In einer multipolar gewordenen Welt müsse man Bündnispartner suchen, bei erneuerbaren Energien beispielsweise könne man von China lernen. Gleichzeitig hätten sich die USA unter Präsident Trump von gemeinsamen Werten und Interessen abgewendet.
Deutschland werde künftig mit sehr unterschiedlichen Regimes klarkommen müssen. Der G20-Gipfel sei kein Treffen von Demokraten, sagte Trittin und verwies auf die Teilnahme Saudi-Arabiens, Russlands und Chinas. Man müsse aber Globalisierung gerechter gestalten sowie den Klimawandel und die Ungleichheit auf der Welt in den Griff bekommen, um für Sicherheit auf der Welt zu sorgen.
Das Interview mit Jürgen Trittin in voller Länge:
Ann-Kathrin Büüsker: Viele Hamburgerinnen und Hamburger wollen in den kommenden Tagen nur eines: bloß weg aus der Stadt. Hätte man sie gefragt, sie hätten dem nahenden G20-Gipfel wohl ebenso eine Absage erteilt wie einst den Plänen der Stadt, sich für Olympia zu bewerben. Hat aber keiner gefragt, nun kommt der Gipfel und damit hohe Repräsentanten aus 19 anderen wichtigen Industrie- und Schwellenländern. Die ersten Gäste, die trudeln schon etwas vorher ein, bevor es am Freitag dann offiziell losgeht.
Gestern Abend kam Chinas Staatschef Xi Jinping bereits nach Berlin, wo heute einige Termine mit der Kanzlerin auf dem Programm stehen. Xi will die deutsch-chinesischen Kontakte noch mehr stärken. Das hat er am Dienstag in einem Gastbeitrag in der Zeitung "Die Welt" klargemacht. Aber kann Deutschland das auch wollen? – Gehen wir es mal durch, gemeinsam mit Jürgen Trittin, Außenpolitiker bei den Grünen. Guten Morgen, Herr Trittin.
Jürgen Trittin: Guten Morgen, Frau Büüsker.
Beziehungen zu einem Land mit Interessenüberschneidungen
Büüsker: Enge Partnerschaft mit China, ist das aus Ihrer Sicht eine gute Sache?
Trittin: Es ist erst mal ein Paradoxon. Über 40, 50 Jahre war klar, uns verbinden mit den USA gemeinsame Werte und gemeinsame Interessen, zum Beispiel das Interesse an offenen Märkten. Und nun stellt sich heraus, dass die USA sich auf der einen Seite und der Präsident von den Werten verabschiedet haben und auch bei den Interessen gegen uns vorgehen. Sie setzen auf eine wirtschaftspolitische und industriepolitische Abschottung, jedenfalls in den Bereichen, wo sie nicht wettbewerbsfähig sind.
Und die Chinesen proklamieren das. Das führt zu der verrückten Situation, dass man, um Donald Trump einzuhegen, als deutsche Bundesregierung mit einem Land Beziehungen sucht, wo es in der Tat Interessenüberschneidungen gibt - das gilt für den Klimaschutz, das gilt für Teile der internationalen Handelspolitik -, mit dem man in Fragen der Werte wenig gemein hat.
"Bereiche, wo wir von China lernen können"
Büüsker: Herr Trittin, meine Frage war ja, ob Sie diese Partnerschaft für eine gute Idee halten.
Trittin: Ich glaube, dass in einer multipolar gewordenen Welt wir gar nicht darum herum kommen, Bündnispartner zu suchen, mit denen es Interessenüberschneidungen gibt. Die deutsche Wirtschaft ist sehr stark in China vertreten. Und es gibt ja auch Bereiche, wo wir mit China in ähnliche Richtungen gehen, ja teilweise von China lernen können. Der auch zum Beispiel in Deutschland ausgelöste Boom erneuerbarer Energien hat ja seine Fortsetzung in China gefunden.
Die stellen heute 35 Prozent der Windturbinen her, wir nur noch zehn. Wir haben eine Politik des Klimaschutzes in China, wo man 100 großen Kohlekraftwerken den Stecker gezogen hat. Davon könnten wir in Deutschland lernen. Aber es gib eben auch Konflikte, zum Beispiel in der Frage, ist China eigentlich auf dem eigenen Markt so offen, wie es das international von anderen Märkten fordert. Da gibt es berechtigte Zweifel.
"In dieser Welt mit unterschiedlichen Regimes klarkommen"
Büüsker: Und wir reden über ein sozialistisches Regime, das die Rechte seiner Bevölkerung massiv einschränkt. Können wir mit solchen Leuten kooperieren?
Trittin: Wir werden in dieser Welt mit sehr unterschiedlichen Regimes klarkommen müssen. Der G20-Gipfel ist ja kein Gipfel der Demokraten, sondern da sind etliche Potentaten und Autokraten dabei. Das reicht von Saudi-Arabien über Putin bis auch zu China, was gerade einen Nobelpreisträger nicht aus dem Land lässt, obwohl er wohl nach allen Informationen, die wir haben, im Sterben liegt, was selber Zwangslager betreibt.
Das ist die schwierige Situation, in der wir uns tatsächlich befinden: Wollen wir das erreichen, was eigentlich alle wünschen, nämlich Globalisierung gerechter zu gestalten und die großen politischen Probleme. Und das sind in dieser Welt der anhaltende Klimawandel und das ist, eine sich immer weiter zuspitzende Ungleichheit auf diesem Globus tatsächlich in den Griff bekommen. Wenn wir das nicht in den Griff bekommen, wird es mit der Sicherheit auf diesem Globus nicht besonders gut ausgehen.
Büüsker: Herr Trittin, ich habe den Gastbeitrag von Xi Jinping in der "Welt" angesprochen. Er schreibt darin ganz zum Schluss: "Denn wir haben ein gemeinsames Ziel, die Schaffung einer besseren Welt." Nehmen Sie dem Chinesen das ab?
Trittin: Die klassische chinesische Außenpolitik, die Lehre von der Harmonie, wie sie es nennen, zielt darauf hin. Man soll sich aber auch da keinen romantischen Illusionen hingeben. Selbstverständlich ist China Partner in vielen wirtschaftlichen Fragen. Aber China ist eben auch ein Land, was in den Regionen, in denen es wirtschaftlich aktiv ist, keine Hemmungen hat, auch so etwas wie Hegemonie zu praktizieren, und dem wird man nur begegnen können, nicht als Deutschland alleine, sondern mit einer sehr klugen europäischen gemeinsamen Außenpolitik, die sich der wirtschaftlichen Interessen bewusst ist, aber eben auch den internationalen Verpflichtungen und den eigenen Werten.
Eine etwas kurzsichtige Afrika-Politik
Büüsker: Jetzt haben Sie die Regionen angesprochen, in denen China aktiv ist. Eine Region ist Afrika, großes Thema auch bei diesem G20-Gipfel, großes Interesse auch der Bundeskanzlerin. Entwicklungsminister Müller, der möchte jetzt von China lernen und Investitionen in Afrika fördern. Warum das erst jetzt?
Trittin: Ich glaube auch, da ist man ein bisschen spät. Die Präsenz Chinas in Afrika ist eine Präsenz, die ist älter. Sie hat übrigens großen Wert darauf gelegt, dort Wertschöpfungsketten selber auf den Weg zu bringen, also nicht einfach nur verlängerte Werkbank für chinesische Produkte, sondern tatsächlich Produktion auch und gerade für den chinesischen Markt, während Europa viel zu lange den afrikanischen Kontinent als etwas angesehen hat, wo man Rohstoffe rausholt und möglichst dafür sorgt, dass keine Menschen rüberkommen. Das ist eine etwas kurzsichtige Politik gewesen. Die Chinesen waren da immer klüger, aber sie waren natürlich auch ein Stück rücksichtsloser. Das was Bedingung für viele Entwicklungsprojekte und Zusammenarbeitsprojekte aus Europa ist, nämlich ein bestimmtes Mindestmaß an Rechtsstaatlichkeit, damit hat sich China nie lange aufgehalten.
Büüsker: Dafür haben die Chinesen aber die Infrastruktur in Afrika wesentlich verbessert. Die Mobilfunknetze, die für die Afrikaner maßgeblich wichtig sind, haben die Chinesen ausgebaut und dann die Handys verkauft. Also hat China dann ja doch etwas für die Demokratisierung des Kontinents getan.
Trittin: China hat ohne Zweifel etwas dafür getan, dass dieser Kontinent sich entwickelt. Und eine vernünftige Infrastruktur - das bezieht sich auf eine Informationsinfrastruktur, das bezieht sich auf eine Verkehrsinfrastruktur, aber das bezieht sich auch und gerade auf die Bereitstellung von Energiekapazitäten – ist die Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung. Da hat China in der Tat etwas geleistet, was man aus europäischer Sicht nicht einfach nur als Bedrohung oder Minderung des eigenen Einflusses anschauen sollte, sondern wo man in der Tat an einigen Stellen tatsächlich von China lernen kann.
Der große Irrtum bei den Investitionen
Büüsker: Wir sehen an den aktuellen Fluchtbewegungen, die ja aus Afrika auch maßgeblich kommen, dass Teile der Entwicklungshilfe, die die Europäer auch geleistet haben, offensichtlich nicht funktionieren. Müssen wir also feststellen: Okay, Entwicklungshilfe, wir geben Geld rein und es versickert irgendwo, funktioniert nicht, jetzt lassen wir es die Märkte regeln?
Trittin: Nein. Es geht nicht darum, das über die Märkte zu regeln. Die Investitionen, über die wir hier sprechen, das sind im Wesentlichen Investitionen in die Infrastruktur. Die werden selbst in den erzkapitalistischen USA und in Europa im Wesentlichen unter staatlicher Aufsicht, staatlicher Regulierung oder durch den Staat selber getätigt, und das ist eigentlich der große Irrtum, dem Deutschland und Europa sich zurzeit anheim geben, dass sie glauben, sie könnten den Investitionsbedarf in Afrika ausschließlich und vor allen Dingen mit privatem Geld über Public Private Partnership Projekte hinbekommen.
Büüsker: Aber wieso soll das nicht funktionieren?
Trittin: Aus einem ganz einfachen Grund, weil es zu teuer ist. In einer Welt, in der mittlerweile die Zinsen ein historisches Tief erreicht haben, Infrastrukturprojekte darüber zu finanzieren, dass man Kapitalgebern sechs bis acht Prozent Kapitalrendite bezahlt, anstatt sich einen Kredit für zwei Prozent bei einer Bank zu holen, ist natürlich Verschwendung von Geld.
Über Afrika reden ohne Afrika
Büüsker: Herr Trittin, wir reden jetzt über Afrika. Genau das werden die G20-Staaten am Wochenende dann auch machen, über Afrika reden. Wie problematisch ist es, dass die Afrikaner selbst nicht mit am Tisch sind?
Trittin: Ja. Wenn man von Südafrika absieht, in der Tat ist das problematisch, und das ist ein Grundstrukturproblem der G20, dass sich dort die 20 größten Volkswirtschaften der Welt versammeln. Die repräsentieren zwar zwei Drittel der Weltbevölkerung und drei Viertel der CO2-Emissionen, vier Fünftel des Weltsozialprodukts, aber sie halten natürlich wichtige Akteure außen vor. Und die afrikanischen Staatschefs, die nach Hamburg kommen, die sitzen an dem, was man in Norddeutschland Katzentisch nennt.
Büüsker: Jürgen Trittin war das, für Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag und Mitglied des Auswärtigen Ausschusses. Wir haben gesprochen über die mögliche neue festere Freundschaft zwischen Deutschland und China. Danke für das Gespräch heute Morgen hier im Deutschlandfunk.
Trittin: Ich danke Ihnen, Frau Büüsker.