Archiv

China
Investitionen in Europa haben politische Konsequenzen

China ist ein großer Förderer und Nutznießer der Globalisierung. Allerdings steht das Land oft in der Kritik, weil es seine eigenen Handelsbarrieren nicht abbaut. Wie intensiv und folgenreich China wiederum in Europa investiert, davon berichtet das Buch "Freundliche Übernahme" von Juan Pablo Cardenal und Heriberto Araújo.

Von Ruth Kirchner |
    Blick auf das Firmengebäude des Spezialmaschinenbauers Aixtron in Herzogenrath bei Aachen. Der Firmenname prangt in rot auf dem Gebäude und auf einer weißen Fahne.
    Der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hatte überraschend die Übernahme des Chipmaschinenherstellers Aixtron durch einen chinesischen Investor gestoppt. (dpa/Oliver Berg)
    Es war im vergangenen Spätherbst, als der Streit um chinesische Investitionen in Europa auf einmal überall Schlagzeilen machte. Der damalige Bundeswirtschaftsminister Gabriel hatte überraschend die Übernahme des Chipmaschinenherstellers Aixtron durch einen chinesischen Investor gestoppt und sich kurz darauf in Peking ungewöhnlich kritisch über China geäußert:
    "Wir wünschen uns einfach faire Investitionsbedingungen. Wir sind ein Land in dem chinesische Unternehmen investieren können, aber wir wollen umgekehrt auch ein gleiches Spielfeld, eine Partnerschaft auf Augenhöhe."
    Die ungleichen Investitionsbedingungen, Restriktionen in China und offene Märkte in Europa, sind seitdem deutlich stärker im Fokus. In Berlin, Paris und Rom wird neuerdings sogar laut darüber nachgedacht, wie man chinesische Aktivitäten in Europa genauer in den Blick nehmen, ja, vielleicht auch strenger kontrollieren kann.
    Risiko oder Chance - Was Chinas Investitionen bedeuten
    Dafür sei es höchste Zeit, meinen Juan Pablo Cardenal und Heriberto Araújo. Denn schon länger expandiert die chinesische Industrie in Europa, kauft strategisch wichtige Unternehmen auf. Droht ein Ausverkauf europäischer Spitzentechnologie? Zumindest wird die "Going-Out"-Politik von Peking massiv gefördert – und stellt die westliche Welt vor ein Dilemma:
    "Wie soll man mit einem Land umgehen, dass nicht nur autoritär regiert wird, sondern finanziell übermächtig ist und über die am rasantesten wachsenden Zukunftsmärkte verfügt? Zwischen diesen Alternativen – Risiko und Chance – schwankt der Westen."
    Wie schon bei ihrem ersten Buch "Der Große Beutezug", über Chinas Investitionen in Afrika und Asien, geht es auch in "Freundliche Übernahme" zunächst um eine Bestandsaufnahme der chinesischen Aktivitäten. Dafür sind die beiden Spanier Cardenal und Araújo auch diesmal wieder viel gereist: 15 europäische und nordamerikanische Länder haben sie besucht, haben mit Wirtschaftsvertretern, Politikern, Aktivisten und Experten gesprochen und haben sich Projekte angeschaut, in die chinesische Gelder fließen: Betriebe, Häfen, Luxusimmobilien, exklusive Weingüter im französischen Bordeaux, und Chinas Versuche, in der Arktis Fuß zu fassen.
    Die Konsequenzen der Großprojekte
    Die Reportagen aus den Randzonen Europas, etwa aus Grönland, gehören dabei zu den stärksten Passagen des Buches. Es geht um strategische Rohstoffe, darunter Seltene Erden, die im Zuge des Klimawandels und des Abschmelzens des ewigen Eises zugänglich werden. Die Dimensionen sind gewaltig: Für die Erschließung von Eisenerzen auf Grönland beispielsweise soll neben der geplanten Tagebau-Mine ein eigenes Elektrizitätswerk gebaut werden und ein eigener Tiefseehafen. Alles mit chinesischem Geld.
    "Im Großen und Ganzen bestreitet kaum jemand, dass die Bergwerksprojekte eine positive Auswirkung auf Arbeitsplätze, Infrastruktur und Steuereinnahmen haben werden, Uneinigkeit herrscht jedoch mit Blick auf das Tempo, mit dem sich Grönland in die Arme ausländischer Investoren begibt sowie hinsichtlich der Auswirkungen dieser Projekte auf Umwelt und soziale Strukturen."
    Auch anderen Großprojekten sind die beiden Spanier auf der Spur. Dem dubiosen Plan eines chinesischen Investors etwa, der einen Teil von Island kaufen wollte. Im Süden Europas, in Portugal, Griechenland, Malta oder auf Zypern geht es um die so genannten "Goldvisa" – Arrangements, die es Chinesen leichter machen, europäische Pässe zu erwerben – im Gegenzug für Investitionen.
    Welche politischen Konsequenzen hat dieser Hunger nach chinesischem Geld? In Großbritannien sieht man, wie das Buhlen um Investitionen aus dem Reich der Mitte Downing Street handzahm gemacht hat. Der Griff Pekings nach Hongkong, die sich insgesamt verschlechternde Menschenrechtslage in China, die Tibet-Politik – all das nimmt London längst hin. Kritik ist verstummt. Wie auch andere europäische Regierungen leiser geworden sind, seitdem die Geschäfte mit China auch ihre Volkswirtschaften am Laufen halten.
    Zumal die Führung in Peking nicht zimperlich mit Kritikern umspringt, wie das Beispiel Norwegen deutlich macht. Nach der Verleihung des Friedensnobelpreises 2010 an den Dissidenten Liu Xiaobo wurde die norwegische Lachs-Industrie aus dem chinesischen Markt gedrängt, wurden diplomatische Beziehungen auf Eis gelegt. Dennoch war die Bestrafung des Landes für China eher zweitrangig:
    "Vielmehr scheint sich der Wutanfall gegen ein breiteres westliches Publikum gerichtet zu haben, das nicht so wohlhabend ist wie die Norweger und das Echo eines Chinas hört, das umso unflexibler auf Kritik reagiert, je mächtiger es sich fühlt. Die Botschaft ist eindeutig: Wer sich mit der roten Dynastie anlegt, zahlt einen hohen Preis."
    Die Details der Recherche gehen auf Kosten der Analyse
    Viel Aufwand betreiben die beiden Autoren, um illegalen Aktivitäten auf die Spur zu kommen. Wie es reichen Chinesen über Jahre gelang, über das Spielcasino-Paradies Macau Millionenbeträge außer Landes zu bringen – trotz strenger Devisenkontrollen. Oder wie Industrie-Spionage im Internet funktioniert und Börsenmanipulationen an der Wall Street.
    All das wird anhand vieler Details geschildert. So verdienstvoll die Recherche ist: Genau das ist auch die Schwäche des Buches. Denn in der Fülle der Fakten bleibt die Analyse oft unscharf, die Autoren neigen zu Pauschalisierungen, die immer wieder ins Polemische abgleiten.
    Ärgerlich ist auch eine Haltung, die jeden chinesischen Menschenrechtsaktivisten zum mutigen Freiheitskämpfer macht und jeden chinesischen Funktionär oder Investor zum Repräsentanten eines korrupten Systems. Solche holzschnittartigen Urteile tragen nicht dazu bei, die komplexen Vorhänge rund um Chinas Aufstieg zu einer globalen Wirtschaftsmacht zu erläutern. Und so sehr man sich ein demokratischeres China wünschen mag, so ist allein der Verweis auf die Menschenrechte und europäische Grundwerte noch keine Antwort auf die Frage, wie die Zusammenarbeit der Zukunft aussehen könnte. Dass China ein Gewinner der Globalisierung ist, steht nach der Lektüre von "Freundliche Übernahme" außer Frage. Wie Europa damit umgehen soll, bleibt offen.
    Juan Pablo Cardenal und Heriberto Araújo "Freundliche Übernahme. Chinas Griff nach Europa"
    Hanser Verlag, 350 Seiten, 26 Euro.