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Chinas Pulverfass Xinjiang

China macht uigurische Islamisten für die Toten der Anschläge von Kashgar in der westchinesischen Provinz Xinjiang verantwortlich. Die Uiguren ihrerseits schieben der Regierung in Peking die Schuld zu: Die Unterdrückung durch die chinesischen Behörden triebe die Uiguren erst in die Gewalt.

Von Frank Hollmann |
    4000 Kilometer westlich von Peking, kurz vor den Grenzen zu Kirgisien und Tadschikistan, ticken die Uhren anders. Die Menschen in Chinas westlichster Stadt Kashgar leben Stunden hinter der offiziellen Pekinger Zeit, dabei kennt China keine Zeitzonen. Wenn die Pekinger zu Bett gehen, sitzen die Menschen in Kashgar gerade beim Abendessen - so auch am letzten Samstag, berichten am nächsten Abend die Hauptnachrichten des staatlichen Fernsehens:

    "Am Samstag um 23 Uhr haben in Kashgar zwei Verbrecher in einer Restaurantstraße einen LKW-Fahrer erstochen und sind mit dem LKW in eine Menschenmenge gefahren. Dann stiegen sie aus, erstachen mit Messern sechs Menschen und verletzten 28. Erst dann konnte die Menge die beiden Angreifer überwältigen, einen haben sie dabei getötet."

    Tags darauf, wieder gehen Männer mit Messern auf Passanten los, die Polizei erschießt zwei Angreifer. Mehr als 20 Menschen lassen an diesem Wochenende in Kashgar ihre Leben, der Parteichef der Provinz spricht von Terrorismus.

    "Zhang Chun Xian sagt: Dieser schmutzige Terror ist eine Gefahr für die Stabilität der Gesellschaft, die Sicherheit der Bevölkerung und das Volkseigentum."

    Was Zhang Chun Xian, ein Han-Chinese wie alle Provinzparteichefs an diesem Abend nicht sagt: Alle Angreifer waren Uiguren, offenbar gingen sie gezielt auf Han-Chinesen los. Immer wieder eskalieren die ethnischen Spannungen in der muslimisch geprägten Provinz in blutige Gewalt. Vor zwei Jahren zogen Uiguren mordend durch die Straßen der Provinzhauptstadt Urumqi, aus Rache machte der chinesische Mob Hatz auf Muslime. 200 Menschen wurden damals getötet. Möglicherweise auch mehr, vermutet Asgar Can vom Uigurischen Weltkongress in München:

    "Die Lage hat sich deutlich verschlechtert. Nach den Unruhen wurden ja offiziell 33 Uiguren hingerichtet. Und es sitzen momentan wieder hunderte von politischen Gefangenen in Gefängnissen. Die Spannungen zwischen Han-Chinesen und Uiguren hat zugenommen. Die Lage ist viel schlimmer als vor zwei Jahren."

    Das sagte Asgar Can, einer der höchsten Vertreter der uigurischen Exilvertretung. Ende Juni, also vor den jüngsten Anschlägen. Die Uiguren fühlen sich zunehmend als Minderheit im eigenen Land. Schon kurz nach Gründung der Volksrepublik stationierte Peking starke Militärverbände in seinem wilden Westen. Doch seit Beginn der Wirtschaftsreformen in den 80er Jahren stieg der Zuzug dramatisch an. Die Hauptstadt Urumqi ist längst mehrheitlich von Chinesen bewohnt, nun wird Kashgar umgebaut.

    Seit zwei Jahren graben sich Bagger durch Kashgars Altstadt, einst ein bedeutender Handelsplatz an der historischen Seidenstraße. Angeblich sind die alten Lehmhäuser nicht erdbebensicher, in Wirklichkeit aber trauen sich die Soldaten nachts nicht in das Labyrinth der alten Gassen, erzählen Uiguren hinter vorgehaltener Hand:

    "Unsere Kultur geht nach und nach verloren. Vielen Uiguren ist das bewusst, aber sie wagen es nicht, darüber zu reden. Ihnen ist klar, dass das früher oder später zu Spannungen führen wird."

    Ilham Tohti lehrt an der Pekinger Minderheiten-Universität, die Entwicklung in seiner Heimat beobachtet er mit Sorge. Zwar pumpt die Regierung Milliarden in den rohstoffreichen Nordwesten in der Hoffnung, steigender Wohlstand könne auch die Uiguren befrieden. Doch bislang, klagt Tohti, käme das Geld nicht bei den Uiguren an.

    " In den Büros, in denen man richtig Geld verdient, sitzen nur Han-Chinesen, Auch am Empfang der großen Hotels oder unter den Schaffnern im Zug nach Kashgar findet man kaum Uiguren. Die Folge: Dort spricht man Chinesisch, kein Uigurisch. Wenn ein Uigure chinesisch spricht und etwas falsch betont, macht man sich lustig über ihn, das sei ein schlechtes Niveau. Man hat keinen Respekt vor den Uiguren. Aber wer ist denn Schuld an der schlechten Ausbildung? Die liegt doch in den Händen der Regierung."
    In Kashgar leben die meisten Uiguren und Chinesen in getrennten Welten. Freundschaften zwischen beiden Volksgruppen sind selten. Man wohnt in unterschiedlichen Viertel, kauft auf verschiedenen Märkten, isst in verschiedenen Restaurants. Das sei eben so, meint dieser chinesische Taxifahrer:

    "Wenn man ausgeht, ist es ganz selbstverständlich, dass die Uiguren unter sich bleiben und wir Han-Chinesen eben auch. Tief in unseren Herzen ist da eine Mauer."

    Nicht nur die Religion unterscheidet die Menschen. Die Uiguren sind ein Turkvolk, verwandt mit den Einwohnern Anatoliens und Zentralasiens. Sie benutzen die arabische Schrift, sprechen ihre eigene, dem Usbekischen ähnliche Turksprache.

    "Ich spreche nicht gerne Chinesisch. Wissen Sie warum? Die Chinesen sagen dann immer: 'Ting bu dong' - ich verstehe Dich nicht, dein Chinesisch ist zu schlecht. Mein Bruder hat richtig Angst, Chinesisch zu sprechen, ihm fehlt das Selbstbewusstsein."

    Das schürt die Wut unter den Uiguren. Gewaltbereit sind aber wohl nur wenige.

    "Was die Terroristen getan haben, ist nicht richtig. Ich kann da die Sorgen der Regierung verstehen. Früher war es hier sehr friedlich. Und wir einfachen Leute wollen doch in Frieden leben. Wir mögen keine Gewalt."

    Nun aber sind in Kashgar viele Läden und Restaurants geschlossen, Militär patrouilliert in den Straßen. Die Angreifer vom letzten Wochenende seien in Terrorcamps in Pakistan ausgebildet worden, behauptet die chinesische Propaganda, die Männer hätten dort gelernt mit Schusswaffen und Sprengstoff umzugehen. Seltsam nun, dass sie dann mit Messern und Hackbeilen auf ihre Opfer losgingen. Ilham Tohti jedenfalls glaubt nicht, dass radikale Terrororganisationen wie Al-Kaida bislang in Xinjiang Fuß gefasst haben.

    "Ein radikaler Islam kann nie wegweisend für uns sein. Mag sein, dass einige Muslime radikalen Gruppen angehören, aber im Gebiet der Uiguren ist das nicht der Fall. In den 90er Jahren gab es solche Strömungen, sie kamen aus Pakistan zu uns. Ich habe sehr empfindlich darauf reagiert. Wenn wir als kleine Minderheit von solchen Gruppen missbraucht werden, müssen wir am Ende darunter leiden. Damit verschafft man der Regierung doch nur einen guten Grund, uns weiter zu unterdrücken."