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China vor dem Volkskongress
"Massive Verwerfungen in der globalen Weltwirtschaft"

In China betreffe die Beschäftigungskrise bestimmte Sektoren, sagte Mikko Huotari vom Mercator-Institut im DLF. Das sei in Bezug auf die Gesamtzahl der arbeitenden Bevölkerung ein relativ geringer Prozentsatz. Für westliche Unternehmen bleibe das Land weiterhin ein wichtiger Absatzmarkt. Aber die chinesische Transformation der Wirtschaft werde für massive Verwerfungen in der globalen Weltwirtschaft sorgen.

Mikko Huotari im Gespräch mit Eva Bahner |
    In einem Hafen im Osten Chinas werden Container verladen.
    In einem Hafen im Osten Chinas werden Container verladen. (afp / STR)
    Eva Bahner: Wir schauen nach China. Morgen beginnt in Peking der Volkskongress, Chinas Version eines Parlaments von knapp 3.000 Delegierten, die allerdings nicht frei gewählt werden. Unter anderem soll dort in den nächsten Tagen der Fünf-Jahres-Plan ausgearbeitet werden - in einer Zeit, die nicht ganz einfach ist, denn die chinesische Wirtschaft steht ja vor einem tiefgreifenden Strukturwandel. Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Mikko Huotari vom Mercator-Institut. Schönen guten Tag nach Berlin.
    Mikko Huotari: Guten Tag.
    "Die Versprechungen sind extrem groß"
    Bahner: Die Weichen müssen neu gestellt werden für Chinas Wirtschaft, weg von der Werkbank der Welt hin zu einer modernen Dienstleistungs- und Konsumgesellschaft. Das ist der Plan. Wird denn das gelingen?
    Huotari: 2016 ist sicherlich ein kritisches Jahr für die Beurteilung dieser Frage. Wir müssen sehen: Die Versprechungen sind extrem groß, die Ambitionen sind hoch, hochgesteckte Ziele sind verkündet worden. Aber was wir derzeitig eigentlich sehen ist eine tiefgreifende Industriekrise, die sich richtig in das System reinfrisst, wo diese großen Reformambitionen gehindert werden. Dementsprechend ein extrem kritisches Jahr, schwierige Aufgabe für die chinesische Führung.
    Bahner: Wie könnte die denn jetzt gegensteuern?
    Huotari: Die Führung versucht natürlich, durch neue Pläne, durch neue Ansätze jetzt die Reformen voranzubringen. Beispielsweise ist die Rede davon, dass jetzt stärker auf der Angebotsseite, das heißt, durch den Abbau von Überkapazitäten und Ähnliches, diese Industriekrise in den Griff bekommen werden soll. Das zeigt sich als durchaus schwierig, denn da geht es sozusagen ans Eingemachte. Da geht es dann auch um soziale Verwerfungen, die damit zusammenhängen, beziehungsweise letztlich um die Aufgabe, staatliche Kontrolle aufzugeben.
    "Soziale Verwerfungen sind zu erwarten"
    Bahner: In der Kohle- und Stahlindustrie sollen 1,8 Millionen Arbeiter ihren Job verlieren, weil die Überkapazitäten einfach so groß sind. Davon geht die Regierung aus, das wurde jetzt bekannt. Andere Experten sprechen sogar von fünf bis sechs Millionen Jobs, die verloren gehen könnten. Wie kostspielig wird denn dieser Strukturwandel überhaupt?
    Huotari: Das zeigt sich jetzt zunehmend, dass die Kosten hier sehr hoch sein werden. Soziale Verwerfungen sind zu erwarten. Einige Provinzen, wo diese Schwerindustrien ganz besonders stark sind, vor allem im Nordosten des Landes werden massiv leiden darunter. Die Führung verspricht jetzt neue Mittel, 14 Milliarden Euro sind jetzt für die nächsten zwei Jahre beispielsweise angekündigt.
    Bahner: Als Konjunkturprogramm?
    Huotari: Ja, letztlich eigentlich dafür, genau diese Arbeitsplatzverluste dann irgendwie aufzufangen, durch Umschulungsmaßnahmen beispielsweise. Dazu kommen massive Konjunkturprogramme durch den weiteren Ausbau von Infrastruktur etc. Aber das Ganze führt natürlich dazu, dass die eigentliche Reformagenda verzögert wird.
    Bahner: Umschulungsmaßnahmen, das kann man sich ja eigentlich kaum vorstellen bei fünf bis sechs Millionen Menschen, die auf einmal arbeitslos werden.
    Huotari: Das ist die Problematik. Da geht es dann darum, dass auch Staatsunternehmen, die eigentlich Pleite gehen müssten, die unter dem Schlagwort Zombie-Unternehmen mittlerweile auch schon in China geführt werden, dass die weiterhin am Leben gehalten werden, um diese Beschäftigungsproblematik dann auch etwas abzumildern.
    "Die chinesische Transformation der Wirtschaft sorgt für massive Verwerfungen in der globalen Weltwirtschaft"
    Bahner: Was bedeutet das denn dann für den Absatzmarkt China? Denn wenn es keine Chinesen mehr gibt, die konsumieren können, weil sie arbeitslos sind, dann bedeutet das ja auch, dass die Weltwirtschaft insgesamt betroffen wäre von dieser Krise.
    Huotari: Man muss das natürlich etwas einordnen. Die Beschäftigungskrise betrifft bestimmte Sektoren, vor allem die Schwerindustrie. In Bezug auf die Gesamtzahl der arbeitenden Bevölkerung, auch der Menschen, die konsumieren, ist das immer noch ein relativ geringer Prozentsatz. Das heißt, China als Absatzmarkt wird weiterhin ein immenses Gewicht für europäische, westliche Unternehmen haben, die dort investieren oder ihre Güter verkaufen möchten. Aber es ist klar: Die chinesische Transformation der Wirtschaft sorgt für massive Verwerfungen in der globalen Weltwirtschaft.
    Bahner: In der Gruppe der G20 spricht man ja auch jetzt von der neuen Normalität. Man versucht, diese Wirtschaftsschwäche oder Krise oder den Strukturwandel herunterzuspielen. Wird denn hinter den Kulissen da doch Druck ausgeübt auf die chinesische Führung, hier doch massiver gegenzusteuern?
    Huotari: Die chinesische Führung ist sicherlich in Erklärungszwang dort in diesen Gremien. Aber es ist nicht so, dass die G20 jetzt auch die Instrumente in der Hand hätten, dort tatsächlich effektiv auf China einzuwirken. In der Tat ist es eigentlich so, dass die chinesische Führung mittlerweile dazu übergegangen ist, die die Präsidentschaft der G20 innehat, eigentlich die eigenen Wirtschaftsreformbedürfnisse auch in die G20 hineinzutragen. Es zeigt sich, dass die G20 jetzt hier kein Instrument sind, um China massiv unter Druck zu setzen.
    Bahner: Einschätzungen waren das von Mikko Huotari vom Mercator-Institut zu Chinas Wirtschaft vor dem Volkskongress, der morgen in Peking beginnt. Vielen Dank nach Berlin.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.