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China übersetzt Wirtschaftskraft "ein Stück weit in politische Macht"

Europa braucht keine Angst vor dem chinesischen Hilfsangebot zu haben. Das sagt Eberhard Sandschneider, Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Zwar werde das Land sein Engagement für den Euro mit Forderungen verknüpfen. Als Exportnation sei es aber vorrangig an einer stabilen Finanzordnung interessiert.

Eberhard Sandschneider im Gespräch mit Peter Kapern | 15.09.2011
    Peter Kapern: Früher kam der reiche Onkel Europas aus Amerika und brachte Geschenke mit. Heute kommt der reiche Onkel aus China, er bietet Hilfe an, stellt aber auch Forderungen. So gestern Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao zum Auftakt des dreitätigen Wirtschaftsforums in der nordchinesischen Hafenstadt Dalian. Wen bot weitere Investitionen an, die Europa gerade jetzt gut gebrauchen kann, lieferte aber auch gleich eine Liste von Forderungen mit. Darauf steht unter anderem die offizielle Anerkennung Chinas als Marktwirtschaft. In Brüssel wurde diese Offerte nicht zuletzt mit Warnungen beantwortet, mit Warnungen vor einer zu großen Abhängigkeit vom Reich der Mitte.
    Zugeschaltet aus Berlin ist nun der China-Experte Eberhard Sandschneider, Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Guten Tag, Herr Sandschneider.

    Eberhard Sandschneider: Schönen guten Tag.

    Kapern: Herr Sandschneider, in den vergangenen Jahrzehnten haben immer wieder westliche Politiker, wenn sie Richtung Osten gereist sind, um da die Wirtschaftskontakte zu verstärken, die Forderung nach Rechtssicherheit für Investoren aufgestellt. Gestern nun hat Wen Jiabao Rechtssicherheit für chinesische Investoren in Europa gefordert. Zeigt diese Umkehrung der Dinge nicht an, welchen Zeitenwandel wir durchlaufen haben, hier das machtlose Europa, dort die Weltmacht China?

    Sandschneider: Also wenn es noch einen Nachweis gebraucht hätte, dass die Welt sich verändert hat, in der wir leben, hier haben wir ihn. Ich würde etwas skeptisch reagieren, ob Europa schon wirklich ganz machtlos ist, aber letztendlich ist das eigentlich zunächst einmal - unabhängig davon, wie man es bewertet - ein normaler Prozess. China übersetzt seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auch ein Stück weit in politische Macht und tut das, was westliche Staaten, wie Sie gesagt haben, seit Jahren und Jahrzehnten tun. Wann immer es an große wirtschaftliche Kontakte geht, verbinden wir das auch mit politischen Forderungen oder anderen Interessen. Das tut China jetzt seinerseits. Deswegen ist Europa weder abhängig noch ohnmächtig gegenüber diesen Forderungen, aber wir werden uns darauf einstellen müssen, dass andere Partnerstaaten – und das ist China für Europa – mit anderen Bandagen sozusagen mit uns umgehen werden in Zukunft, als sie es in der Vergangenheit getan haben.

    Kapern: Müssen die Europäer Angst vor der chinesischen politischen Macht haben, von der Sie gesprochen haben?

    Sandschneider: Nein, nicht wirklich. Chinas Interesse ist relativ klar ablesbar. Das Interesse besteht darin, die Weltwirtschaft, aber auch die Weltfinanzordnung zu stabilisieren. Das ist Chinas ureigenes Interesse. Das Land hat uns vor einem Jahr als Exportweltmeister überholt, ist also auch in seinem inneren Gefüge, in seiner wirtschaftlichen Leistung davon abhängig, dass Exporte funktionieren. Heißt, dass in Europa, in den Vereinigten Staaten, in anderen Teilen der Welt die Wirtschaft funktioniert. Ohne funktionierende Finanzordnung kann das schlecht gehen. Insofern ist dieses Hilfsangebot ein Angebot an die Europäer, aber durchaus auch im ureigenen Sinne Chinas.

    Kapern: Der erfahrene, versierte EU-Außenpolitiker Elmar Brok aus dem Europaparlament hat gesagt, China will Europa abhängig machen. Ist das unser kommender Dealer, von dem wir dann nicht mehr loskommen?

    Sandschneider: Wenn man das mit der Metapher des Dealens beschreiben möchte, dann gibt es eigentlich nur Dealer und Abhängigkeiten. Die sind übrigens immer auch beidseitig. China und die USA sind längst voneinander abhängig. China hält in gewaltigem Maße Staatsfonds der Vereinigten Staaten. Aber hat es ein Interesse, den Dollar verfallen zu sehen? Im Gegenteil!
    Dasselbe würde auch im Falle einer Unterstützung des Euro eintreten. Am Ende sitzen all diese Partner wunderbar in einem Boot. Das ist das Prinzip Hoffnung, das man haben kann, dass es da auch eine Restabilisierung der Finanzordnung auf diese Art und Weise gibt.
    Was uns im Augenblick am allerwenigsten hilft, ist der Versuch, auf die emotionale Tube zu drücken und Ängste zu schüren, die in der Realität so nicht eintreten werden.

    Kapern: Mit Emotionen komme ich jetzt trotzdem. Wenn Europa am Tropf Chinas hängt, dürfen wir dann noch an der Menschenrechtslage in China herummeckern?

    Sandschneider: Herummeckern, sagen Sie. Das tun wir sowieso reichlich unprofessionell, weil wir uns ein ums andere Mal bei doppelten Standards erwischen lassen. Wenn es innenpolitisch opportun ist, beklagen wir die Menschenrechtssituation in China; wenn es wirtschafts- oder außenpolitisch wichtig ist, China wieder zu einer Kooperation einzuladen, dann tun wir das auch. Beides muss miteinander einhergehen. Die Tatsache, dass wir wirtschaftlich, auch finanzpolitisch stärker an China gebunden sind, ist ohnehin eine Tatsache, sollte nicht verhindern, dass man mit der gebotenen Zurückhaltung mit Blick auf die eigene Glaubwürdigkeit auch die berühmten weichen Themen wie Menschenrechte anspricht. Aber man darf sich nicht wundern, wenn ein Land wie China nicht mehr in der Situation ist, europäische Vorgaben eins zu eins umsetzen zu müssen. Das sind schwierige komplexe Verhandlungsprozesse. Aber auch da gilt: Wer glaubwürdig auftritt, wer nachhaltig auftritt, kann auch in diesen Fragen in China einiges bewegen. Es darf nur nicht so sein, dass die innenpolitischen Interessen hierzulande diese Politik so dominieren, wie sie es in der Vergangenheit getan haben.

    Kapern: Wen Jiabao hat gestern auch den besseren Zugang zum Technologietransfer für China gefordert. Heißt das, in ein paar Jahren oder Jahrzehnten werden in China Premiumautos gebaut und in Deutschland T-Shirts genäht?

    Sandschneider: Na, so schlimm wird es nicht kommen. Wir sind immer noch Technologieführer weltweit. Und man darf das Kinde, glaube ich, nicht mit dem Bade ausschütten. Trotzdem gibt es auch hier Veränderungen. China sucht natürlich den Anschluss an westliche Hochtechnologie, investiert selbst gewaltig und wird auf diesen Märkten sicherlich auch ein beachtlicher Spieler werden. Aber auch da gilt: Wenn man mit Unternehmen bei uns redet, die haben Sorgen, die haben insbesondere Sorgen um den Schutz ihrer Technologie, aber die sind nicht so verzweifelt, wie es die öffentliche Diskussion manchmal nahelegt.

    Kapern: Eberhard Sandschneider war das, der Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Danke nach Berlin und auf Wiederhören.

    Sandschneider: Bitte sehr.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.