Sie sind aus Plastik, grau oder weiß und haben die Größe eines Koffers. Gut ein Dutzend Luftfilter sind in einem Pekinger Elektronikkaufhaus nebeneinander aufgereiht. Die Geräte kosten 500, 600 Euro und damit mehr, als ein Durchschnittsarbeiter in China in einem Monat verdient. Doch jetzt, mit Beginn der kalten Jahreszeit, gehen die Luftfilter weg wie warme Semmeln.
"Der starke Smog macht mir Angst, natürlich, wir Chinesen sind alle besorgt. Die Luft ist schlecht für die Gesundheit", sagt etwa diese Kundin, die die verschiedenen Luftfilter studiert. Ein Mann Mitte vierzig meint zustimmend:
"Wir haben zuhause einen Filter, den hat meine Frau schon vor Längerem gekauft. Den schalten wir vor allem im Winter ein, wenn die Luft draußen so verdreckt ist."
Winter, das bedeutet in China: dicke Luft in großen Teilen des Landes. Den starken Smog im vergangenen Januar hat in Peking kaum einer vergessen, da erreichte die Luftverschmutzung besorgniserregende Höchstwerte, sie überschritt die von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlenen Grenzwerte um ein Vielfaches. Die Bürger wurden im letzten Winter mehrmals davor gewarnt, ins Freie zu gehen. An den Smogtagen konnte man gerade mal ein paar Meter weit sehen. Blogger im Internet prägten schließlich den Begriff der Air-Pocalypse und nannten die Hauptstadt sarkastisch Greyjing statt Beijing.
Hoffen auf Bewusstseinswandel
Die anhaltende Luftverschmutzung setzte die chinesische Regierung unter erheblichen Handlungsdruck. Und sie reagierte. Der im letzten Winter noch amtierende Premierminister Wen Jiabao sagte in einer viel beachteten Rede, China müsse sich endlich seiner Umweltprobleme annehmen.
"Die Bevölkerung will in einer gesunden Umwelt leben und wir müssen diese Bedürfnisse ernst nehmen. Wir müssen uns künftig vor allem darauf konzentrieren, die Industrie an die neuen Herausforderungen anzupassen und energiesparende Technologien zu entwickeln. Die Bürger in China wollen die Hoffnung haben, dass sich etwas ändert. Wir müssen ihnen diese Zuversicht geben."
Äußerungen, auf die Experten in China lange gewartet hatten. Sie gingen in die richtige Richtung. Das sagt etwa Ma Jun, der Vorsitzende der chinesischen Nichtregierungsorganisation Institute for public and environmental affairs. Er ist einer der bekanntesten Umweltschützer in der Volksrepublik:
"Der Smog im Januar war eine Art Alarmsignal. Kritisch wurde es allerdings schon im Jahr 2011, in Peking und anderen Städten gab es Diskussionen darüber, ob die Regierung die Feinstaubwerte veröffentlichen soll. Die Politiker mussten irgendwann dem öffentlichen Druck nachgeben und seither kann man die Daten im Internet nachlesen. Das hat dazu geführt, dass die Bevölkerung im Januar dieses Jahres zum ersten Mal erkannte, wie schlimm die Belastung wirklich ist."
Chinas staatlich gelenkte Medien hatten jahrelang von Nebel statt von gefährlichem Smog gesprochen. Doch auch sie konnten die Luftverschmutzung nicht länger schönreden. Erstmals berichteten sie relativ offen über das Ausmaß.
Massive Gesundheitsschäden durch die Verschmutzung
Die Pekinger Tsinghua-Universität hat die Luftverschmutzung in Zusammenarbeit mit der Asiatischen Entwicklungsbank untersucht. Peking ist kein Einzelfall. Unter den 500 größten chinesischen Städten können nur ganz wenige die Feinstaubwerte einhalten, die von der Weltgesundheitsorganisation empfohlen werden. Und der Smog hat längst nicht nur Halskratzen oder Atembeschwerden zur Folge, sondern massive Langzeitschäden.
Das Massachusetts Institute of Technology MIT veröffentlichte diesen Sommer Zahlen. Die Luftverschmutzung im Norden Chinas kostet demnach etwa 500 Millionen Menschen rund 5,5 Lebensjahre. Vor ein paar Tagen legten Shanghaier Forscher sogar noch nach: die Luftverschmutzung führe mittlerweile zu vermehrter Zeugungsunfähigkeit bei Männern, sowie zu Frühgeburten und Missbildungen.
Umweltschützer Ma Jun klagt: "Natürlich können Eltern an Tagen mit sehr schlechter Luft ihren Kindern verbieten, draußen zu spielen. Aber niemand ist glücklich mit dieser Lösung. Wir wollen, dass das Problem grundsätzlich gelöst wird."
Leben im Moloch
Die starke Smogbelastung in Großstädten wie Peking hat viele Gründe. Einer davon ist der explosionsartige Anstieg des Autoverkehrs während der vergangenen Jahre. Peking etwa ist ein Moloch mit rund 20 Millionen Einwohnern. Stadtautobahnen durchschneiden die Metropole, Verkehrskreuzungen breiten sich auf riesigen Flächen aus. Noch vor fünf Jahren waren auf den Straßen der Hauptstadt 2,5 Millionen Autos unterwegs, mittlerweile sind es über 5,5 Millionen, also mehr als doppelt so viele. Schon die Autoabgase verschmutzen die Umwelt sehr stark.
Die höchste CO2-Emission der Welt
Hinzu kommt ein weit größeres Problem: die Art und Weise, wie China Energie produziert. Denn seit Jahrzehnten gewinnt die Volksrepublik den Großteil ihrer Energie aus schmutziger Kohle und stößt mehr CO2-Emissionen aus als jedes andere Land der Welt.
Wu Changhua, Umweltexpertin bei der britischen Nichtregierungsorganisation The Climate Group in Peking, erklärt:"Unglücklicherweise hat China im Vergleich zu anderen Ländern, etwa den USA sehr viel Kohle zur Verfügung. Das hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass sich China sehr stark auf die Kohle verlassen hat und dass wir mittlerweile stark davon abhängig sind."
Die Kohle wird in riesigen Bergwerken abgebaut, etwa in der Provinz Shanxi südwestlich von Peking. Jahrelang galt sie als praktisch und billig. Doch allein zwischen 2005 und 2010 ist Greenpeace zufolge der Kohleverbrauch um fast die Hälfte gestiegen.
Die Emissionen verdrecken die Luft - obwohl viele Kohlekraftwerke mit modernen Filteranlagen nachgerüstet wurden. Ma Jun vom Institute for public and environmental affairs mahnt: "China verbrennt schon heute die Hälfte der weltweit geförderten Kohle und trotzdem steigt ihr Anteil immer noch weiter. Wenn wir keine massiven Schritte unternehmen, dann wird sich in China der Kohleverbrauch in den nächsten 25 Jahren nochmals verdoppelt haben. Wir müssen dringend etwas dagegen tun."
Im Winter werden Hunderte Heizkraftwerke zusätzlich befeuert, um die Haushalte mit Wärme zu versorgen. Dann erreichen die Emissionen gesundheitsschädliche Konzentrationen. Immer weniger Chinesen wollen das hinnehmen. Vor allem die Mitglieder der wachsenden Mittelschicht sind zunehmend gut informiert. Sie wollen in einer gesunden Umgebung leben, und zwar schnell.
Alternative Energiequellen stärker nutzen
Um wachsenden Unmut zu vermeiden, müssen Chinas Politiker handeln. Sie haben jüngst mehrere Aktionspläne gleichzeitig vorgelegt. Bis Jahresende gibt die Regierung rund 600 Millionen Euro aus, um für saubere Luft zu sorgen, sagt Li Junfeng. Er ist Vorsitzender des nationalen Zentrums für Fragen des Klimawandels und berät die Regierung seit Jahren in Energiefragen.
"Wir wollen die Kohle zunehmend durch Erdgas und Erneuerbare Energien ersetzen. Leider geht das nicht über Nacht, aber ein erstes Ziel ist, bis 2017 den Anteil der Kohle bei der Energiegewinnung von derzeit 70 Prozent auf 65 Prozent zu reduzieren. Schon allein das ist eine gewaltige Aufgabe und es heißt, dass wir die Nutzung anderer Energien weiter ausbauen müssen."
Chinas Energiemix ist nicht besonders bunt. 70 Prozent der Energie wird aus Kohle gewonnen, dazu kommt Wasserkraft mit rund 20 Prozent. Wind-, Solar- und auch Kernenergie liegen bei jeweils unter fünf Prozent. Ihr Anteil soll künftig wachsen. Schon seit Jahren investiert die Regierung Milliardenbeträge in diesen Sektor: Innerhalb kurzer Zeit hat sie etwa einen Markt für Windenergie aufgebaut, der – betrachtet man die installierte Kapazität – bereits heute der größte der Welt ist. Im Westen Chinas stehen große Solarparks. Und auch die Kernenergie soll – Fukushima zum Trotz – eine größere Rolle spielen. 28 Atomkraftwerke sind derzeit in Bau.
Schon in diesem Winter werden zudem Notmaßnahmen getroffen. Bei anhaltend schlechter Luft darf in Peking nur die Hälfte der Autos fahren. Auch die Industrieproduktion wird dann eingeschränkt, erklärt Li Junfeng vom Zentrum für Fragen des Klimawandels.
"Vor allem kleine Unternehmen in Peking und in den umliegenden Provinzen, die viel Energie benötigen, müssen bei starkem Smog ihre Produktion drosseln oder auch ganz einstellen. Nur die Zahl der Autos zu reduzieren reicht nicht, wir haben keine andere Wahl."
Wachstum über alles
Die verschiedenen Pläne zur Verbesserung der Luftqualität klingen radikal und vermitteln den Eindruck von Willensstärke auf Seiten der Regierung. Ma Jun gehen sie trotzdem nicht weit genug. Einzelne Maßnahmen reichten nicht, so der Umweltschützer. Er fordert grundlegende, strukturelle Änderungen:
"In China dreht sich immer alles ums Wachstum, acht Prozent Wachstum, zehn Prozent Wachstum. China ist heute die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, aber wir können doch so nicht weitermachen und alle unsere Ressourcen plündern. 80 Prozent unserer Energie wird von der Industrie konsumiert, das ist in fast keinem anderen Land so. Nur ein Beispiel: China produziert 60 Prozent des weltweiten benötigten Zements, die Herstellung ist sehr energieintensiv und setzt Staub frei, der die Luft belastet. Ich finde, wir müssen solche Unternehmen schließen, aber viele örtliche Politiker schielen eben nur aufs Bruttoinlandsprodukt."
Sie schielen darauf, denn das Wachstum war jahrelang gewollt, von ganz oben, von der chinesischen Führung. Gute Wirtschaftsdaten waren eine unerlässliche Voraussetzung, wenn örtliche Politiker Karriere machen wollten. Doch auch das sei – so zumindest die Ankündigung der Regierung – ab sofort passé.
Die Politik will in den kommenden Jahren viel Geld bereitstellen. Die Umwelttechnologie wird in den Rang einer subventionierten Schlüsselindustrie erhoben, wie zuvor etwa die pharmazeutische Industrie. Umweltexpertin Wu Changhua von der britischen Nichtregierungsorganisation The Climate Group erklärt: "Die Regierung spricht von neuen Industrien, die staatlich gefördert werden, zum Beispiel im Bereich Energieeffizienz oder Energiesparen. Denn es ist klar: China muss weiter wachsen und es wird weiter wachsen.
Statt weiterhin die sogenannten alten Industrien zu unterstützen, die viel Energie verbrauchen und gleichzeitig die Umwelt belasten, sollen diese modernen Wirtschaftsbereiche eine neue Phase der Industrialisierung einleiten. Die Regierung hat sogar Ziele gesteckt, vorgegeben, wie hoch der Anteil dieser Industrien am Wachstum des Bruttoinlandsprodukts sein soll. Derzeit liegt er bei fünf Prozent, 2015 soll er acht Prozent betragen und 2020 dann schon 15 Prozent."
Das klingt nach guten Absatzmöglichkeiten für Hersteller aus dem Energiebereich. Auch deutsche Unternehmen hoffen auf Zuwächse in China, etwa die Firma Viessmann, Heizungsbauer aus dem hessischen Allendorf.
An den Wänden hohe Stahlregale, die bis unter die Decke reichen. Ein Gabelstapler saust durch die Gänge. In der Montagehalle von Viessmann am Standort Peking beugen sich rund 30 Arbeiter über Metallgehäuse und Elektronikplatten, es herrscht geschäftige Atmosphäre. Andre Jautze ist Referent für Strategie und Geschäftsentwicklung von Viessmann in China. Er erklärt:
"Wir sind in Peking derzeit nicht mehr als 120 Mitarbeiter, das ist nicht sehr groß, aber wir können trotzdem hohe Stückzahlen herstellen."
Viessmann ist bereits seit 15 Jahren in auf dem chinesischen Markt, den größten Umsatz macht die Firma mit den kleinen Heizungsanlagen. Doch das Unternehmen hofft künftig auch auf große Aufträge aus der Industrie. Wenn immer mehr Städte beginnen, von Kohle auf Erdgas umzustellen.
"Und da sind natürlich Chancen für ausländische wie für chinesische Hersteller in diesem Nischenmarkt gegeben."
Moderne Energiestandards fehlen
Auf den ersten Blick können ausländische Firmen in diesem Bereich viele Geschäfte zu machen. Denn chinesische Projekte sind meist wenig energieeffizient - weder im Bausektor, noch in der Industrie. Die Volksrepublik verbraucht im Schnitt sieben Mal mehr Energie als Europa. Die Einsparpotentiale sind also gewaltig.
Bei jedem Spaziergang durch Peking fällt sofort ins Auge, wie sich Energie einsparen ließe. Die meisten Fenster und Türen sind nur einfach verglast und zugig. Geheizt wird in Geschäften und Restaurants mit energiefressenden Klimaanlagen. Selbst in großen Unternehmen sei das oft nicht anders, erklärt Nadine Ulrich. Sie ist die Energieexpertin der deutschen Auslandshandelskammer in Shanghai. Kaum ein Gebäude in der Volksrepublik, so Ulrich, halte mit modernen, deutschen Energiestandards mit.
"Also da gibt es die verschiedensten Bereiche, zum einen den Bereich der Gebäudehülle, also die Fassade, die Mauern, das Dach, da gibt es je nach Klimazone sehr großes Einsparpotential, durch den Einsatz von Verbundsystem, energieeffizienteren Fenstern, bessere Lüftungs- und Kühlungstechniken, aber auch die Energieversorgung, also Wärmepumpen bis hin zu Geothermie, Solaranlage, Blockheizkraftwerke und so weiter und sofort."
Nadine Ulrichs Büro befindet sich im 25. Stück eines Hochhauses in Shanghai. Der Blick aus dem Fenster fällt auf ein Häusermeer, das sich bis zum Horizont erstreckt. Chinas Markt für Umwelttechnologie müsste künftig brummen und deutschen Firmen eigentlich üppige Aufträge bescheren. Doch Nadine Ulrich weist auf Probleme hin: "Viele Unternehmen sprechen uns an und sagen, wir bauen Maschinen, wir bauen Dämmstoffe, die sind supereffizient und wir sehen einen großen Bedarf. Und denen müssen wir vorsichtig beibringen, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen dem Bedarf, den man hier wahrnimmt und dem tatsächlichen Kaufinteresse, das in China besteht, also diese Technologie auch zu diesem Preis einzukaufen."
Denn der chinesische Regierungschef Li Keqiang hat vor allem die Entwicklung der Volksrepublik im Auge. Um weiter Arbeitsplätze in China zu schaffen, fördere er ganz bewusst nur ausgewählte Technologien, sagt Nadine Ulrich. Andere kommen dabei zu kurz: "Wenn Li Keqiang sagt, es sollen so und so viel Milliarden für solche Maßhahmen ausgegeben werden, dann wird er damit meinen, dass damit primär die lokale Industrie gefördert wird. Und wir sehen auch im Fünfjahresplan oder bei Umweltbestimmungen, die sind immer auf so einer Ebene angesetzt, dass die Realisierung auch ohne den Einsatz ausländischer Technologie zu schaffen ist."
Investitionen lohnen sich noch nicht
Außerdem gibt es noch ein ganz einfaches, aber sehr bedeutendes Hindernis für die Entwicklung nachhaltiger Energieeinsparung - die Strompreise in der Volksrepublik: Sie sind im Vergleich zu anderen Ländern sehr, sehr niedrig, erläutert Li Junfeng vom nationalen Zentrum für Fragen des Klimawandels:
"Die Preise für Energie sind etwa so hoch wie in Deutschland, aber in Deutschland kommt noch eine Steuer drauf, die gibt es in China nicht. Wir sollten von Deutschland lernen und die Preise ebenfalls erhöhen. Frische Luft und blauer Himmel sind nun mal nicht umsonst zu haben."
Der billige Strom verhindert Nachrüstungen, sagt Nadine Ulrich. Denn sowohl Unternehmen wie Privatleute fragen sich: Warum soll ich teure, energiesparende Technologie anschaffen, wenn sich die Investition überhaupt nicht auszahlt?
"Strom ist billig genug, dass Energieeffizienz an sich kein Verkaufsargument ist, Die Stromkosten steigen zwar um rund 10 Prozent im Jahr, aber nicht so sehr, dass es die lokale Industrie oder die Verbraucher zwingen würde, größere Maßnahmen zu ergreifen, um den eigenen Energiebedarf zu drosseln."
Fachleute meinen deshalb, dass die Luftverschmutzung in China – den jüngsten Bemühungen zum Trotz - noch 15, 20 Jahre andauern wird. Das sind trübe Aussichten für die Bürger.
Und nicht nur für die Bürger, sondern auch für Chinas Sicherheitsapparat. In den vergangenen Jahren sind in allen chinesischen Städten Überwachungskameras installiert worden. An Tagen mit dichtem Smog ist auf den Bildern kaum noch etwas zu erkennen. Die Beamten könnten zwar auf Infrarot ausweichen, so ein chinesischer Bericht, doch das sei teuer. Der Smog blockiere jede Art von Licht, „fast so effektiv wie eine Wand“.