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Peking ist alarmiert
Wie der Krieg in der Ukraine das Verhältnis zwischen China und Taiwan beeinflusst

China begreift Taiwan als abtrünnige Provinz - und droht der Insel immer wieder mit einer gewaltsamen "Wiedervereinigung". Aber Russlands Angriffskrieg in der Ukraine und die Reaktionen darauf haben das Kalkül der chinesischen Führung in Peking offenbar verändert.

Von Ruth Kirchner | 04.06.2022
"Bitte Frieden in der Ukraine" - Protestierende gegen Russlands Angriffskrieg am 26. Februar 2022 in Taipeh
"Bitte Frieden in der Ukraine" - Protestierende gegen Russlands Angriffskrieg am 26. Februar 2022 in Taipeh (picture alliance / dpa / CTK / Karel Picha)
Es waren bekannte Szenen, die sich diese Woche südwestlich von Taiwan abspielten. Mehr als 20 chinesische Kampfjets drangen in den taiwanesischen Luftverteidigungsraum ein - sehr weit weg von der Insel selbst, aber eine deutliche Drohgebärde. Der Anlass: Eine US-amerikanische Senatorin war zu Besuch in Taiwans Hauptstadt Taipeh, was die chinesische Führung in Peking als Provokation wertet. Denn aus ihrer Sicht ist Taiwan kein eigenständiger Staat.
Taiwan ist eine chinesische Provinz, sagte Außenamtssprecher Zhao Lijian, und der Besuch der US-Senatorin verstößt gegen das Ein-China-Prinzip. Zhao sprach von falschen Signalen an die „separatistischen Kräfte für eine taiwanesische Unabhängigkeit“. China werde alles tun, um seine Souveränität und territoriale Integrität zu schützen.

Krieg in der Ukraine gibt Taipeh und Peking zu denken

Es ist kein Geheimnis, dass Staats- und Parteichef Xi Jinping Taiwan unter seine Kontrolle bringen will möglichst bis 2049, wenn die Volksrepublik ihren 100. Geburtstag feiern will. Jahrelang setzte China darauf, politisch Druck auszuüben und die Insel wirtschaftlich enger anzubinden. Ein Land, zwei Systeme. Warum sollte das Modell Hongkong nicht auch in Taiwan funktionieren? Doch Taiwan ist längst eine selbstbewusste Demokratie. Eine Vereinigung mit der Volksrepublik? Nein, danke, sagen viele Taiwanesen.
Der Krieg in der Ukraine hat ihre Angst vor dem übermächtigen Nachbarn weiter angeheizt. Denn schon lange droht die chinesische Führung immer wieder mit Gewalt. Die Lösung der Taiwan-Frage sei eine unerschütterliche historische Aufgabe der Kommunistischen Partei, sagt Staats- und Parteichef Xi Jinping. Wie hier beim 100. Geburtstag der KP letztes Jahr. Das sei der Wunsch aller Chinesinnen und Chinesen. Aber der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat auch in Peking zu Nachdenken geführt, sagt Helena Legarda, Expertin für Sicherheitspolitik beim Merics-Institut für China-Studien in Berlin:
„Der Wille und die Ambitionen Pekings Taiwan einzugliedern, notfalls mit Gewalt, haben sich nicht geändert. Aber die russische Invasion in der Ukraine könnten die Zeitschiene und Pläne verschoben haben.“

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Eine Atempause. Denn auch dem Führungszirkel um Xi Jinping ist nicht entgangen, dass die EU und die USA nach Beginn des Krieges zusammengerückt sind, dass der Westen keine Sanktionen scheut und Russlands Präsident Putin international isoliert ist. Allein das könnte die Kalkulation in Chinas mit Blick auf Taiwan beeinflussen, sagen Experten. Auch die militärischen Schwierigkeiten Russlands dürften ein Warnsignal sein. Taiwan ist eine Insel. Sie anzugreifen oder gar zu besetzen ist ungleich schwieriger, als Truppen über eine Landgrenze zu schicken wie in der Ukraine. Hinzu kommt Chinas Armee ist weitgehend kampfunerfahren.

Strategische Zweideutigkeit der USA

Und dann sind da die USA der wichtigste Partner Taiwans. Peking verhalte sich zunehmend provokativ, sagte US-Außenminister Antony Blinken letzte Woche der fast tägliche Einsatz von chinesischen Kampfflugzeugen in der Nähe von Taiwan. Das bedrohe den Frieden und die Stabilität in der Meerenge von Taiwan. Die USA unterstützen Taiwan seit langem auch mit Waffen, lassen aber seit Jahrzehnten bewusst offen, ob sie der Insel im Falle eines Krieges wirklich zu Hilfe kommen würden.

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Diese Politik der strategischen Zweideutigkeit soll die Volksrepublik von einem Angriff abschrecken. Aber ob das noch funktionieren kann, wird außerhalb Chinas immer öfter in Frage gestellt. Denn die chinesische Führung unter Xi scheint zunehmend bereit, politisch-ideologische Ziele über Wachstum und Wohlstand zu stellen. Der in Berlin lebende chinesische Politologe Zhang Junhua warnt: „Derzeit ist für Xi Jingping nicht nur die Frage, ob Taiwan erobert werden sollte oder nicht, sondern wie.“
Und wie man die Kosten beherrschbar halten kann. Auch da schaue China genau auf die russischen Erfahrungen, sagt Zhang. Ein Angriff stehe zwar jetzt nicht bevor, aber: „In drei Jahren könnte der Krieg eher möglich sein“, so der Politologe.
In der Zwischenzeit dürfte der Druck Pekings weiter wachsen. Experten warnen vor einer Zunahme von chinesischen Cyberangriffen auf Taiwan, Versuchen der Einflussnahme etwa über soziale Medien und wachsenden wirtschaftlichen Druck. Es bleibe gefährlich für die kleine Inselrepublik.