sie ist Teil einer großen Bildungsreform, die auch ein kostenloses Studium zum Ziel hat.