Vor einem großen chinesischen Geschäft haben sich zahlreiche Menschen versammelt – es wird ein Löwentanz aufgeführt. Zwei Männer bewegen sich unter einem traditionellen chinesischen Löwenkostüm im Takt der Musik eines kleinen Orchesters. Gerade verschwindet der Löwe mit hin und her schwenkendem Kopf im Eingang des Ladens.
Zu Beginn eines neuen Jahres sieht man überall in China, und auch in den Chinesenvierteln anderer Länder, den traditionellen Löwentanz. Dieser soll Glück bringen und böse Geister vertreiben. In diesem Jahr beginnt für Chinesen das neue Jahr am 16. Februar. 2018 ist das Jahr des Hundes.
"Für die meisten Chinesen ist das Feiern des neuen Jahres ein kulturelles Ereignis. Aber während der Kulturrevolution waren die Neujahrsfeiern verboten. Die Rituale wurden als Aberglaube einer überholten Zeit betrachtet. Einige Elemente des Neujahrfestes beruhen wirklich auf sehr alten Vorstellungen."
Sagt der Religionswissenschaftler Prof. John Powers von der Deakin University in Melbourne. Während der Regierung unter dem Vorsitzenden Mao Tse-tung wurden alle religiösen Praktiken und Rituale unterdrückt. Stattdessen gab es in China Zeremonien, die den Kommunismus verherrlichten. Doch nach dem Tod Maos und der Öffnung des Landes lebten alte Traditionen wieder auf. Das neue Jahr wird nun auch in China ausgelassen gefeiert, so wie in anderen Ländern mit einer chinesischen Bevölkerung. Zum Beispiel in Singapur, Indonesien und Australien.
Die größte Migrationsbewegung der Welt
In China sind vor dem Beginn des neuen Jahres etwa 200 Millionen Leute unterwegs. Es ist die größte Migrationsbewegung auf der ganzen Welt.
Die Verträge der Wanderarbeiter laufen jetzt aus. Arbeiter, die in China das ganze Jahr fernab von ihren Familien Geld verdient haben, kehren in den Kreis ihrer Familie zurück. Chinesen, die im Ausland arbeiten, kommen nach Hause, Deshalb sind Züge und Busse überfüllt und Flüge ausgebucht.
Schon ein paar Wochen vor dem Jahreswechsel herrscht in den Geschäftsvierteln Hochbetrieb - es muss einiges besorgt werden: Esswaren, Räucherstäbchen, Feuerwerkskörper und Dekorationsmaterial für Wohnungen und Häuser stehen auf der Einkaufsliste. Lampions, spiralförmige Papierbänder mit Neujahrswünschen und Umschläge sind sehr gefragt - alles in Rot. Die Farbe Rot symbolisiert für die Chinesen Kraft, Zufriedenheit und Glück. Vor dem Ausklang des Jahres bilden sich oft lange Menschenschlangen vor den Banken, da Chinesen jetzt alte Banknoten gegen neue eintauschen.
"Die Leute überreichen Angehörigen und Freunden rote Umschläge, in denen sich immer neue Banknoten befinden. Es gibt klare Vorgaben, wie hoch der Betrag sein soll, den eine Person bekommt. Besonders ältere Leute geben den jüngeren Geld."
Und Firmenchefs erfreuen ihre Mitarbeiter am Anfang des neuen Jahres mit zusätzlichem Geld. Auch die Vorfahren vergisst man nicht.
Geld bekommen auch die Ahnen. Die Welt der Toten, so der Glaube, unterscheidet sich nicht von der realen Welt. Wenn die Ahnen also wohlhabend sind, können sie Einfluss nehmen, zum Beispiel jemanden bestechen - genau wie im wirklichem Leben. Man ist der Ansicht, wenn es einer Familie finanziell gut geht, liegt das auch am Einfluss der Ahnen, Deshalb sind die Leute bemüht, für das Wohlergehen der Ahnen zu sorgen, damit sie den Lebenden auch weiterhin helfen. Die ganze Familie arbeitet Seite an Seite, die Lebenden und die Toten.
Vermischung verschiedener Religionspraktiken
Der Jahreswechsel und das anschließende Frühlingsfest ist mit einigen Ritualen verbunden. Dabei kommt es auch manchmal zu Vermischungen der verschiedenen Religionen: dem Bhuddhismus, der Lehre des Konfuzius, dem Volksglauben und dem Daoismus.
"Sehr oft halten daoistische Priester Zeremonien für die Vorfahren einer Familie ab. Den Ahnen wird dabei Essen angeboten und man entzündet Räucherstäbchen. Der Jahreswechsel gilt als eine besonders günstige Zeit, den Ahnen etwas zu geben."
Wenige Tage vor Beginn des neuen Jahres verabschiedet man den Küchengott. Das ganze Jahr hat das Abbild der Gottheit seinen Platz in der Nähe der Kochstelle gehabt und von hier aus alle Vorgänge im Haus verfolgt. Waren die Bewohner großzügig zu einem Bettler, der an die Tür klopfte? Und ist die Hausfrau achtsam mit übrig gebliebenen Essen umgegangen? Über alle Geschehnisse im Haushalt berichtet die Gottheit dem himmlischen Jade-Kaiser, nachdem er verabschiedet wurde. Doch bevor die Familie Abschied nimmt, bietet sie dem Küchengott Süßigkeiten und Wein an. Dies, damit er dem himmlischen Herrscher nur Gutes berichtet und die Familie dadurch die Gunst des Jade-Kaisers genießt.
"Viele Rituale dienen dazu, negative Einflüsse los zu werden und ein sorgenfreies Jahr zu erleben. Die Chinesen wünschen sich ein friedliches und harmonisches Verhältnis zu anderen Menschen und finanziellen Wohlstand. Diese Wünsche schreibt man in großen Schriftzeichen auf, da man glaubt, dass diese eine besondere Kraft besitzen."
Am letzten Abend des Jahres trifft sich die ganze Familie zu einem Festessen. Traditionell kommt dabei auch immer Fisch auf den Teller, der aber niemals ganz aufgegessen wird. "Fisch" und "Überfluss" sind im Chinesischen gleichlautend. Da der eigene Wohlstand nicht zu Ende gehen soll, lässt man von dem Fisch etwas übrig.
Vor Mitternacht verlässt dann die ganze Familie das Haus, um die Spuren des alten Jahres mit ins Freie zu nehmen. Zu Beginn des neuen Jahres öffnet man alle Fenster, damit das Glück ins Haus gelangen kann.
Legendäres Feuerwerk
Ein neues chinesisches Jahr hat begonnen: Knallfrösche explodieren und Raketen steigen in den Himmel. In China hat das Feuerwerk seinen Ursprung in einer Legende.
"In der Geschichte spielen rotes Papier und das Verbrennen von Bambus eine entscheidende Rolle. Damit wurde der Dämon Nian vertrieben, der immer zu Neujahr Dörfer angriff und Leute auffraß. Aus diesem Grund versteckten sich die Dorfbewohner vor dem Jahreswechsel."
Eines Tages kam ein alter Mann ins Dorf. Dieser weigerte sich, zum Jahreswechsel das Dorf mit den Anderen zu verlassen. Stattdessen kleidete er sich ganz in Rot und beklebte sämtliche Türen mit rotem Papier. In die Hütten stellte er brennende Kerzen und entzündete Bambus, welcher mit lautem Krachen verbrannte. Das Monster traute sich daraufhin nicht ins Dorf und ward von jenem Tag an nie mehr gesehen.
Mit dem Neujahrstag beginnt auch das 15 Tage dauernde Frühlingsfest. Am vierten Tag des Festes erwartet man die Rückkehr des Küchengotts. Man legt Früchte an seinen Platz und bereitet Tee für die Gottheit.
Buddhisten unter den Chinesen ernähren sich am siebten Tag vegetarisch. Außerdem glauben viele, dass das Töten eines Tieres am Anfang des Jahres Unglück bringt.
Das Frühlingsfest endet am 15. Tag des neuen Jahres. An diesem Tag stellen die Chinesen Kerzen und Lichter außerhalb des Hauses auf, um den Ahnen den Weg zurück nach Hause aufzuzeigen.