Der chinesische Immobilienriese Evergrande ist in finanzielle Schieflage geraten. Der Konzern muss viel Geld zurückzahlen, kann das offenbar aber nicht. Weltweit haben Anlegerinnen und Anleger Angst vor einer Pleite, die andere mitreißen könnte.
Evergrande ist ein riesiges Immobilienimperium und hat immer grössere Projekte auf Pump finanziert. Das heisst, es baut auf Vorkasse. Das Geld hat sich Evergrande von Banken, Investoren und Wohnungskäufern geliehen. Die Regierung in Peking hatte nun die Regeln fürs Schuldenmachen verschärft. Also musste das Unternehmen kurzfristig die hohen Schulden tilgen. Evergrande hat aktuell 300 Milliarden Euro Schulden, ist aber an der Börse nur noch ungefähr ein Hundertstel davon wert. Anleger haben am Montag (20.09.) Aktien von Evergrande en masse verkauft und auch die anderer Immobilienkonzerne in China.
Manche sprechen nun sogar schon von Chinas "Lehman-Moment". Als bei uns die faulen Immobilienkredite geplatzt sind und die US-Investmentbank Lehman Brothers Knall auf Fall pleiteging, galt dies als Auslöser der großen Finanzkrise von 2008.
Eher nicht. Hier passiert nichts Unkontrolliertes, erklärt Dlf-Wirtschaftsredakteurin
Sandra Pfister im Wirtschaftsgespräch am 21.9.2021
. Hier läuft alles genau nach Plan – und zwar nach dem Plan der Kommunistischen Partei Chinas. Immobilienkonzerne haben Stress in China, weil die chinesische Staatsführung ihnen gesagt hat: ‚Macht weniger Schulden‘. Das ist die Quintessenz. Das wird hier im Westen oft missverstanden. Die Führung der Kommunistischen Partei will, dass die Immobilienkonzerne abspecken, dass nicht ständig noch mehr und noch teurer gebaut wird und vor allem auf Pump. Der Immobilienmarkt ist bereits stark überhitzt. Viele Chinesen können sich in den großen Städten keine Wohnungen mehr leisten.
100 Jahre Kommunistische Partei Chinas
Die Kommunistische Partei Chinas hat mehr als 90 Millionen Mitglieder. Ihr Anspruch auf Alleinherrschaft ist in der Verfassung festgeschrieben. Um ihre Macht zu halten, betreibt die KP einen Unterdrückungs- und Zensurapparat.
Die Kommunistische Partei Chinas hat mehr als 90 Millionen Mitglieder. Ihr Anspruch auf Alleinherrschaft ist in der Verfassung festgeschrieben. Um ihre Macht zu halten, betreibt die KP einen Unterdrückungs- und Zensurapparat.
Peking will das ändern. Und die Regierung will auch, dass die Konzerne sich nicht mehr so leicht Geld besorgen können wie bislang, weil so aufgeblähte Schulden den Finanzmarkt insgesamt wackelig machen – davor hat Peking seit Jahren Angst. Insofern ist der Stress, unter dem Evergrande steht, ein bewusst induzierter Stress wie bei einer Abspeckkur. Deshalb sieht es auch nicht danach aus, als würde die chinesische Regierung eingreifen, um die Lage zu beruhigen.
"Die chinesische Führung möchte die spekulativen Exzesse, die seit Jahren da sind, bekämpfen", sagte Professor Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, im Dlf. Die chinesische Führung habe sich das Ziel gesetzt, Harmonie im Wirtschaftssystem zu erreichen, shared prosperity, geteilter Wohlstand. Und das wird bedeutend, dass man sich um die kleinen Anleger wird kümmern müssen,
sagte Felbermayr im Dlf
. Für die 200 Milliarden US-Dollar ungefähr, die chinesische Familien investiert haben als Anzahlungen in Wohnungen, da werde Peking Lösungen finden müssen. "Aber es wird sicherlich ein Exempel statuiert werden bei den großen Investoren, die es auch gibt. Für die 20 Milliarden Dollar, die Ausländer investiert haben, sehe ich keine Chance. Das Geld ist wahrscheinlich weg."
Das Vorgehen der Regierung passe auch zu jüngsten Entwicklungen in anderen Wirtschaftsbereichen. Bei den Tech-Giganten etwa sei China auch hart geblieben. "Die Partei sieht es nicht gerne, wenn Dinge aus dem Ruder laufen. Hier sind Dinge aus dem Ruder gelaufen. Deswegen meine ich, dass es einerseits Härte geben wird, andererseits aber den Versuch, die sozialen Folgen an einer solchen Pleite möglichst abzufedern, weil das die Stabilität in China in Gefahr bringt", sagt Felbermayr.
Zwar ist die Sorge groß, dass es zu einem Domino-Effekt kommt wie 2008, aber es spricht vieles dagegen, erklärt Sandra Pfister. Der chinesische Finanzmarkt ist ziemlich abgeschottet von der Welt. Aber wenn im Immobiliensektor in China einiges kollabiert, dann kollabiert einer der führenden Wirtschaftszweige, der auch ein Drittel zum chinesischen Bruttosozialprodukt beiträgt. Dann wäre das der Backlash, den wir in Europa spüren könnten. Beispielsweise könnten Chinesen, die Geld in Immobilien gesteckt haben, weniger Geld haben, um deutsche Autos zu kaufen.
Auch für die Weltwirtschaft könnten Probleme entstehen, sagt Felbermayr. "Wir müssen davon ausgehen, dass die Schwierigkeiten auf dem chinesischen Immobilienmarkt dazu führen, dass das Wachstum von 8,34 Prozent, dass man für das Jahr 2021 bisher gesehen hat, in China nicht zu erreichen sein wird." China werde eher unter acht Prozent wachsen. Und das bedeute, dass auch Exporte nach China nicht so wachsen werden, wie man sich das vielleicht wünschen würde. Auf den Rohstoffmärkten, wo die Preise ja sehr hoch seien aktuell, könnten sie etwas runter gehen. Bei Eisenerz zum Beispiel sei das schon der Fall. Das ist notwendig für Stahl. Stahl ist wichtig für die Baubranche. Und hier habe der hohe Preis der letzten Monate schon wieder stark nachgegeben, 40 Prozent in den letzten drei Monaten. Es werde also Konsequenzen für den Westen geben, aber dass es zu einer Ansteckung im Finanzsystem komme, "wie das bei der Pleite der Lehman Brothers passiert ist, das können wir, glaube ich, ausschließen", sagt Felbermayr.