Remme: Herr Shi, Herr Botschafter, vielen Dank, dass Sie zu uns hier ins Hauptstadtstudio gekommen sind. Sie leben seit Ihrem Studium, in den 70er-Jahren in der DDR, nicht ununterbrochen, aber immer wieder in Deutschland. Sie sind seit gut zwei Jahren jetzt Botschafter hier. Was sollten wir am Beginn dieses Gespräches über Sie wissen?
Shi: Ich möchte gerne am Anfang kurz von mir erzählen. Ich habe 1972 in der ehemaligen DDR angefangen zu studieren. Vorher habe ich auch schon in der Grundschule, in Peking, die deutsche Sprache gelernt. Mit 17 fuhr ich mit dem Zug von Peking über Moskau dann nach Ost-Berlin. Ich habe drei Jahre studiert und bin jetzt schon seit 42 Jahren im diplomatischen Dienst. Und habe seitdem, mit Unterbrechungen, insgesamt 25 Jahre in Deutschland verbracht.
Remme: In diesen Auslandsjahren, in denen Sie nicht in der Heimat sind, fehlt Ihnen etwas oder ist Ihnen Deutschland sozusagen eine zweite Heimat geworden?
Shi: Deutschland ist meine zweite Heimat. Als ich Student war, war ich natürlich noch nicht verheiratet, sondern erst Anfang der 80er-Jahre. Ich habe auch hier die Wende miterlebt und habe nach der Wende noch einmal vier Jahre in Bonn – von 1993 bis 1997 – gearbeitet.
"Ich hoffte, dass China wie die DDR sein könnte"
Remme: Dennoch die Frage: Wenn Sie hier sind, was vermissen Sie an China in dieser Zeit?
Shi: Also vor 42 Jahren war China ein sehr rückständiges Land. Als ich nach Ost-Berlin kam, habe ich festgestellt, dass die Läden voll von Waren sind. Und ich habe gehofft, dass China eines Tages auch wie die ehemalige DDR sein könnte, die ja fast die zehnte Industrienation der Welt war. Als ich nach West-Berlin kam damals, als Diplomat – man konnte ohne Weiteres mit dem Diplomatenwagen über die Grenze –, da habe ich diese Fülle von Waren noch einmal bestaunt. Aber wenn ich heute zurückblicke, sehe ich, welch großen Sprung China gemacht hat.
Remme: Macht Sie das stolz?
Shi: Natürlich. Wir haben so einen Stand erreicht, für den die Industrieländer mehr als 100 Jahre gebraucht haben.
Remme: Wir sprechen gleich ausführlich über Ihr Land. Lassen Sie uns noch kurz weiter über Deutschland reden. Kaum ein Tag vergeht – und Sie haben es gerade selber gesagt – in diesen Wochen, ohne Gedenken an die Ereignisse vor 25 Jahren, 1989. Sie waren an der Botschaft in Ost-Berlin – was ist für Sie die prägende Erinnerung an den Mauerfall?
Shi: Die Menschen oder die Massen, die auf die Straße gegangen sind und die Wiedervereinigung wollten. Das habe ich auch miterlebt. Am Anfang war: "Wir sind das Volk!" und dann "Wir sind ein Volk!". Und das hat uns sehr beeindruckt. Von Anfang an haben wir die Deutsche Einheit unterstützt – schon in den 50er-Jahren, als die DDR noch für die Einheit war. Und dann Ende der 60er-Jahre hat die DDR die Position zur Deutschen Einheit geändert und betrachtete die Menschen in der DDR als die sozialistische Nation und die in Westdeutschland als die kapitalistische Nation. Wir hatten damals auch eine große Auseinandersetzung mit der SED-Führung, wir sollten eine Nation letztlich nicht in Ideologien aufteilen. Eine Nation verbindet eine gemeinsame Sprache, Geschichte und Tradition.
Remme: Und wie erleben Sie im Moment, wenn Sie die aktuelle Diskussion verfolgen, den Streit um die DDR als angeblichen Unrechtsstaat oder Rechtsstaat?
Shi: Die Wiedervereinigung ist der allgemeine Wunsch aller Deutschen – sowohl im Osten als auch im Westen. Und ich habe die großen Veränderungen nach 25 Jahren festgestellt. Der Lebensstandard hat sich wesentlich verbessert. Also früher, vor 25 Jahren, lag der Lebensstandard der DDR im Vergleich zur BRD fast mit zwei Dritteln Unterschied zurück.
Remme: Ich verstehe. Aber was das rechtsstaatliche Klima anging, haben Sie Verständnis dafür, wenn unser Bundespräsident heute sagt: "Natürlich war die DDR ein Unrechtsstaat"?
Shi: Also wie er das betrachtet, ist eher eine Frage der Deutschen und nicht eine Frage der Chinesen.
Remme: Manchmal hilft die Außensicht, Herr Botschafter.
Shi: Die Außensicht ist: Die Wiedervereinigung entspricht den Interessen aller Deutschen und alle haben das auch gewollt. Und die Praxis hat das auch gezeigt. Und gerade das wiedervereinigte Deutschland hat sich politisch und wirtschaftlich auch gestärkt. Das ist, glaube ich, das Allerwichtigste. Und wir hoffen auch sehr, nachdem wir die deutsche Wiedervereinigung unterstützt haben, dass die Deutschen genau auch unseren Wunsch nach Wiedervereinigung unterstützen können.
Remme: Sie haben eben die Parole der Demonstranten 1989 wiederholt: "Wir sind das Volk!". Die jungen Demonstranten, die in diesen Wochen in Hongkong demonstrieren, wollen mehr Demokratie, wollen also eigentlich nichts anderes. Haben Sie Sympathie für diese Demonstranten?
Studenten in Hongkong "sollen ihren Willen auf legalem Weg ausdrücken"
Shi: "Wir sind das Volk!" – und das ist auch wichtig für die Regierungsführung, dass die Politik, die von ihr gemacht wird, auch im Interesse der Menschen liegt. Was die Studenten jetzt in Hongkong machen, würde ich sagen, entspricht nicht der Stabilität und Prosperität von Hongkong. Sie wollen natürlich mehr Rechte, politische Rechte – das verstehen wir –, aber sie sollen ihren Willen auf legalem Weg zum Ausdruck bringen und nicht mit der Besetzung von wichtigen Verkehrsadern und dem Finanzplatz. Und wir wissen, die Demonstrationen seit drei Wochen haben Hongkong nicht nur einen großen Image-Schaden, sondern auch wirtschaftliche Verluste gebracht. Das liegt nicht im Interesse der Bevölkerung von Hongkong und liegt auch nicht im Interesse der Stabilität von Hongkong.
Remme: Dann lassen Sie uns auf den Kern dieses Streits schauen – es geht ja um die Wahlen 2017. Warum sollte denn die Zentralregierung in Peking die Liste der Kandidaten, aus denen dann gewählt werden darf, vorschreiben?
Shi: Ich möchte darauf hinweisen, wir haben seit 1997, seit der Rückkehr, stets an der Politik "Ein Staat, zwei Systeme" festgehalten. Hongkong hat eine Kolonialgeschichte von 155 Jahren, hat 28 Gouverneure gehabt. Kein einziges Mal wurde dort gewählt. Und alle Gouverneure sind Briten, die von London eingesetzt wurden. Und nach '97 haben wir gesagt: "Ein Land, zwei Systeme". In Hongkong herrscht höchste Autonomie. Hongkong wird von Hongkongern verwaltet. Alle Gouverneure werden gewählt und stammen auch aus Hongkong. Und wir haben auch unser Versprechen eingehalten, dass der Demokratisierungsprozess Schritt für Schritt nach vorne geht. Schauen Sie mal, zunächst wurde ein Wahlgremium aus 1.200 Wahlmännern oder -frauen benannt, diese wurden von allen sozialen Schichten empfohlen. Und über die Hälfte dieser Wahlmänner und -frauen werden jetzt direkt gewählt. Und bis 2017 hat jeder wahlberechtigte Hongkonger das Recht, seine Stimme abzugeben. Und die Demokratisierung endet ja nicht 2017 – es geht immer Schritt für Schritt nach vorne.
"Die Direktwahl ist nicht die einzige Form von Demokratie"
Remme: Das heißt, Sie schließen nicht aus, dass in weiterer Zukunft die Kandidaten nicht mehr vorbestimmt sind, sondern frei gewählt werden dürfen?
Shi: Also welches Wahlverfahren stattfindet, das ist nur ein Ausdruck der Demokratie und der Wahlverfahren. Der amerikanische Präsident wird auch nicht direkt gewählt, und in Deutschland wird der Bundespräsident auch nicht direkt gewählt. Die Direktwahl ist nicht die einzige Form von Demokratie, das muss man auch sagen.
Remme: Das stimmt sicherlich ...
Shi: Wichtig ist, dass die Seelen der Menschen dort zum Ausdruck gebracht werden können.
Remme: Nun gibt es aber weder in den USA, noch in Deutschland eine Partei, die Wahllisten bestimmt, aus denen dann der Wähler auswählen darf.
Shi: Wir bestimmen nicht die Liste, sondern die Vertreter aller sozialen Schichten bestimmen die Liste.
Remme: Jetzt steht das Jahr 1989, Herr Shi, auch für Proteste in China, auf dem Tian'anmen-Platz. 25 Jahre später demonstrieren in Ihrem Land wieder Tausende. Sehen Sie bei diesen beiden Ereignissen Parallelen oder sehen Sie hauptsächlich Unterschiede?
Shi: Wir sehen überhaupt keine Parallelen. Die Demonstranten auf den Straßen Hongkongs, über die Hälfte sind Studenten, und die anderen sind Schüler. Also die Einwohner von Hongkong haben sich kaum beteiligt und beschweren sich über diese Demonstranten, weil sie das soziale Leben lahmgelegt haben. Und das ist ein großer Unterschied.
Remme: Zu damals?
Shi: Ja.
Remme: Warum? Ich habe es nicht ganz verstanden? Sagen Sie es mich noch einmal? Erklären Sie mir noch einmal, warum Sie vor allem Unterschiede sehen?
Shi: Weil hier Schüler und Studenten die ganzen Straßen blockiert haben und keine Unterstützung bei der Bevölkerung bekommen haben.
Remme: Und damals, 1989?
Proteste auf dem Tian'anmen-Platz "mit Hongkong nicht vergleichbar"
Shi: Das war eine andere Situation. Sie können die Verhältnisse in China gar nicht mit Hongkong vergleichen. Hongkong ist nur eine Stadt mit sieben Millionen Einwohnern, und wir haben ein Land mit 1,3 Milliarden Menschen.
Remme: Herr Botschafter, sagen Sie uns, wie groß ist die Gefahr – das wird mit Sorge betrachtet hier –, dass diese Proteste in Hongkong, sollten sie länger anhalten, gewaltsam niedergeschlagen werden?
Shi: Das ist wieder falsch. Wir sind fest davon überzeugt, dass die Regierung der Sonderverwaltung von Hongkong durchaus in der Lage ist und sein wird, Herr der Situation zu sein.
Remme: Ich habe ja keine Aussage getroffen, ich habe Sie nur gefragt, wie groß die die Gefahr ist.
Shi: Ich sehe auch, dass jetzt auch ein Dialog stattgefunden hat. Man könnte sich in Ruhe an einen Tisch setzen und seine Meinung sagen, aber nicht mit solchen Methoden, wie Besetzung von Straßen und des Finanzplatzes.
Remme: Schauen wir auf die Ereignisse in dieser Woche. Das 4. Plenum der Kommunistischen Partei ist zu Ende gegangen. Das zentrale Thema war die Rechtsstaatlichkeit. Es wurde selbst gesetzt. Was sagen Sie denjenigen, die angesichts von Verhaftungen von Bürgerrechtlern und Rechtsanwälten sagen: "China, das ist kein Rechtsstaat"?
"Was wir brauchen, ist mehr Rechtsstaatlichkeit"
Shi: Ja, das 4. Plenum ist gerade beendet worden mit dem Thema "Rechtsstaatlichkeit". Wir haben seit 35 Jahren in China große wirtschaftliche Erfolge. Nun sind wir in ein neues Stadium der Reform, der Öffnung gekommen. Wie Sie wissen, gehen wir auch sehr entschieden gegen die Korruption in China vor. Und was wir brauchen, ist mehr Rechtsstaatlichkeit, mehr Rechtsrahmenbedingungen für die Wirtschaft und für das soziale Leben. Nun haben wir uns mit dem Thema Rechtsstaatlichkeit befasst, und alle Parteien und alle Personen dürfen sich nicht über die Verfassung hinwegsetzen. Alle sind gleich vor den Gesetzen. Das heißt, alle müssen sich an die Gesetze halten. Und wer gegen die Gesetze verstößt, soll auch zur Verantwortung gezogen werden, egal, welche Position er einnimmt und egal, welcher Berufsgruppe er angehört.
Remme: Ich vermute, Sie sind der Auffassung, dass China ein Rechtsstaat ist?
Shi: Ohne Zweifel.
Remme: Nun versuche ich mir das zu erklären, warum es diesen Meinungsunterschied gibt zwischen Kritikern und Ihrer Position. Und ich habe gelesen, dass der Begriff "Rule of Law" unterschiedlich übersetzt werden kann. Nämlich einmal als ein Instrument, das die Macht der Herrschenden begrenzt und einmal als ein Instrument, das die Macht der Herrschenden unterstützt?
Shi: Es gibt die Stärke des Rechts, es gibt die Stärke der Herrschenden. Und wir wollen die Stärke des Rechts verstärken.
Remme: Und wie äußern sich die Beschlüsse, die das 4. Plenum jetzt getroffen hat, in einer Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit?
Shi: Es ist sehr wichtig, die Verfassung ist die Grundlage aller gesellschaftlicher Aktivitäten. Und daher habe ich gesagt: Jede Person, jede Institution muss die Gesetze einhalten. Die Gesetze sind die einzigen Kriterien des Rechts. Und das sehen wir auch als einen wesentlichen Schritt zur politischen Reform in China.
Remme: Unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier verwendet angesichts der Krisen in der Welt gegenwärtig gerne das Bild, 'dass die Welt aus den Fugen geraten ist'. Teilen Sie den Eindruck?
Shi: Es scheint so, dass die alte Weltordnung nicht mehr passt auf die Veränderungen dieser Welt. Was ist die größte Veränderung dieser Welt? Meiner Meinung nach ist es die Globalisierung. Ein wichtiges Merkmal dieser Globalisierung ist die gegenseitige Abhängigkeit. Die Welt hat sich zu einem "Weltdorf" entwickelt – jeder ist von jedem abhängig. Eine kleine Krise von einem Staat kann sofort übergreifen auf die ganze Welt. Nun stehen wir alle da. Es gibt regionale Konflikte, die können nur gelöst werden durch gemeinsame Bemühungen der internationalen Gemeinschaft.
"Wichtig ist ein Interessenausgleich zwischen Russland und der Ukraine"
Remme: Ich will den einen oder anderen Konflikt konkret ansprechen. Die Annexion der Krim war aus westlicher Sicht ein glasklarer Völkerrechtsbruch durch Russland. China beharrt ja, wie kaum ein anderes Land, auf dem Prinzip der Nichteinmischung. Warum fällt die chinesische Kritik an Russland nicht lauter und deutlicher aus?
Shi: Wir stehen weiter zu unserem Prinzip: Die Souveränität und territoriale Integrität eines souveränen Staates muss aufrecht erhalten werden. Dazu stehen wir auch. Was die Ukraine-Krise betrifft, gibt es verschiedene Gründe und Faktoren. Am allerwichtigsten ist ein Interessenausgleich, ein Interessenausgleich zwischen Russland und der Ukraine, zwischen Russland und Europa und Russland und den Vereinigten Staaten. Da sehen wir ein vielschichtiges Problem.
Remme: Die Gemengelage ist vielschichtig und sie mag kompliziert sein, am Ende steht natürlich eine einfach Ja/Nein-Frage. Hat Russland mit der Annexion Völkerrecht gebrochen: Ja oder Nein?
Shi: Ich habe immer gesagt: Wir stehen zu dem Prinzip Souveränität und territorialen Integrität eines souveränen Staates.
Remme: Und was bedeutet das für die Beantwortung meiner Frage?
Shi: Das ist die Beantwortung. Eine klare Beantwortung.
Remme: Schauen wir auf Syrien. Mit Blick auf die Situation dort, verhinderten die Veto-Mächte im Sicherheitsrat ein geschlossenes Vorgehen. Sondergesandte haben aufgegeben, Konferenzen sind weitgehend ergebnislos zu Ende gegangen. Ist das verantwortliche Außenpolitik?
"Wir sind für die Reform des Sicherheitsrates"
Shi: Verantwortliche Außenpolitik heißt: Eine Lösung in Syrien soll gefunden werden mit Beteiligung aller beteiligten Parteien. Und wenn man versucht, eine oder mehrere wichtige Parteien aus diesem Prozess auszuschließen, wird es nicht zu einer Stabilität im Frieden des Landes kommen. Die Praxis, die jetzt dort passiert, hat auch unsere Position noch einmal bestätigt.
Remme: Zeigt die Situation, wie sie im Sicherheitsrat gelaufen ist, wenigstens eines, nämlich dass diese Institution dringend reformiert werden muss?
Shi: Ja. Wir sind für die Reform des Sicherheitsrates. Das ist ein Produkt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, das nicht mehr der Veränderung dieser Welt entspricht, sondern widerspricht. Aber wie die Reform aussehen würde, darüber gibt es natürlich unterschiedliche Meinungen und Differenzen.
Remme: Das stimmt. Deutschland, zum Beispiel, hat großes Interesse an einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat. Würden Sie das unterstützen?
Shi: Wir unterstützen den Wunsch Deutschlands, mehr Verantwortung zu unternehmen. Aber man muss das auch regional betrachten. Europa hat so viele Sitze dort und Asien ist nur mit China vertreten und dann gibt es noch einige andere Länder, die gerne Asien mitvertreten möchten. Lateinamerika hat überhaupt keinen Sitz. Afrika auch nicht. Deshalb brauchen wir eine Übereinstimmung von allen Regionen dieser Welt.
Remme: Ich höre die Realpolitiker im Kreise des Publikums schon auflachen, aber ich frage dennoch: Können Sie sich ein Szenario vorstellen, unter dem China auf sein Vetorecht verzichten würde?
Shi: Wir sprechen mit allen Beteiligten über eine Lösung oder über die Reform des Sicherheitsrates. Und es ist nicht nur die Meinung von China. Es müssen alle zusammensitzen und es muss eine gemeinsame Lösung gefunden werden.
"Gemeinsam gegen den Terrorismus vorgehen"
Remme: Ein Thema, das uns in diesen Tagen praktisch fast konstant beschäftigt, ist der Kampf gegen den sogenannten "Islamischen Staat". Schaut man auf die Gebietsansprüche dieser Organisation, dann ist unter anderem auch chinesisches Territorium betroffen. Was tut China im Kampf gegen IS?
Shi: China ist mehr und mehr Opfer des internationalen Terrorismus geworden. Und mit der zunehmenden Islamisierung oder Radikalisierung sehen wir eine zunehmende Tendenz des Terrorismus in China. Wir sehen auch, dass zu Tausenden Terroristen aus China von internationalen Terroristen wie den Taliban ausgebildet wurden. Diese kehren auch zurück. Einige kämpfen in Syrien, einige in Tschetschenien, Zentralasien, ein Teil geht nach China zurück und vielleicht auch ein Teil zum IS.
Remme: Noch einmal meine Frage: Was tut China? Es hat sich ja hier eine Allianz gebildet im Kampf gegen IS, die ja im Moment vor allem im Irak und in Syrien kämpft.
Shi: Gegen den internationalen Terrorismus muss sich die internationale Gemeinschaft zusammenschließen. Kein einziges Land ist allein in der Lage, das zu bewältigen. Deshalb unterstützen wir die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft gegen den Terrorismus vorzugehen.
Remme: Wie denn?
Shi: Wir arbeiten zusammen. Wir tauschen Informationen aus. Und nur gemeinsam können wir das bekämpfen. Es gibt keinen anderen Weg, als gemeinsam vorzugehen.
Remme: Schauen wir zum Schluss des Gespräches noch auf die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und China. Die Regierungskonsultationen sind vor kurzer Zeit zu Ende gegangen. Es war eine große Delegation aus China hier. Herr Botschafter, wann bauen die Chinesen das erste Auto, das deutschen Konzernen hierzulande in Deutschland richtig weh tut und Marktanteile wegnimmt?
"Der Abstand zu Deutschland ist beim Autobau noch sehr groß"
Shi: Wir hatten vor einer Woche einen sehr wichtigen Besuch aus China. Unser Ministerpräsident war hier in Deutschland zu den dritten Regierungskonsultationen. Es ist überhaupt selten, dass ein chinesischer Ministerpräsident innerhalb von eineinhalb Jahren Deutschland zweimal offiziell besucht. Und bei dem Besuch wurden zehn Regierungsvereinbarungen und neun Wirtschaftsverträge unterzeichnet, die einen Wert von 18 Milliarden US-Dollar haben. Deutschland ist für China der größte Handelspartner. Der Handel zwischen China und Deutschland macht mehr als 30 Prozent des gesamten China-EU-Handels aus. So viel wie zwischen China, Frankreich und Großbritannien zusammen.
Remme: Verstehen wir alles, und die Erfolge sind offensichtlich, sie sind atemberaubend in den vergangenen Jahren, was die Wachstumsraten angeht, insbesondere, was die bilateralen Beziehungen wirtschaftlich angeht. Wollen Sie auf meine Frage noch eingehen? Wann baut China das erste Auto, das wirklich auf dem Weltmarkt Erfolg hat?
Shi: Bisher bauen die Deutschen in China Autos. VW, Daimler und BMW, alle drei Konzerne haben seit mehreren Jahren ein zweistelliges Wachstum – und wir lernen von Deutschland. Wann wir das schaffen können, unser Auto nach Deutschland zu exportieren, das möchte ich hier nicht prognostizieren. Das wird noch lange dauern. Der Abstand zu Deutschland, gerade beim Autobau, ist noch sehr, sehr groß.
Remme: Was fährt der chinesische Botschafter in Deutschland für ein Auto?
Shi: Im Moment einen BMW.
Remme: Lassen Sie mich zum Schluss fragen – ich hatte ganz am Anfang gefragt: Was vermissen Sie an China, wenn Sie hier sind –, nehmen wir an, Sie gehen wieder nach China zurück, was werden Sie vermissen an Deutschland?
Shi: In Deutschland vermisse ich die Vitalität und die Flexibilität. Und in China vermisse ich die Genauigkeit und die Disziplin der Deutschen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.