Im Kinderzimmer von Haoming in Shanghai sieht es so aus, wie es auch bei einem 9-Jährigen in Europa aussehen könnte: Unterm Fenster steht ein Bett, gegenüber ein Kleiderschrank. Daneben an der Wand stehen ein kleiner Schreibtisch und ein Regal mit Schulsachen, Büchern und Spielzeug.
Haoming lebt mit seiner Mutter Xiaojing und deren Freund in einer kleinen Wohnung im Norden Shanghais. Die beiden heißen eigentlich anders. Um sie zu schützen, haben wir ihre Namen geändert. Seit Anfang September geht Haoming in die 3. Klasse.
Weniger Englisch, mehr "Xi-Jinping-Kunde"
Für Haoming hat sich einiges geändert mit dem neuen Schuljahr: Unter anderem wird an den Schulen in Shanghai nun weniger Englisch unterrichtet. Noch könne sie nicht sagen, was das für ihren Sohn bedeute, sagt die 43-jährige Xiaojing.
100 Jahre Kommunistische Partei Chinas
Die Kommunistische Partei Chinas hat mehr als 90 Millionen Mitglieder. Ihr Anspruch auf Alleinherrschaft ist in der Verfassung festgeschrieben. Doch um ihre Macht zu halten, betreibt die KP einen gewaltigen Unterdrückungs- und Zensurapparat.
Die Kommunistische Partei Chinas hat mehr als 90 Millionen Mitglieder. Ihr Anspruch auf Alleinherrschaft ist in der Verfassung festgeschrieben. Doch um ihre Macht zu halten, betreibt die KP einen gewaltigen Unterdrückungs- und Zensurapparat.
"Bisher habe ich natürlich noch keine großen Unterschiede festgestellt. Er hat jetzt statt vier nur noch drei Wochenstunden Englisch. Wir wissen noch nicht, ob es dieses Schuljahr wieder Englisch-Tests geben wird. In den vergangenen Jahren gab es die."
Haomings Mutter möchte ihren Sohn später auf eine internationale Schule in Shanghai schicken. Ihm zur Vorbereitung zusätzlich Nachhilfe-Unterricht zu verordnen, das ist allerdings nicht mehr ohne Weiteres möglich. Denn auch das ist eine Neuerung zum eben begonnenen Schuljahr in China: Kommerzielle Nachhilfe-Anbieter sind stark eingeschränkt, teilweise sogar verboten worden. An Wochenendend sollen Kinder in China überhaupt keine Nachhilfe mehr in Anspruch nehmen können. Mutter Xiaojing findet die neuen Regeln eigentlich gut, weil Bildung damit weniger abhängig vom Geldbeutel der Eltern wäre. Aber sie hat auch Bedenken.
"Wir machen uns als Eltern natürlich Sorgen, wenn wir merken, dass unsere Kinder im Unterricht nicht mehr mitkommen und wir dann doch wieder Nachhilfe organisieren müssen. Gut möglich, dass Nachhilfe künftig heimlich und quasi im Untergrund stattfindet. Aus der Nachhilfelehrerin wird dann eine Haushaltshilfe oder so."
Massive Eingriffe ins Alltagsleben
Für den 9-Jährigen hat das neue Schuljahr eine weitere Neuerung gebracht. Als neues Schulfach ist Xi-Jinping-Kunde dazu gekommen. Landesweit bekommen chinesische Kinder ab der Grundschule die Lehren des kommunistischen Staats- und Parteichefs beigebracht.
"Ich find’s ganz interessant. Da geht es um Patriotismus, um die Nationalhymne und Heldengeschichten."
"Kannst Du mir sagen, was Patriotismus bedeutet? In Deutschland haben wir das nicht als Schulfach."
"Es geht darum, sein Land zu lieben. Und darum, dass wir uns in China nicht mehr versklaven lassen."
Xi-Jinping-Kunde als Schulfach, ein landesweites Verbot privater Nachhilfe: Das sind nur zwei Beispiele dafür, wie Chinas Staats- und Parteiführung neuerdings wieder massiv ins Alltagsleben der Menschen in der Volksrepublik eingreift.
Verbot von Videospielen unter der Woche
Fast wöchentlich gibt es neue Anweisungen, die im Staatsfernsehen verlesen werden. So wie Ende August: Da kündigte Chinas Kommunistische Partei an, dass Online-Videospiele für Minderjährige außer am Wochenende verboten werden.
Auch die Unterhaltungsindustrie wird strenger reglementiert, die großen IT-Konzerne, ganze Wirtschaftszweige. Dahinter stecke eine Rückbesinnung auf sozialistische Werte, sagt der Politikwissenschaftler Sebastian Heilmann, der an der Universität Trier den Lehrstuhl für Politik und Wirtschaft Chinas innehat.
"Menschen sind Kollektivwesen aus der Sicht des Sozialismus. Das heißt, die dürfen sich nicht solchen individuellen Eskapismen aussetzen, das Fliehen in die Sozialen Medien oder ins Gaming, sondern die sollen in der realen Welt stehen, die sollen was Solides lernen, die sollen hart arbeiten und die sollen sich notfalls auch fürs Vaterland opfern."
"Erinnert euch an die ursprüngliche Mission der Kommunistischen Partei", rief Xi Jinping Anfang Juli zum 100. Gründungstag der KP den Parteimitgliedern zu. "Stärkt eure Ideale und Überzeugungen." Viele, vor allem westliche Beobachter, haben solche Appelle in den vergangenen Jahren als sozialistische Folklore abgetan, die man nicht mehr ernst nehmen müsse. Aber rund 40 Jahre nach Beginn der wirtschaftlichen Öffnungspolitik in China ist die "ursprüngliche Mission der KP" – und damit der sozialistische Traum von der Gleichheit – aktueller denn je.
Deutlich wurde das Mitte August nach einer Sitzung des mächtigen Finanz- und Wirtschaftskomitees unter Leitung von Xi Jinping. Wie in China üblich gab es anschließend keine Pressekonferenz, sondern nur eine Ansage im Fernsehen. Aber die war deutlich:
Eine neue antikapitalistische Rhetorik
"Wohlstand für alle bedeutet Wohlstand für alle Menschen, (…) nicht Wohlstand für einige wenige", verlas eine Sprecherin die Ergebnisse der Beratungen.
Es sei notwendig, "exzessiv hohe Einkommen zu regulieren und Unternehmen mit hohen Einnahmen dazu zu bringen, mehr an die Gesellschaft zurückzugeben."
Die antikapitalistische Rhetorik kommt zumindest in Teilen der Bevölkerung an: Denn in kaum einem anderen Land der Welt klafft die Schere zwischen arm und reich so weit auseinander wie im sozialistischen China. Für Politikwissenschaftler Sebastian Heilmann von der Universität Trier sind die neuen Schlagworte Zeichen tiefgreifender Veränderungen.
"Es ist so, dass die Parteiführung um Xi Jinping offensichtlich zu dem Schluss gekommen ist, dass die materiellen Voraussetzungen jetzt gegeben sind, was ganz Neues anzufangen, um den Sozialismus in China für dieses 21. Jahrhundert weiterzuentwickeln."
Dabei sah es lange so aus als hätte sich China vom Sozialismus fast schon verabschiedet. In diversen Wirtschaftszweigen sind in den vergangenen Jahren mächtige Privatunternehmen entstanden. Die größten und bekanntesten sind die Fintech- und Onlinekonzerne Alibaba und Tencent.
Das Klima hat sich gewandelt
Auch in Bereichen wie Online-Shopping, Logistik, und Mitfahrdienste gab es einen Gründerboom; finanziert durch staatliches und privates Risikokapital. Jahrelang konnten sich Unternehmen wie Alibaba, Didi, Bytedance und Pinduoduo auf Unterstützung der Staatsführung verlassen. Doch in den vergangenen Monaten hat sich das Klima gewandelt, sagt Duncan Clark, Chef der Unternehmensberatung BDA in Beijing.
"It seems that the government in China is reassessing its relationship with the big tech companies." ("Es scheint so, dass die chinesische Regierung ihre Beziehungen mit den großen IT-Konzernen neu ausrichtet.")
Beispiel Ant. Der Mutterkonzern der Bezahl- und Finanzdienstleistungs-App Alipay wollte vergangenen November an die Börse gehen. Rund 48 Stunden vor der geplanten Erstnotierung der Aktien in Hongkong und Shanghai aber stoppte die Staatsführung den Börsengang – völlig überraschend. Inzwischen ist bekannt: Die Anweisung zur Absage kam von ganz oben. Die kommunistische Staats- und Parteiführung hatte sich offensichtlich an kritischen Aussagen des Ant-Chefs Ma Yun alias Jack Ma gestört.
Ma hatte kurz vor dem geplanten Börsengang in Shanghai eine Rede gehalten, bei der er Chinas private Fintech-Industrie gelobt und den staatlichen Banken-Sektor kritisiert hatte. Zu behäbig seien die etablierten Finanzinstitute in China, das sei ungesund und berge Risiken.
Aus Sicht der kommunistischen Führung hatte der bis dahin allgegenwärtige Vorzeige-Manager Jack Ma mit seiner offenen Kritik eine rote Linie übertreten. Der Börsengang seines Fintech-Unternehmens Ant platzte, Jack Ma selbst musste sich seitdem weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Unternehmensberater Duncan Clark, der ein Buch über den Aufstieg von Jack Ma geschrieben hat, gibt das zu denken. "Zunächst dachte man: Es geht hier nur um Jack Ma, weil er sich so offen äußert, und um sein Unternehmen Ant. Aber seitdem haben wir ein noch viel weitgehenderes Durchgreifen der Behörden gegen große Tech-Firmen in China erlebt."
Konzerne am Gängelband der Politik
Beispiel Didi. Der Taxi- und Mitfahrdienstleister ist in den vergangenen Jahren zu einem der größten und bekanntesten Startups der Volksrepublik herangewachsen. Ende Juni ging Didi in New York an die Börse. Nur wenige Tage danach wurde der Konzern mit einer Vielzahl behördlicher Ermittlungen konfrontiert: Vorgeworfen werden Didi unter anderem Verstöße gegen chinesische Anti-Monopol-Gesetze und gegen Datenschutzregeln. Was sich nach rechtsstaatlichen Verfahren anhört, hat nach Ansicht der meisten Beobachter allerdings andere Gründe. Dan Wang ist die China-Chefökonomin der Hang-Seng-Bank in Shanghai.
"Die chinesische Regierung hat ihre Haltung gegenüber den großen IT- und Tech-Plattformen geändert. Sie waren in den vergangenen Jahren sehr wichtig für Chinas wirtschaftliche Entwicklung und wichtig für den Aufbau neuer Technologien wie Fintech oder E-Commerce. Aber aus Sicht der Staatsführung ist das jetzt nicht mehr gefragt."
Chinas High-Tech-Unternehmen werden neuerdings auch genötigt, Milliardenbeträge zu spenden – etwa für Bildungsprojekte und die ländliche Entwicklung. Ganz freiwillig sind diese "Spenden" offenbar nicht, aber Einzelheiten werden nicht genannt. Und offen sprechen will darüber in Festlandchina kaum jemand. Selbst Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner, die sich in der Vergangenheit kritisch geäußert haben, sind auffallend still geworden. Andere verteidigen das Vorgehen der Staats- und Parteiführung. So wie Ye Tan, Gründerin einer Unternehmensberatung in Shanghai.
"Das ist der Beginn eines neuen Wirtschaftszyklus‘. Das liegt in der Natur der Sache. In den 1980-er Jahren war China sehr arm. Die damalige Politik bestand darin, zuerst in einigen Bereichen für Reichtum zu sorgen. Nun lautet das Politik-Ziel ‚Wohlstand für alle‘. Um das zu erreichen, werden bestimmte Maßnahmen ergriffen. Alles, was wir gerade in China erleben, hat mit dem Ziel ‚Wohlstand für alle‘ zu tun."
Rückkehr zum Kommunismus?
Außerhalb Chinas sieht man das Vorgehen der Staatsführung gegen Teile der Privatindustrie deutlich kritischer. Alicia García-Herrero ist die für Asien verantwortliche Chefökonomin der französischen Investmentbank Natixis. Ihrer Ansicht nach zeigt sich nun, dass China eben kein marktwirtschaftliches, sondern ein kommunistisches Land sei.
"Man hat sich in China ein Wirtschaftsmodell ausgeborgt, an das man eigentlich nie geglaubt hat. Trotzdem hat man sich für einen gewissen Zeitraum der Marktwirtschaft bedient, mit dem Ziel, reich zu werden. Jetzt, wo dieses Ziel erreicht ist, kehrt man zurück zum bevorzugten Wirtschaftsmodell."
Der deutsche Manager Jörg Wuttke lebt seit Ende der 1990er Jahre in China. Als Präsident der Europäischen Handelskammer trifft Wuttke regelmäßig einflussreiche Firmenchefs und politische Entscheider in der Volksrepublik. Auch Jörg Wuttke nimmt deutliche Veränderungen in Chinas Wirtschaftspolitik wahr.
"Ich würde sagen: Man sollte das mit Vorsicht und zum Teil auch mit Sorge sehen. Zumindest führt China vor, wie schnell sie gesamte Wirtschaftsbereiche stilllegen können oder auch beeinflussen können. Ich glaube, dass Firmen, die jetzt wirklich in Aktien investieren, in Firmen investieren, sehr viel vorsichtiger sein müssen – weil sie im Grunde wahrscheinlich jetzt erst darauf kommen, dass sie hier in einen kommunistischen Staat investiert haben."
Kontrolle des Spielverhaltens von Minderjährigen
Auch in anderen Bereichen der Gesellschaft ist der Einfluss der Kommunistischen Partei spürbar gewachsen: Nach einem langen Schultag noch ein bisschen online zocken – damit ist es jetzt vorbei.
Anbieter von Smartphone- und Tablet-Spielen müssen seit dem 1. September den Zugang für minderjährige Spielerinnen und Spieler in China drastisch einschränken. Betroffen ist zum Beispiel der weltweit größte Anbieter von Online-Spielen Tencent – der in China vor allem mit Honor of Kings erfolgreich ist.
Nur noch freitagabends und am Wochenende – und dann nur jeweils eine Stunde lang von acht bis neun Uhr abends – dürfen Minderjährige in China virtuelle Helden wie Li Xin oder A Ke in den Kampf schicken. Diese Regeln technisch umzusetzen ist in China einfach.
Angst vor kulturellem Zerfall?
Offiziell begründet die chinesische Regierung die Maßnahmen mit der Sorge vor wachsender Spielsucht unter Minderjährigen. Aber der Kommunistischen Partei gehe es auch hier – wie bei der Regulierung der Tech-Konzerne – um etwas Anderes, sagt der Trierer Politikwissenschaftler Sebastian Heilmann: Online-Gaming gelte als zu westlich.
"Der Westen ist aus der Sicht und Analyse der Kommunistischen Partei Chinas im Niedergang. Die westlichen Gesellschaften zerfallen, die politischen Systeme, die sind immer mehr zerrissen und von Polarisierung geprägt. Das heißt, dass man Schlussfolgerungen zieht aus dem, was im Westen schiefgelaufen ist. Und das bedeutet, in China muss die Gesellschaft kollektiv orientiert sein. Es darf nicht das Menschenbild des Westens sich auch im Kulturbetrieb zeigen und deswegen diese Attacke auf die Gaming-Industrie."
Feldzug gegen die Unterhaltungsindustrie
Daneben gehen die die Behörden gegen die gesamte Unterhaltungsindustrie vor, gegen die kommerzialisierte Fankultur in China und reiche Schauspielerinnen und Schauspieler.
Anfang September, nur wenige Tage nach den Einschränkungen bei den Online-Spielen, verlas eine Sprecherin im Staatsfernsehen eine lange Liste neuer Richtlinien für die Unterhaltungsindustrie. Fast zeitgleich verschwanden einige populäre – und sehr reiche – Stars quasi über Nacht aus den chinesischen Streamingdiensten und von den Social-Media-Plattformen. Gegen mehrere Stars wird wegen Steuerhinterziehung ermittelt. Ihre Filme dürfen nicht mehr gezeigt werden. Hunderte Online-Fangruppen wurden verboten wie auch populäre Shows. Und: Männer mit femininen Zügen sind nicht mehr erwünscht.
Androgyne Männertypen nicht mehr erwünscht
Die Unterhaltungsindustrie müsse die Liebe zur Partei und zum Vaterland fördern, heißt es in den neuen Anweisungen. Fernsehsender und Streamingdienste werden angewiesen, auf die, so wörtlich, "korrekte Ästhetik" zu achten und "verweichlichte Männer" nicht mehr zu zeigen. Im amtlichen Dokument steht sogar das Wort Niang Pao – ein Schimpfwort in China für androgyn aussehende Männer – zu übersetzten in etwa mit "Tussi-Typen".
Gemeint sind populäre Sänger wie der 23-jährige Cai Xu Kun, der auch schon mal mit Lidschatten und Lippenstift auftritt, oder Wang Yuan von der Boy Group TF Boys: Der 20-jährige Sänger aus Zentralchina lässt sich gern mit langen Ohrringen und fluffigen, blumigen Tops ablichten. Popstars wie Cai und Wang entsprechen nicht dem "klassischen" chinesischen Männerbild. Die Boygroups mit ausdrücklich androgynen Stars seien Ausdruck einer Jugendkultur, die sich von alten Geschlechter-Stereotypen längst gelöst habe, sagt Wang Shuaishuai, der an der Universität von Amsterdam zur Digitalkultur in China forscht.
"Durch den Einfluss der sozialen Medien und der Digitalkultur sind junge Leute in China in den letzten zehn Jahren toleranter und offener geworden, was Verhalten angeht, das den Gender-Normen nicht entspricht. Auch in der Sprache merkt man das, in der ganzen Kultur – die Akzeptanz von Homosexualität hat deutliche Fortschritte gemacht."
Diese Fortschritte könnten die neuen Regeln der chinesischen Staatsführung jetzt zunichtemachen, fürchtet Wang. Die abwertende Sprache in Regierungsdokumenten leiste der Ausgrenzung von LGBTQ-Communities Vorschub. Zugleich warnt der Forscher davor, die Möglichkeiten, Zensur und Verbote zu umgehen, zu unterschätzen.
Bildungssystem spielt zentrale Rolle für Umbau
Wie sich überhaupt die Frage stellt, ob der große Umbau der chinesischen Gesellschaft, so wie ihn sich die Parteiführung vorstellt, einfach von oben verordnet werden kann. Dass die Menschen in China mitziehen, sei gar nicht so sicher, sagt Politikwissenschaftler Sebastian Heilmann.
"Die chinesische Gesellschaft ist natürlich anders strukturiert, als die Partei sie gerne hätte und auch als die Partei sie wahrnimmt. Und man kann das nicht so einfach umformen, von einem Tag auf den anderen schon gar nicht, indem man nur neue Spielregeln erlässt, sozusagen. Aber wir sollten nicht unterschätzen, was doch auch an Gehirnwäsche im chinesischen Bildungssystem stattfindet. Was für eine Mobilisierungsmaschine diese Kommunistische Partei unter Xi Jinping wieder geworden ist und was für ein Druck da auch ausgeübt wird in allen Bereichen der Gesellschaft. Das heißt, ich glaube, dass diese Sache offen ist."
Dass Chinas Führung das Land liberalisiert, zeichnet sich jedenfalls nicht ab. Im kommenden Jahr will sich Xi Jinping beim 20. Parteitag der KP für eine dritte Amtszeit als Staatspräsident bestätigen lassen. Im Vorfeld werde das Land auf Linie gebracht, wolle Xi China neu aufstellen, sagen Kritiker.
Gesellschaftlicher Umbau "notwendige Medizin"
In den chinesischen Medien und in der chinesischen Wirtschaft beschwichtigen hingegen viele, die Maßnahmen der Regierung sollten lediglich Marktverzerrungen korrigieren. Ye Tan, die Unternehmensberaterin in Shanghai, spricht von einer notwendigen Medizin – mit gewissen Nebenwirkungen.
"Jeder Arzt verschreibt ein anderes Medikament und das in der richtigen Dosierung. Ob das letztlich zu viel oder zu wenig ist, wird sich erst noch zeigen."
Aber eines ist klar: In Chinas Wirtschaft, in der Kultur, in Gesellschaft und Bildung werden die staatlichen Eingriffe wohl mindestens bis zum Parteitag im nächsten Jahr weitergehen. Es bleibt bei mehr Kontrolle, mehr Ideologie und der Rückbesinnung auf vermeintlich sozialistische Werte.