EU und die China-Politik
Hoffnung auf konstruktive Gespräche mit dem "systemischen Rivalen"

Nach ihrer Grundsatzrede zum europäisch-chinesischen Verhältnis ist EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zusammen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach Peking gereist. Können die Beziehungen neu austariert werden?

04.04.2023
    Ursula von der Leyen und Emmanuel Macron stehen in die Kamera lachend nebeneinander. Sie trägt ein rotes Sacko, er ein blaues.
    Auf dem Weg zum "systemischen Rivalen": Ursula von der Leyen und Emmanuel Macron kurz vor ihrer Abreise nach China. (picture alliance / dpa / MAXPPP / Lp / Olivier Lejeune)
    EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sind gemeinsam nach China gereist, um mit dem chinesischen Machthaber Xi Jinping zu sprechen. China ist einer der größten Handelspartner der Europäischen Union – doch zugleich befindet sich das Land in einem sich immer weiter zuspitzenden Konflikt mit den USA und hat sich in Bezug auf den Krieg in der Ukraine weitgehend auf die Seite Russlands geschlagen.
    Das sorgt auch zwischen Europa und China zunehmend für Irritationen und Verstimmungen. Von der Leyen hat vor diesem Hintergrund eine Grundsatzrede mit der Forderung gehalten, die europäischen Beziehungen zu China auf ein neues Fundament zu stellen.

    Warum will EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Beziehungen zu China neu ausrichten?

    EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will die Beziehungen zu China „auf der Grundlage von Transparenz, Berechenbarkeit und Gegenseitigkeit“ neu austarieren. „Unsere Beziehungen sind unausgewogen und werden zunehmend von Verzerrungen beeinflusst, die durch Chinas staatskapitalistisches System verursacht werden“, sagte sie in einer Grundsatzrede in Brüssel.
    Dahinter steckt vor allem der Gedanke, dass die EU unabhängiger von China werden und die wirtschaftliche Risiken im Verhältnis zum bevölkerungsreichsten Land der Erde minimieren muss. Der Überfall Russlands auf die Ukraine hat gezeigt, wie schnell sich geopolitische Lagen ändern können, die dann auch die wirtschaftlichen Beziehungen massiv beeinflussen.
    Klarer Machtanspruch
    In der Analyse von der Leyens hat China einen klaren Machtanspruch. Chinas Präsident Xi Jinping wolle, dass China zur mächtigsten Nation der Welt werde, sagte sie. Die Beziehungen zu dem Land seien in den vergangenen Jahren schwieriger geworden, China verschärfe seine strategische Haltung und trete zunehmend selbstbewusst auf.
    Vor diesem Hintergrund sei das Verhältnis zu China eines der „weltweit komplexesten und bedeutendsten“. Wie damit umgegangen werde, bestimme entscheidend den wirtschaftlichen Wohlstand und die Sicherheit Europas.
    In ihrer Rede kritisierte von der Leyen China deutlich: Sie sprach über die Verletzung von Menschenrechten, Chinas militärische Drohgebärden gegenüber Taiwan und die Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin.
    Nicht von China abwenden
    Zugleich machte sie aber auch deutlich, dass die Konsequenz nicht sein könne, sich von China abzuwenden. „Ich glaube, es ist weder machbar noch im Interesse Europas, sich von China abzukoppeln“, betonte sie. Stattdessen warb sie für einen offenen Austausch. Entscheidend sei, diplomatische Stabilität und offene Kommunikation sicherzustellen.
    Einen Schwerpunkt legte von der Leyen auf wirtschaftliche Risiken für Europa. Handel und Investitionen könnten in einigen Bereichen durchaus Risiken für Europas Wirtschaft und die Sicherheit der EU-Mitgliedsländer bergen. Dies gelte etwa für den Handel mit zivilen Gütern, die auch militärisch genutzt werden können - und auch für Investitionen in China, bei denen Technologie- oder Wissenstransfer durch die Regierung in Peking erzwungen werde.
    Keine systemischen Rivalen unterstützen
    „Wir müssen sicherstellen, dass das Kapital, der Sachverstand und das Wissen unserer Unternehmen nicht dazu genutzt werden, die militärischen und nachrichtendienstlichen Fähigkeiten derjenigen zu stärken, die für uns auch systemische Rivalen sind“, sagte von der Leyen.

    Schlägt die EU mit der Neuausrichtung der Beziehungen zu China den richtigen Weg ein?

    Der ehemalige EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker bewertet die Initiative von der Leyens positiv und sieht die EU damit auf dem richtigen Weg. Zwischen Europa und China müssten Regeln festgelegt werden, die dann für beide Seiten verbindlich seien, fordert er im Dlf. China wolle wie schon vor ein paar Jahrhunderten erneut die Vorherrschaft auf der Welt einnehmen. Die Chinesen seien dennoch keine Feinde, sondern vor allem „Rivalen und Wettbewerber“.
    Ein Beenden der wirtschaftlichen Beziehungen wäre „verrückt“ und auch nicht im europäischen Interesse, so Juncker. Die Europäer sollten aber Risikominderung betreiben – und auch ihre Sicherheitsinteressen mehr wahren, als dies in der Vergangenheit der Fall gewesen sei.
    Für den Journalisten und China-Kenner Steffen Wurzel hat von der Leyen mit ihrer Rede gezeigt, dass die EU-Kommission China und seine Ansprüche sehr gut versteht. Nüchtern, ohne Polemik und ohne moralisierende Untertöne habe die EU-Kommissionspräsidentin deutlich gemacht, dass es angesichts der chinesischen Politik der vergangenen Jahre kein „Weiter so“ in der europäischen China-Politik geben könne. Es sei „eine wohltuend offene und ehrliche Ansage“, die überfällig gewesen sei.
    Auch die Sinologin Gudrun Wacker fügt sich in dieses Meinungsbild ein. Sie spricht von einem „Signal der stärkeren europäischen Koordinierung“ und einer „gemeinsamen Botschaft an die chinesische Regierung“. Kooperation, Wettbewerb und systemische Rivalität: Diese drei Dimensionen im Verhältnis zu China habe bereits ein EU-Papier 2019 benannt. Es sei ein Balance-Akt, klare Worte zu finden, sagt Wacker: „Aber ich denke, wir sind an einem Punkt, wo diplomatisches Gesäusel nichts hilft.“ Man müsse klar die Konfliktbereiche benennen und zugleich insistieren, dass es trotzdem Möglichkeiten zur Kooperation gebe. „Das hat Frau von der Leyen in der Rede sehr klar gemacht.“

    Wie wirtschaftlich abhängig ist Europa von China?

    China ist nach Angaben des Statistischen Bundesamtes der wichtigste Handelspartner der Europäischen Union. 2021 wurden zwischen China und der EU Waren im Wert von 696 Milliarden Euro gehandelt. Das entsprach rund 16 Prozent des gesamten EU-Warenverkehrs. Der Anteil der USA ist ähnlich groß, er lag bei rund 15 Prozent.
    22 Prozent Importe, 10 Prozent Exporte
    Beeindruckend sind vor allem die Zuwachsraten im Handel mit China: Im Jahr 2000 hatte dieser noch einen Anteil von nur 4,4 Prozent am EU-Warenverkehr. Bei Importen und Exporten gibt es zwischen Europa und China ein Ungleichgewicht. 2021 kamen rund 22 Prozent der Importe aus China, während nur rund zehn Prozent der europäischen Exporte nach China gingen.
    Viele europäische Unternehmen haben inzwischen in China investiert und sind auf das Land als Absatzmarkt angewiesen. VW, Mercedes-Benz und BMW beispielsweise verkaufen jeweils noch etwa ein Drittel ihrer Fahrzeuge in dem Land. Und auch im Bereich der Rohstoffe ist Europa von China abhängig – zum Beispiel bei den Seltenen Erden, die für Zukunftstechnologien wie Brennstoffzellen und Elektromotoren gebraucht werden. Auch aus China exportierte pharmazeutische Produkte, Elektronikteile und Chemikalien könnte die EU nicht von jetzt auf gleich ersetzen.
    China ist auch auf Europa angewiesen
    Zum vollständigen Lagebild gehört allerdings auch, dass China auf Europa angewiesen ist – als Technologielieferant seien die europäischen Staaten für das Land unverzichtbar, auch wenn ihre Bedeutung abgenommen habe, sagt die Sinologin Gudrun Wacker.
    Dass es viele gegenseitige Abhängigkeiten gibt, ist unbestritten, doch wie groß sie sind, wird durchaus unterschiedlich beurteilt. So sagt beispielsweise der Außenwirtschaftschef der DIHK, Volker Treier, China werde wirtschaftlich überschätzt. „Wir fragen immer nach unserer Abhängigkeit, China ist auch wahnsinnig abhängig von uns“, betonte er im Dlf.

    Welche Rolle spielt der Konflikt zwischen den USA und China für die europäisch-chinesischen Beziehungen?

    Die Beziehungen zwischen den USA und China befinden sind derzeit in kritischem Zustand. Die Haltung der Chinesen zum Krieg in der Ukraine, Spionage-Ballons über US-amerikanischem Gebiet, die Taiwan-Frage und wirtschaftliche Sanktionen der Amerikaner, die die Chinesen als „Schikane“ betrachten: Das Verhältnis der beiden Länder ist eisig, und Experten wie der Sinologe Sebastian Heilmann sehen derzeit wenig Aussicht auf Besserung. Die Situation sei ernst, ein militärischer Konflikt zwischen beiden Ländern durchaus möglich, so Heilmann.
    Diese Spannungen werden dem Sinologen zufolge auch den Spielraum der Europäer in ihrem Verhältnis zu China begrenzen. Demzufolge werden die Amerikaner ihre Verbündeten auf einen harten Kurs gegenüber China verpflichten. „Und das heißt, dass diese Idee, dass Europa da irgendwie auf dem Zaun sitzen und mit beiden Seiten weiterhin Geschäfte machen könnte, dass diese Vorstellung immer mehr eingegrenzt wird.“
    Die Sinologin Gudrun Wacker sieht das anders, zumindest für die aktuelle Lage: Im Moment hätten die Europäer eine Chance, Einfluss auf China zu nehmen, betont sie. Denn die Chinesen wollten nicht, dass sich Europa ganz auf die Seite der USA schlage.
     Quellen: Dlf, dpa, bpb, ahe