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China-Experte zu NATO-Gipfel
"China fühlt sich tatsächlich angegriffen"

Die NATO sieht Peking als systemischen Rivalen und legte bei ihrem Gipfeltreffen einen Schwerpunkt auf die Militärmacht. Als Gegenstrategie würden die Chinesen versuchen, westliche Bündnisse zu spalten, sagte Mikko Huotari vom Mercator-Institut für China-Studien im Dlf. Deutschland käme dabei eine Sonderrolle zu.

Mikko Huotari im Gespräch mit Thielko Grieß |
Chinesische Soldaten mit OP-Masken maschieren hinter einem Zaun.
China hat die Kritik der Nato an der eigenen Politik zurückgewiesen (IMAGO/ZUMA Wire/Todd Lee)
Beim NATO-Gipfeltreffen stand ein Land im Fokus, das nicht in der Runde vertreten war: China. Bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel hatten die Staats- und Regierungschefs der NATO-Staaten am Montag (14.06.2021) deutlich Position zu Peking bezogen. Das Land stelle durch sein Verhalten "eine systemische Herausforderung für die regelbasierte internationale Ordnung" dar.
US-Präsident Joe Biden sagte, China und auch Russland versuchten, einen Keil in die transatlantische Solidarität der NATO zu treiben. Die Reaktion kam umgehend. Die Vertretung Pekings bei der EU teilte mit, die Militärallianz übertreibe die Bedrohung, die von der Volksrepublik ausgehe. Sie schaffe damit Konfrontation. Die NATO solle Chinas Entwicklung rational betrachten, hieß es weiter.

Laute Warnung aus Peking

Das zeige, dass China sich angegriffen fühle, sagte Mikko Huotari vom Mercator-Institut für China-Studien im Deutschlandfunk. "Die Warnung aus Peking ist recht laut und deutlich gewesen, dass man sich von so einer US-geführten Allianz nicht in die Enge drängen lassen möchte", so Huotari. Dabei sei klar, dass die Führung in Peking in internationalen Beziehungen ihre Außenwelt sehr stark aus dem bilateralen Strukturkonflikt mit den USA ableite. China erkenne, dass die NATO nicht mehr nur noch Russland, sondern zunehmend auch China als Bedrohung begreife. Die Gegenstrategie Chinas sei es, so Huatori, die Bündnisse zu spalten - in Europa, aber auch in Südostasien.
Deutschland komme dabei eine besondere Rolle zu. Peking sehe in Berlin immer noch einen Partner, der eigenständige Wirtschaftsinteressen verfolge und auch nicht in einem Paradigma eines neuen Kalten Krieges gefangen sei, so Huotari. Deutschland werde als differenzierter wahrgenommen, als Akteur mit eigenen Interessen.
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Das vollständige Interview im Wortlaut:

Thielko Grieß: Wenn die NATO, wie gestern beschlossen, beim Stichwort China von systemischem Rivalen spricht, fühlt sich Peking da eigentlich angesprochen?
Mikko Huotari: Ja, nicht nur angesprochen, sondern tatsächlich angegriffen. Ich glaube, die Warnung aus Peking ist da recht laut und deutlich gewesen, dass man sich von so einer US-geführten Allianz natürlich nicht in die Enge drängen lassen möchte.
Es ist aber auch klar, dass Peking sich getroffen im Mark fühlt, denn zuhause ist die Rede ja selbst sehr stark von einem systemischen Wettbewerb, von den systemischen Vorteilen, die China beispielsweise gerade im Kampf gegen die Pandemie doch gezeigt habe. Insofern: Getroffen, betroffen und tatsächlich auch im Mark angegriffen.
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Grieß: Das heißt, die NATO wird ernst genommen, oder sind es tatsächlich eigentlich nur die USA, der wichtigste Spieler in der NATO?
Huotari: Es ist schon klar, dass die Führung in Peking internationale Beziehungen, ihre Außenwelt doch sehr stark aus dem bilateralen Strukturkonflikt mit den USA ableitet, und die NATO wird da gewissermaßen als Bündnis des Westens, genauso der G7-Club als ein Club, der noch aus der alten Zeit sei, beschrieben. Die NATO wird, glaube ich, ernst genommen, weil schon anerkannt wird, dass hier eine Verschiebung stattfindet im Narrativ der Bedrohungskulisse, wo neben Russland zunehmend auch Peking und China genannt wird.

Deutschland soll Weichheit in Allianz bringen

Grieß: Erkennen Sie eine Gegenstrategie Chinas gegen diese Strategie, die sich im sogenannten Westen abzeichnet?
Huotari: Ganz klar! Da geht es zum einen natürlich darum, die beiden Ankerregionen für diese Wiederbelebung des Westens und der US-Dominanz zu spalten, wo es möglich ist. Da geht es um Europa! Da geht es auch um Ostasien, Südostasien – jeweils Staaten dort zu finden, die dafür sorgen, dass dieses neue Paradigma, sich gegen China zu stellen, nicht durchgreifend, nicht wirkkräftig wird. Da spielen auch Staaten wie Deutschland eine große Rolle, wenn es darum geht, eine Weichheit in diese Allianz reinzubekommen, die dann vielleicht Peking zugunsten kommt.
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Grieß: Das Stichwort Deutschland ist ein ganz interessantes Stichwort. Deutschland hat ja ein wenig gebremst, so liest man es zumindest, auf diesem NATO-Gipfel – zum Beispiel, was dieses Abschluss-Kommuniqué, die Abschlusserklärung anbetrifft. Da ist auch in der Tat von Dialog die Rede, nicht nur von Abschreckung oder systemischer Rivalität, sondern auch von Dialog. Es ist bekannt: Deutschland ist ein sehr wichtiger Handelspartner für China und umgekehrt. Darf Berlin da ein wenig Dankbarkeit aus Peking erwarten?
Huotari: Ich glaube, Dankbarkeit ist vielleicht zu viel. Aber dass Peking in Berlin einen Partner immer noch sieht, der eigenständige Interessen hat, Wirtschaftsinteressen natürlich, die auch gegenüber China verfolgt werden, aber vielleicht auch nicht so gefangen ist in diesem Paradigma eines neuen Kalten Krieges und hier versucht, Europa auf einen anderen Kurs einzustellen, der etwas differenzierter vielleicht ist und die Kooperationsnotwendigkeiten insbesondere mit China noch weiter betont. Ob das Muster Dialog und Konfrontation gleichzeitig funktioniert und ob nicht die Fragen, die da kritisch im Raum stehen, angefangen von Menschenrechtsverletzungen, aber auch der Spannungen, die sich gegenüber Taiwan ergeben, ob das nicht am Ende überwiegt, das muss sich noch zeigen.

Berlin hat eigne Interessen

Grieß: Wird Berlin womöglich als naiv wahrgenommen?
Huotari: In Peking glaube ich nicht, dass Berlin als naiv wahrgenommen wird, aber als ein Akteur, der andere Interessen hat. Und dass diese Interessen teilweise gleichgerichtet sind mit Peking, das würde, glaube ich, auch in Berlin niemand bestreiten. Aber es bleibt klar: Berlin hat hier eine Sonderrolle in der Europäischen Union, steht aber auch nicht alleine da.
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Grieß: China und die Europäische Union sind ja auch schon aneinander geraten. Eigentlich wollten beide Seiten ein Investitionsschutzabkommen in Kraft setzen. Es hat die ersten Hürden genommen, aber jetzt liegt es auf Eis. Das Europäische Parlament müsste zustimmen. Es sieht aber nicht danach aus, nachdem China und die Europäische Union gegenseitig Personen sanktioniert haben und auch Organisationen. Auch Ihr Institut ist inzwischen sanktioniert von China. - Abgesehen davon: Ist es so, dass sich die chinesische Diplomatie bei der Reaktion der Europäer verschätzt hat?
Huotari: Ich glaube, Peking unterschätzt immer noch sowohl im öffentlichen Raum als auch bei Unternehmen, bei Verbänden das wachsende Misstrauen über den Pfad, den Peking einschlägt. Und dass so was dann auch mal dezidierte Wirtschaftsinteressen überschreiben kann, das scheint nicht einkalkuliert gewesen zu sein. Insofern ist auch in Peking sicherlich noch klar, was auch für uns gilt: Wir müssen noch einiges übereinander lernen und an der Stelle verstehen, dass es tatsächlich auch Dinge gibt, die vielleicht über die reinen Geschäftsinteressen hinausgehen.
Grieß: Was sagt so eine Fehleinschätzung über die Selbstwahrnehmung Pekings?
Huotari: Peking ist ganz klar im Moment auf einem Pfad, der nach vorne schaut und vor allem Risiken nimmt, der in den nächsten zwei Jahren innenpolitisch, wirtschaftspolitisch, aber auch aufgrund des massiven internationalen Drucks riesige Herausforderungen auf die Führung zukommen sieht und entsprechend die Weichen stellt, ein robustes China präsentieren will, aber auch eins, das nach außen selbstbewusst auftritt. Da gehört leider dazu – und das ist genau das Gegenteil, was Selbstbewusstsein eigentlich ausmacht -, viele Kanäle zu kappen und immer weniger auf den Austausch mit der Außenwelt zu setzen.

China zutiefst vom Ausland abhängig

Grieß: Das sind vor allem innere Herausforderungen, die Sie im Kopf haben?
Huotari: Dazu gehört, glaube ich, natürlich ganz klar die internationale Verflechtung, die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, dass China zutiefst abhängig ist von Zulieferungen aus dem Ausland, Technologiewettstreit mit den USA, dann so etwas wie Halbleiter, die ja im Wesentlichen noch deutlich stärker importiert werden als vielleicht sogar Ölressourcen und Ähnliches. Das sind Bereiche, wo es ganz klar ans Internationale herangeht, und da spielt auch die G7 und die NATO eine Rolle.
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Grieß: China hat in der Vergangenheit, in den vergangenen Jahren die sogenannte neue Seidenstraße entwickelt. Das sind Investitionen vor allem in bestimmten Ländern auf Handelswegen, die führ China wichtig sind. Jetzt haben die westlichen Länder, die G7 angekündigt, ebenso solche Investitionen solchen Ländern anzubieten, in Konkurrenz zu treten zu China. Ist das auch etwas, was Peking und Pekings Ambitionen, wie Sie sagten, ins Mark treffen?
Huotari: Ich glaube nicht. An der Stelle ist es doch noch ein ziemlicher offener Wettbewerb und auch die Ankündigung der G7, auch das, was im Übrigen die Europäische Union jetzt im Juni/Juli plant, öffentlich zu machen als Gegeninitiative oder zumindest Komplementärinitiative, das muss sich noch beweisen. Da muss Geld dahinter stecken, da müssen konkrete Initiativen, Flaggschiff-Projekte tatsächlich aufgegleist werden. Insofern: Hier sehe ich noch ein durchaus offenes Spiel und an der einen oder anderen Stelle tatsächlich auch die Frage, ob man nicht gemeinsam auf höhere Standards konvertieren kann. Da geht es darum, dass Umweltstandards und finanzpolitische Standards und Ähnliches hoffentlich zunehmend insgesamt mehr eingehalten werden in der Zukunft.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.