Jessica Sturmberg: Handelskriege kennen eigentlich nie einen Gewinner. Am Ende verlieren ökonomisch alle Seiten, weil mit diesen Handelskriegen ein Wohlstandsverlust einhergeht. Insofern ist die Eskalation des Handelskrieges ein wichtiges Thema, das auch Bundeskanzlerin Angela Merkel mitnimmt kommende Woche auf ihre Reise nach China mit einer Wirtschaftsdelegation. Ihre erste Reise seit Mai letzten Jahres.
- Vor der Sendung habe ich darüber mit Mikko Huotari gesprochen, stellvertretender Direktor der Mercator Instituts für chinesische Studien und gefragt: Herr Huotari, was sollte Angela Merkel von China in der gegenwärtigen Situation für die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen einfordern?
Mikko Huotari: Ganz klar geht es erst mal darum, dass wir eine Agenda haben mit Blick auf das europäisch-chinesische Investitionsabkommen. Hier haben wir einen klaren Zeitplan, der zwischen Brüssel und Peking vereinbart worden ist. Dazu kommt aber auch, dass wir insgesamt mit Blick auf das Verhältnis Staatswirtschaft – Privatwirtschaft in China ein großes Interesse haben, das was man wettbewerbspolitische Neutralität nennt, herzustellen. Das heißt, auch dafür zu sorgen, dass europäische Privatunternehmen mit den gleichen und fairen Bedingungen zu rechnen haben in China wie Staatsunternehmen. Dafür muss sie sich einsetzen.
Sozialkreditsystem ist neue Stufe der Kontrolle
Sturmberg: Nun soll bis Ende des Jahres in China das neue Sozialkreditsystem auch für Unternehmen umgesetzt werden. Das ist ziemlich einschneidend. Die Unternehmen sollen in ihren Geschäftsräumen in China Überwachungskameras installieren und der chinesischen Regierung die Daten zur Verfügung zu stellen. Dann werden sie bewertet unter anderem nach ihren Steuerunterlagen, nach Arbeitsplatzsicherheit, Umweltstandards und möglichen Beschwerden über ihre Produkte. Und wer sich nicht daran hält, kommt auf eine "schwarze Liste" und muss mit "unverzüglichen schweren Strafen" rechnen. Davor hat gerade die EU-Handelskammer gewarnt. Ist das nicht abschreckend?
Huotari: Zunächst einmal gilt, dass diese neuen Schritte, die jetzt im Bereich des Sozialkreditsystems unternommen werden, bislang noch nicht integriert zusammenwirken. Wir haben noch nicht diesen totalen Orwellschen Überwachungsstaat in China. Da sind wir nicht. Aber es ist klar, dass Unternehmen, die sich nicht darauf einstellen, dass hier ganz fundamental bei der Implementation und Umsetzung von Gesetzen und Regelungen ein neuer digitaler Mechanismus geschaffen wird, der Chinas Regierung und den Regulierungsbehörden neue Instrumente an die Hand gibt. Das ist in der Tat eine neue Stufe der Kontrolle. Deutsche, europäische Unternehmen müssen genau wissen, was ihnen in China blüht in dem Sinne, dass sie natürlich einerseits immense Chancen mit Blick auf Konsumenteninteressen und auch die Notwendigkeit haben, sich sozusagen auf diesem Markt zu positionieren, der immer einer der größten Absatzmärkte für die meisten deutschen Unternehmen weltweit ist. Das gilt es zu gewichten mit Blick auf die Risiken und die Probleme, die es in diesem Markt gibt. Da geht es eben nicht nur um Marktzugang, sondern auch um diese neuen Instrumente der Kontrolle und insbesondere darum, dass es langfristig eben die Frage ist – sind wir nützliche Instrumente für Chinas Industriemodernisierung oder sind wir tatsächlich fairer, gleichwertiger Teilhaber an diesem chinesischen Markt?
Sturmberg: Da müsste sich doch eigentlich so eine Rechnung verändern, also die Kosten müssen ja eigentlich höher bewertet werden als bisher?
Huotari: Das ist so, aber ich kann Ihnen, glaube ich, sagen, dass weiterhin der Nutzen bei den meisten europäischen Unternehmenslenkern bislang überwiegt in dieser Rechnung. Und ob sich das jetzt so fundamental durch dieses neue Sozialkreditsystem verschiebt, das bleibt noch abzuwarten. Ich denke, das Risiko besteht, dass, wenn man sich nicht darauf einstellt, dass man hier mit dramatischen Konsequenzen zu rechnen hat. Die meisten europäischen Unternehmen werden sich sagen, auch diese Hürde nehmen wir und wir passen uns dem regulatorischen Umfeld an. Aber diese Leistung muss erstmal erbracht werden.
Eskalation in Hongkong wäre fatales Zeichen
Sturmberg: Nun nenne ich Ihnen ein weiteres Risiko: Die Lage in der Sonderverwaltungszone Hongkong spitzt sich zu, die Autonomie wackelt. Es könnte auch zu einer militärischen Intervention kommen. Wie würde das denn die Handelsbeziehungen belasten?
Huotari: Es wäre ein fatales, ein ganz schlechtes Zeichen dafür, dass das, was wir an Hongkong so schätzen, nämlich, dass es die Grundfreiheiten, von denen wir auch überzeugt sind, dass sie liberalen Werten entsprechend geschützt dort sind, auch solche Dinge wie Rechtsstaatlichkeit und auch die Rechtssicherheit von Unternehmen. Wenn all das – um nur über die Unternehmensseite zu sprechen, von den individuellen Rechten der Bürger erstmal abgesehen – wenn wir das von Unternehmensseite betrachten, bedeutet das schlicht und einfach, dass Hongkong und damit auch Festland-China keinen verlässlichen Rahmen bieten kann dafür, dass da gewirtschaftet werden kann. Und entsprechend – wenn es da zu einer Eskalation kommt, bereitet das größten Anlass zu Sorge.
Sturmberg: Als wir über das Sozialkreditsystem gesprochen haben, haben Sie gesagt, der Nutzen überwiegt immer noch, wie ist das mit Blick auf Hongkong zu bewerten?
Huotari: Nun, nicht jedes Unternehmen nutzt den Standort Hongkong gleichermaßen, das heißt: Auch da werden Unternehmen das unterschiedlich bewerten. Ich glaube, die wichtige Frage ist eigentlich – was bedeutet Hongkong für Festland-China? Also was bedeutet das, wenn die Volksrepublik China, die Regierung in Peking, feststellt, wir müssen mit allen Mitteln hier eingreifen und tatsächlich auch Unternehmen unter Druck setzen, dass sie sich mit dieser in Peking festgesetzten Linie in Einklang bringen. Und ich glaube, das ist ein Bedrohungsszenario. Da muss genau draufgeschaut werden und am Ende des Tages wird ein starkes Eingreifen aus Peking dazu führen, dass tatsächlich dann an manchen Stellen Unternehmen sagen, hier sind die Kosten zu hoch für uns.
Bald zwei Lieferketten für USA und China?
Sturmberg: Wie groß schätzen Sie dieses wirtschaftliche Risiko, das von dieser Lage in Hongkong ausgeht ein? Wenn man das vergleicht mit dem Handelskrieg?
Huotari: Wir sind dort noch nicht. Wir sind in Hongkong noch, heute, in einer Situation, wo ich denke, dass die meisten Unternehmen davon ausgehen, dass es hier zu einer Beilegung oder Befriedung des Konflikts kommt. Entsprechend ist glaube ich das Gesamtrisiko aus dem US-chinesischen Handelsstreit strukturell für deutsche Unternehmen noch weitaus größer als diese konkrete Hongkong-Frage.
Sturmberg: Sehen Sie denn da ähnlich wie bei den amerikanischen Farmern, die inzwischen unter dem Handelskrieg schon leiden, auch in Deutschland ähnliche Probleme, die aus diesem Konflikt heraus resultieren?
Huotari: Für jedes Unternehmen, das exportiert, stellt sich natürlich die Frage unter anderem, wenn sie auch aus den USA wie deutsche Automobilbauer nach China exportieren, wie sind sie direkt von diesen Tarifen betroffen? Und dadurch, dass wir hier jetzt in einer Eskalationsspirale drin sind, ist damit zu rechnen, dass die Kosten für deutsche Unternehmen auch in dem Bereich steigen. Dazu kommt aber vielleicht langfristig wichtiger – die eigentliche Frage: Laufen wir auf zwei unterschiedliche Lieferketten für Hochtechnologieentwicklung hinaus? Also wird es dazu kommen, dass europäische Unternehmen eine Lieferkette für ihre hochwertigen Produkte zum Export in die USA erstellen müssen, um gleichzeitig sicherzustellen, dass alles, das, was sie für China produzieren, auch noch exportiert werden kann und das ist ein Szenario, das für die deutsche Wirtschaft fatal wäre.