Die blauen Fischerboote sind beladen mit Muscheln, Krabben, Krebsen und Fischen aus dem Südchinesischen Meer. Es ist der Fang der Nacht, den die Fischer von Tanmen an diesem Morgen zurück in den Hafen bringen. Der kleine Ort Tanmen liegt an der Ostküste der chinesischen Insel Hainan. Der 50-jährige Lu Zhenhua hat eine Portion Kautabak zwischen den Zähnen und steht mit Armeehose, freiem Oberkörper und Flip-Flops auf seinem Boot. Seit mehr als 30 Jahren arbeitet er als Fischer in Tanmen.
"Wir leben hier seit Generationen. Wir sind hier geboren, wir sind hier aufgewachsen, wir fischen hier. Unsere Väter und Großväter haben hier ebenfalls gelebt. Die Riffe und Inseln im Südchinesischen Meer gehören uns. Es gibt niemanden, der vor uns da war. Wir haben hier als erste gelebt und haben deshalb die Pflicht, die Riffe und Inseln zu verteidigen."
Die Fischer von Tanmen, wie Lu Zhenhua, verkörpern die chinesische Politik im Südchinesischen Meer wie kaum eine andere Gruppe: kompromisslos, aggressiv und nationalistisch. Auf jedem Boot im Hafen weht die chinesische Flagge. Ihre Heimatinsel Hainan liegt südlich vom chinesischen Festland und östlich von Vietnam. Mit seiner 20-köpfigen Besatzung fischt Lu Zhenhua in den umstrittenen Gebieten im Südchinesischen Meer. Wie viele andere Fischer in Tanmen hat auch er mit seiner Crew ein Training vom chinesischen Militär bekommen.
"Es geht darum, wie wir Hilfe rufen, was wir tun sollen und wie wir uns wehren, wenn wir in brenzlige Situationen kommen. Im Mittelpunkt stehen Sicherheit und Selbstschutz. Wenn es zu Auseinandersetzungen mit Fischern oder der Marine aus anderen Ländern kommt, versuchen wir alles, dass keiner auf unsere Boote kommt. Die Trainings gibt es seit einer ganzen Weile, ich habe schon drei- oder viermal mitgemacht."
Die Tanmen-Fischer sind eine Art Bürgerwehr im Südchinesischen Meer. Mehrmals kam es zu Auseinandersetzungen zwischen chinesischen Fischern und der vietnamesischen Küstenwache. Die Boote der Tanmen-Fischer bringen auch Baumaterial und Verpflegung zu den umstrittenen Spratly- und Paracel-Inseln. Um die eigenen Gebietsansprüche zu untermauern, bebaut China die Inseln oder schüttet Korallenriffe zu künstlichen, neuen Inseln auf. So schafft sich die Volksrepublik im Südchinesischen Meer eine immer bessere militärische und zivile Infrastruktur, sagt Xie Yanmei, eine unabhängige Expertin der International Crisis Group in Peking.
"Das erlaubt es China, in einem größeren Umfang zu überwachen und Frühwarn- und Abfangsysteme zu installieren. Auch die eigenen Marineschiffe können besser betankt werden und in einem größeren Umfang aktiv sein. Die Provinz Hainan hat eine neue Regel für den Fischfang erlassen, die das Fischen innerhalb der Neun-Striche-Linie ermöglicht. Chinas Aktivitäten im Südchinesischen Meer dienen dazu, die eigenen Ordnungskräfte effektiver arbeiten zu lassen. China baut viele große Schiffe für die Küstenwache."
China beansprucht das Südchinesische Meer
China beansprucht im Südchinesischen Meer ein Gebiet, das mehr als tausend Kilometer von seiner Küste entfernt liegt. Und beruft sich dabei auf die sogenannte "Neun-Striche-Linie" aus den 40er-Jahren. Ein riesiges U, das zwischen Vietnam und den Philippinen im Meer liegt. Danach gehören rund 90 Prozent des Südchinesischen Meeres zu China.
Für die Volksrepublik ist das nicht verhandelbar. Schon gar nicht durch ein Verfahren vorm Ständigen Schiedshof in Den Haag. Die Klage der Philippinen, das bevorstehende Urteil zum Territorialstreit im Südchinesischen Meer: Für China hat das keine Bedeutung. Das macht die politische Führung in Peking immer wieder deutlich. Zuletzt Ouyang Yujing, Direktor für Grenz- und Ozeanangelegenheiten im chinesischen Außenministerium.
"Das Klageverfahren der Philippinen zum Südchinesischen Meer ist eine politische Farce unter dem Deckmantel des Gesetzes. Die Philippinen nutzen das Verfahren, um Chinas territoriale Souveränität, maritimen Rechte und Interessen im Südchinesischen Meer zu verneinen – und ihre eigene illegale Besetzung von Inseln und Riffen der chinesischen Spratly-Inseln zu legalisieren. Das ist eine große Bedrohung für den Frieden und die Stabilität in der Region."
China ist nicht das einzige Land, das im Südchinesischen Meer Fakten schafft. Ob Taiwan, Vietnam, Malaysia oder die Philippinen: Alle betroffenen Länder bis auf Brunei haben schon irgendwelche Inseln bebaut. Nur keiner verfolgt das so konsequent wie China. Auf den Spratly-Inseln hat die Volksrepublik mehrere Landebahnen gebaut und kann dort mit jedem Typ Militärflugzeug landen. Außerdem bauen die Chinesen Radar- und Kommunikationsanlagen sowie größere Häfen für ihre Schiffe. Sogar ein Atomkraftwerk ist geplant. Beobachter sagen: China hat die Inseln bereits militarisiert. Peking selbst betont immer wieder: Das alles diene der zivilen Nutzung durch die internationale Schifffahrt.
"Bezüglich der Bebauung müssen wir eines klar stellen: Wenn so etwas auf chinesischem Territorium passiert, ist das absolut angemessen und legal. Die Erbauung und Fertigstellung der Leuchttürme auf den Inseln und Riffen des Südchinesischen Meeres haben bislang für mehr als 100.000 Handelsschiffe, die die internationalen Schifffahrtsrouten durch das Südchinesische Meer nutzen, eine wichtige Rolle gespielt."
Die Spratly-Inseln – auf Chinesisch Nansha-Inseln – liegen über tausend Kilometer vom chinesischen Festland entfernt. Strategisch günstig gelegen an einer der weltweit wichtigsten Schifffahrtsrouten. Und ein Gebiet, wo große Öl- und Gasvorkommen vermutet werden. Es sind rund 100 großflächig verstreute Riffe, Atolle und kleinere Inseln.
China ignoriert Zwölf-Meilen-Zone
Eigentlich haben die Vereinten Nationen geregelt, wem was gehört. Nach dem internationalen Seerechtsübereinkommen stehen jedem Land 200 Seemeilen vor der Küste als exklusive Wirtschaftszone zu. Weil China aber historische Ansprüche auf ein viel größeres Gebiet erhebt, definiert das Land eine Überquerung der Zwölf-Meilen-Zone um die umstrittenen Spratly- oder Paracel-Inseln als eine Eindringung in chinesisches Hoheitsgebiet. Auch deshalb kommt es regelmäßig zu Zwischenfällen, wenn mal wieder ein US-amerikanischer Zerstörer seine Kreise im Südchinesischen Meer dreht.
Im Hafen von Tanmen verladen die Fischer ihren Fang des Tages von den Booten auf alte Pritschenwagen. Die Fischer haben ihre Fanggebiete in den vergangenen Jahren immer mehr ausgeweitet. Weil die küstennahen Gebiete oft überfischt sind, fahren die Boote teilweise sogar über die von China proklamierte "Neun-Strich-Linie", um dort zu fischen.
Im Fisch-Restaurant in Tanmen direkt am Hafen sitzt der 66-jährige Fischer Wu Shichuan beim Mittagessen. Es gibt frische Austern, Seeigel und Muscheln. Auch Wu sieht sich als Teil einer Bürgerwehr, als Verteidiger der chinesischen Interessen im Südchinesischen Meer.
"Wir stehen im engen Kontakt mit Regierung und Armee. Wir haben vor nichts Angst im Südchinesischen Meer. Weil die Regierung und die Armee uns unterstützen, fürchten wir gar nichts. Die Boote der Armee patrouillieren vor unserer Küste. Wann immer es einen Notfall gibt, können wir die Küstenwache jederzeit rufen – und sie kommen sofort."
Die Tanmen-Fischer wie Wu Shichuan geben sich kompromisslos. Sie sind geleitet von einer tiefen Überzeugung auf ein historisch verbrieftes Recht, nach dem große Teile des südchinesischen Meeres zu China gehören.
"Ich glaube fest daran, dass China stark genug ist, das Südchinesische Meer zu schützen. Als Präsident Xi nach Tanmen kam, hat er uns gesagt, wir sollen weitermachen, das Südchinesische Meer und unsere Inseln zu verteidigen. Wir werden es nie einem anderen Land erlauben, Anspruch auf das Südchinesische Meer zu erheben."
Im Fischerort Tanmen auf Insel Hainan begegnet einem das große Schild gleich am Ortseingang: eine etwa 20 Meter breite Tafel mit einem Bild von Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping bei seinem Besuch in Tanmen im Jahr 2013. In großer roter Schrift heißt es in einem Appell an die Fischer dort: Ihr seid die Pioniere für die Verteidigung von Chinas Rechten im Südchinesischen Meer. In Tanmen haben die Menschen das verinnerlicht.
Immer wieder Konflikte
Das Südchinesische Meer ruht still, die Wellen schweigen – doch plötzlich: Chinesische Schlepper rammen Küstenwachboote aus Vietnam, mit Wasserkanonen schießen sie auf die Seeleute, am Ende der Aktion sind sechs Vietnamesen verletzt, mit Bandagen um den Kopf liegen die Mannschaftsmitglieder an Deck, aber ihr Kapitän sagt:
"Wir sind entschlossen, unsere Pflicht zu erfüllen, nämlich die Souveränität von Vietnams Wirtschaftszone und Hoheitsgebieten zu schützen und die Verletzung durch andere Mächte zu verhindern. Besonders durch chinesische."
Das war vor zwei Jahren, als China eine Bohrplattform vor die Paracel-Inseln schleppte und dort verankerte. Die Aktion des großen kommunistischen Bruders zog heftige Reaktionen nach sich, aufgebrachte Vietnamesen zündeten vermeintlich chinesische Fabriken an, demonstrierten lautstark.
Sogar mit Erlaubnis der Regierung. Ein gewagter Balanceakt für Vietnam, dessen Handelspartner Nummer 1 eben China ist – aber die Kulmination einer langen Geschichte von territorialen Streitigkeiten, Einschüchterungen und rechtlichen Uneinigkeiten.
Die Korallenatolle der Paracel-Inseln liegen 400 Kilometer von der Küste Vietnams und 330 Kilometer von der Küste Chinas entfernt; seit Jahrhunderten streiten sich die beiden Länder um die 30 teilweise sehr niedrig liegenden Inseln und Riffe – aber nicht nur um diese. Weiter im Süden des Gewässers liegen die Spratly-Inseln – und die bergen noch viel mehr Sprengstoff im Konflikt ums Südchinesische Meer, oder, wie es auch heißt:
"Wir nennen es das Ostmeer, denn es liegt östlich von unserer Küste. Wenn es weltweit Südchinesisches Meer genannt wird, heißt das noch lange nicht, das dieses Gebiet zu China gehört."
Das will Nguyen Manh Dong vom vietnamesischen Außenministerium erst einmal klarstellen. Nach Vietnams Ansicht gehören die Spratlys komplett ihnen, aber ihnen wie den anderen Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres blieb nichts übrig, als erst ungläubig, dann immer aufgebrachter zuzusehen, wie China die Riffe und Inselchen umgestaltete. Die Spannungen haben zugenommen in den vergangenen Jahren, aber der Konflikt selbst ist schon Jahrhunderte alt:
"Vietnams Souveränität über die Spratlys und Paracels geht zurück bis ins 17. Jahrhundert. Seitdem haben wir diese Inseln verwaltet und seitdem versuchen wir, unsere Souveränität friedlich zu verteidigen."
Bis 1949 habe China auch in seinen Karten verzeichnet, dass sein südlichster Besitz die Insel Hainan sei. Aber dann auf einmal habe sich seine Ansicht geändert. Der Ministerialbeamte Dong wechselt die Sprache, um auch auf jeden Fall das Unrecht in Chinas Vorgehen klarzumachen:
"Dreimal hat China unser Gebiet mit Gewalt besetzt, 1956, 1974 und 1988, jedes Mal haben sie viele unserer Soldaten getötet."
Heute ist es nahezu unmöglich, als Normalperson in die Nähe der umstrittenen Inseln zu kommen, die Nationen gehen aggressiv vor, wenn sie versuchen, ihr vermeintliches Hoheitsgebiet zu verteidigen – immer wieder hört man von Fischern, die festgesetzt, Booten, die versenkt werden.
Spratly-Inseln sind strategisch wichtig
Wer über die Inselgruppen herrscht, herrscht über das Südchinesische Meer mit seinem riesigen Fischreichtum und großen Rohstoffvorkommen. Aber vor allem, so betont Nguyen Manh Dong:
"Was dieses Gebiet so bedeutend macht, ist, dass es eine wichtige Seefahrtstraße für alle Schiffe ist, die vom Osten Asiens in den Indischen Ozean fahren wollen oder umgekehrt. Das heißt, es sind Gebiete von Belang für internationale maritime Navigation. 1982 gab es eine internationale Seerechtskonvention über die Rolle der Archipele und Inseln in diesem Gebiet. Das alles macht die Situation noch komplizierter."
Und international noch viel heikler. Die ASEAN-Staaten, also die Nationen Südostasiens, zerstreiten sich inzwischen bei ihren Treffen, wenn es darum geht, einen richtigen Kurs zur Lösung des Konflikts zu finden. Ob bei den ASEAN- oder beim G7-Gipfel, wie jetzt, Chinas Verhalten ist immer Thema von mindestens besorgten, meist auch kritischen Worten. Vor allem, seit das Land militärische Ausrüstung auf seine künstlichen Inseln schafft, Maschinen der chinesischen Luftwaffe dort landen, ranghohe Militärs die künstlichen Inseln besuchen.
"Damit bereiten sie nicht nur Vietnam, sondern auch den anderen Anrainern und der internationalen Gemeinschaft große Sorgen. Gerade durch die Landgewinnung und die Stationierung von militärischer Ausrüstung bedrohen sie die Sicherheit in der Region, sie bedrohen die freie Schiff- und Luftfahrt im Südchinesischen Meer."
Drohender Konflikt verunsichert viele Staaten
Ein drohender Konflikt in der Region verunsichert viele Staaten. Auch deshalb hat beispielsweise Australien seine U-Boot-Flotte massiv vergrößert, japanische Kriegsschiffe besuchten einen Hafen der Philippinen, die wiederum über militärische Hilfe mit Vietnam verhandeln – all das sind sozusagen Gegendemonstrationen in Richtung China, am wichtigsten ist dafür aber das Engagement der USA. Sie haben ihre Verteidigungspolitik in den vergangenen Jahren immer mehr in Richtung Pazifik konzentriert, darum ist das Südchinesische Meer für sie ein neuralgischer Punkt, um China entgegenzutreten.
"Große Nationen sollten kleine Nationen nicht einschüchtern, Konflikte sollten friedlich gelöst werden."
So sprach US-Präsident Barack Obama kürzlich bei seinem Besuch in Vietnam. Er nennt China nicht beim Namen, aber wer gemeint ist, ist klar. Vor allem, weil die USA ihre deutlichen Worte auch mit deutlichen Taten begleiten: Sie lassen immer wieder Kriegsschiffe und Flugzeuge demonstrativ nahe der künstlichen Inseln der Chinesen passieren. Aktionen, die von China wie vom ganzen südostasiatischen Raum genau beobachtet und in den Medien diskutiert werden:
"Erst vergangene Woche sahen wir ein US-Kriegsschiff innerhalb von zwölf Seemeilen an den umstrittenen Inseln vorbeifahren. Damit demonstriert Amerika seine Unterstützung für ihre Partner in der Region."
Schüchterst du unsere Partner ein, schüchtern wir dich ein, so die Botschaft. Die Philippinen, die bald von einem Einschüchterungsspezialisten als Präsidenten geführt werden, nennen die umstrittenen Gewässer übrigens "Westphilippinisches Meer". Auch sie beanspruchen Teile der Spratly-Inseln und weitere umstrittene Riffe. Und Rodrigo Duterte, der designierte Präsident, hat in seiner wenig diplomatischen Art im Wahlkampf klar gemacht:
"Wenn China nicht reden will, dann bitte ich die Marine, mich zur nächsten Grenze zu den Spratly-Inseln zu bringen. Und dann fahre ich mit einem Jet-Ski dorthin mit einer philippinischen Flagge und die werde ich auf ihrem Flughafen aufstellen. Dann werde ich sagen: Das gehört uns, und jetzt könnt ihr mit mir machen, was ihr wollt."
Bis es zu einer solchen Aktion kommt, warten die Philippinen und mit ihnen der Rest der Welt auf eine Entscheidung des Internationalen Ständigen Schiedshofes in Den Haag. Die Philippinen hatten vor zweieinhalb Jahren gehandelt: Sie wollten vom Schiedshof Klarheit über die Recht- oder Unrechtmäßigkeit von Chinas Ansprüchen und über die eigenen maritimen Rechte in der umstrittenen Region nach internationalen Gesetzen. In seinem Plädoyer nannte der philippinische Außenminister die Neun-Striche-Linie "die Berliner Mauer der Meere". Das Haager Gericht will seine Entscheidung bald fällen. Wichtig ist dem Vietnamesen Dong auf jeden Fall:
"Es gibt nur eine friedliche Lösung für diesen Konflikt zwischen China und den anderen Ländern."