In das größte Stadion der ostchinesischen Stadt Nanjing passen rund 60.000 Menschen. Und auch, wenn es nur selten ausverkauft ist: Bei den Heimspielen des Erstliga-Vereins Jiangsu Suning geht es fast genauso leidenschaftlich und laut zu wie bei Bundesligaspielen in Deutschland. "Das Team hat riesiges Potential," sagt etwa eine 25-jährige Stadionbesucherin. "Unser Club hat so viel Geld ausgegeben - natürlich sollte das Ziel sein, die Nummer Eins der Welt zu werden!"
Eine gelinde gesagt sehr optimistische Annahme. Denn der chinesische Fußball hat zwar viel Geld, große Stadien und etliche internationale Stars, die in den Erstliga-Vereinen spielen. Was die Qualität und sportliche Erfolge angeht, sehen die Resultate bisher aber eher übersichtlich aus. Und was junge Leute in China angeht fällt auf: Sie interessieren sich zwar für Sport, aber eher ganz allgemein für den Personenkult, der um die Stars gemacht wird, und für den Unterhaltungsfaktor. Ob das nun Fußball ist oder sonst etwas ist eher zweitrangig.
"Ich schaue mir nur Basketball an," sagt ein 19-jähriger Student aus Shanghai. "Als ich jünger war, habe ich das im Fernsehen entdeckt und fand das cool."
Internationale Stars steigern den Unterhaltungsfaktor
Eine 30-jährige Angestellte sagt: "Ich schaue mir Fußball-Weltmeisterschaften an, vor allem wegen der Stars: Ronaldo, Drogba, Anelka und auch Lionel Messi. Die gefallen mir. Ansonsten weiß ich nichts über Fußball."
Um den Unterhaltungsfaktor im Fußball zu steigern, haben die chinesischen Erstligavereine in den vergangenen Jahren internationale Stars ins Land geholt, wie zum Beispiel Ramires und Anthony Modeste. Die Sponsoren der Clubs - vor allem Staatskonzerne oder vom Staat großgemachte Unternehmen - haben dafür viel Geld bereitgestellt. So wechselte der Brasilianer Ramires von Chelsea London nach Nanjing, für fast 30 Millionen Euro. Der französische Stürmerstar Modeste wechselte für 35 Millionen vom FC Köln in die nordchinesische Stadt Tianjin.
Shen Lei, Sportchef bei der Shanghaier Tageszeitung Wenhui: "Die großen Vereine geben 50 bis 60 Millionen Euro im Jahr aus. Sie machen permanent Verluste. Eine klare Logik erkenne ich da im Moment nicht. Meiner Ansicht nach ist der Masterplan der Regierung der Antrieb."
Mittelfristiges Ziel ist der Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft
Dieser Masterplan besagt, dass China zu einer Fußballnation aufgebaut werden soll, die es mittelfristig mit Deutschland, Argentinien, Spanien oder England aufnehmen kann. Chinas Staatschef Xi Jinping hat das quasi zum Staatsziel erklärt. Mittelfristiges Ergebnis soll der Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft sein, und zwar im eigenen Land.
"Diese europäischen oder auch südamerikanischen Stars sind das, womit die Aufmerksamkeit auf den Fußball gelenkt wird", sagt Peter Hambüchen, beim Bundesligaverein Borussia Mönchengladbach zuständig fürs internationale Geschäft. "Insofern kann ich diese Schritte schon nachvollziehen, aber wenn man sich aber die Transfersummen allgemein ansieht, die mittlerweile gezahlt werden, ist der normale Menschenverstand ein Stück weit überfragt."
Mönchengladbach wird vierter Bundesligist mit China-Niederlassung
Borussia Mönchengladbach wird in den nächsten Monaten ein Büro in Shanghai eröffnen. Der VfL Wolfsburg, der FC Bayern und Borussia Dortmund haben bereits Niederlassungen in China. Die deutschen Vereine wollen den staatlich verordneten Fußall-Rausch mitgestalten und natürlich auch mitverdienen. Im Fall von Borussia Mönchengladbach zum Beispiel durch Beratung bei der Nachwuchsförderung und durch den Verkauf von Fachwissen und Trainings-Expertise. Kein Vergleich zu größeren Clubs aus Italien, Spanien oder England, die in China eher auf das Versilbern der eigenen Marke setzen.
Peter Hambüchen von Borussia Mönchengladbach: "Chelsea ist eine große, weltweite Marke. Denen geht es um ganz andere Dinge. Denen geht es ums Trikot-Verkaufen und das Einsammeln von Sponsoren in China. Das ist für uns viel zu weit weg. Wir können erst einmal dort angreifen, wo wir unsere Kernexpertise haben: Scouting und Jugendentwicklung. So wollen wir dann in 15 bis 20 Jahren auch einmal sehr gute Jugendspieler hervorbringen."
Die chinesische Profiliga Superleague hat während der vergangenen Wintertransferzeit mit rund 388 Millionen Euro so viel Geld wie noch nie für ausländische Stars ausgegeben. Damit war offensichtlich auch für die Regierung in Peking eine rote Linie überschritten. Seit Mitte des Jahres gilt nun eine neue Vorschrift, nach der Clubs, die sich auf Pump finanzieren, Millionentransfers nur noch dann tätigen dürfen, wenn sie die gleiche Summe in einen Fonds zur Jugend-Talentförderung stecken.
Es fehlt eine klare Strategie zur Nachwuchsförderung
Trotzdem geht es mit der Nachwuchsförderung im chinesischen Fußball nur sehr langsam voran. Das liegt unter anderem daran, dass es an einer klaren Strategie fehlt. Insider berichten, dass sich die chinesische Superleague, der Fußball-Nationalverband und das Erziehungsministerium in Peking bei der Nachwuchsarbeit eher behindern, anstatt zusammenzuarbeiten.
Was außerdem noch fehle, sei die gesellschaftliche Anerkennung für sportliche Leistungen von Kindern, sagt der Shanghaier Sportjournalist Shen Lei:"Wir bewerten Kinder in China heute immer noch ausschließlich nach ihren Noten in den klassischen akademischen Schulfächern. Sportliches Talent wird als Maßstab einfach ignoriert."
Sport als Wert an sich werde nicht geschätzt, beklagt auch die 30-jährige Shanghaierin Yuki, die sich gerne Fußball-Spiele im Fernsehen anschaut. Ihren Freunden gehe es mehr um die Unterhaltung, weniger um den Sport. "Die Jungs gehen auch nur in die Kneipe, trinken ein paar Bier und jubeln und klatschen ein bisschen", sagt sie. "Das sind doch auch keine wirklichen Fans sondern nur Fake. Die meisten in China sind so, ohne echtes Fußball-Interesse."