Der Literaturkritiker und Philosoph Liu Xiaobo ist in Peking verhaftet worden. Eine Sensation? Eher hatten viele in China dies lange befürchtet. Eine traurige Alltagserscheinung, dass irgendjemand aus irgendeinem nichtigen Grund verschwindet? Das wiederum bestreiten alle in China. Für die Behörden ist der Inhaftierte ein Umstürzler, ohne seinen Straftatbestand konkret zu nennen. Für seine Verteidiger ist Liu Xiaobo ein Leuchtturm einer zivilgesellschaftlichen Bewegung. Gewichtig eingeschätzt von allen Seiten also.
Fest steht: Sein Gewicht bekommt der Mann hinter Gitter aus äußerst unterschiedlichen Einschätzungen. Das beginnt mit der Symbolkraft im kalendarischen Sinne. Vor dem 4. Juni dieses Jahres, also vor dem 20. Jahrestag des Massakers auf dem Tiananmen-Platz in Peking 1989, traute sich die Regierung in Peking Liu Xiaobo nicht anzuklagen. Schließlich hatte der Literaturkritiker vor 20 Jahren schon bei der damaligen Demokratiebewegung aktiv mitgemischt. Seine Verhaftung vor dem empfindlichen Termin wäre der beste Anlass für Chinesen wie für die Welt, sich genau an das Blutbad zu erinnern, an die Rufe nach Freiheit und Demokratie.
Aber auch nach dem Jahrestag bleibt der Regentschaft in China nicht viel Zeit übrig: Am 1. Oktober dieses Jahres will Peking den 60. Jahrestag der Volksrepublik pompös feiern lassen. 100.000 Studentinnen und Studenten seien für die Ehrenformationen rekrutiert worden. Es liegt auf der Hand: Man darf die frisch rekrutierte Jugend nicht damit konfrontieren, was vor 20 Jahren von ihren studentischen Vorfahren gefordert wurde: Eine Volksrepublik müsse vom Volk und für das Volk regiert werden, und nicht, wie es passierte, das Volk in Blutlache tränken, mittels Panzern und Maschinengewehre. Wenn, dann muss der Querdenker jetzt in dem schmalen Zeitfenster der Symbolpolitik mundtot gemacht werden.
Die Brisanz solcher symbolpolitischen Prophylaxe liegt genau in der Einschätzung der jungen Generation Chinas begründet. Glaubt man Medien aller Welt, so ist diese Generation aufgewachsen mit dem Glimmer des Massenkonsums, im Glanz des erstarkenden Nationalstaates Chinas. Politisches Desinteresse wird dieser Generation bescheinigt; plus blinder Patriotismus: bester Nährboden, eine Figur wie Liu Xiaobo gar nicht erst wahrnehmen zu wollen. Warum die Angst, gepaart mit solcher Eile?
Der Grund ist ebenso profan wie einleuchtend: Gerade die junge Generation im Zeitalter des Internets ist mit westlich-demokratischen Diskursen aufgewachsen. Für sie sind Begriffe wie "Bürger", "Steuerzahler" oder Denkmuster wie "das ist mein gutes Recht", "das geht nur mich was an, sonst niemanden" Selbstverständlichkeiten für den Alltag - nicht für das Politische. Auch an Universitäten Chinas wird im Bereich der Sozialwissenschaften mehr Keynes als Kapital, mehr Hayek denn Liebknecht gelehrt - freilich nur für akademische Stubenhocker. Die Durchsetzung westlicher Wissenssysteme und Diskurse machen aus komsumeifrigen Chinesen nicht automatisch kritische Bürger; aber es fehlt nicht mehr viel dazu.
Es fehlt einer, der die papiernen Denkmuster mit charismatischer Lebenserfahrung ausfüllt; einer, der aus wohlklingenden Worthülsen für persönliche Zierde, durchdachte Praktiken machen kann. Und das ist dieser Literaturkritiker Liu Xiaobo, der 20 Jahre lang, mitten in Peking sitzend, nicht müde wird, um die Regentschaft mit Forderung nach praktikablen Menschenrechten zu nerven. Bevor irgendjemand von solch einer Figur erfährt, bevor mit solch einer Figur ganze Netzwerke in den chinesischen Städten geknüpft werden, muss er verschwinden. Solche Netzwerke werden gebraucht, da, wo die Wirtschaftskrisen auch in China die Mittelschicht zutiefst beunruhigen.
Fest steht: Sein Gewicht bekommt der Mann hinter Gitter aus äußerst unterschiedlichen Einschätzungen. Das beginnt mit der Symbolkraft im kalendarischen Sinne. Vor dem 4. Juni dieses Jahres, also vor dem 20. Jahrestag des Massakers auf dem Tiananmen-Platz in Peking 1989, traute sich die Regierung in Peking Liu Xiaobo nicht anzuklagen. Schließlich hatte der Literaturkritiker vor 20 Jahren schon bei der damaligen Demokratiebewegung aktiv mitgemischt. Seine Verhaftung vor dem empfindlichen Termin wäre der beste Anlass für Chinesen wie für die Welt, sich genau an das Blutbad zu erinnern, an die Rufe nach Freiheit und Demokratie.
Aber auch nach dem Jahrestag bleibt der Regentschaft in China nicht viel Zeit übrig: Am 1. Oktober dieses Jahres will Peking den 60. Jahrestag der Volksrepublik pompös feiern lassen. 100.000 Studentinnen und Studenten seien für die Ehrenformationen rekrutiert worden. Es liegt auf der Hand: Man darf die frisch rekrutierte Jugend nicht damit konfrontieren, was vor 20 Jahren von ihren studentischen Vorfahren gefordert wurde: Eine Volksrepublik müsse vom Volk und für das Volk regiert werden, und nicht, wie es passierte, das Volk in Blutlache tränken, mittels Panzern und Maschinengewehre. Wenn, dann muss der Querdenker jetzt in dem schmalen Zeitfenster der Symbolpolitik mundtot gemacht werden.
Die Brisanz solcher symbolpolitischen Prophylaxe liegt genau in der Einschätzung der jungen Generation Chinas begründet. Glaubt man Medien aller Welt, so ist diese Generation aufgewachsen mit dem Glimmer des Massenkonsums, im Glanz des erstarkenden Nationalstaates Chinas. Politisches Desinteresse wird dieser Generation bescheinigt; plus blinder Patriotismus: bester Nährboden, eine Figur wie Liu Xiaobo gar nicht erst wahrnehmen zu wollen. Warum die Angst, gepaart mit solcher Eile?
Der Grund ist ebenso profan wie einleuchtend: Gerade die junge Generation im Zeitalter des Internets ist mit westlich-demokratischen Diskursen aufgewachsen. Für sie sind Begriffe wie "Bürger", "Steuerzahler" oder Denkmuster wie "das ist mein gutes Recht", "das geht nur mich was an, sonst niemanden" Selbstverständlichkeiten für den Alltag - nicht für das Politische. Auch an Universitäten Chinas wird im Bereich der Sozialwissenschaften mehr Keynes als Kapital, mehr Hayek denn Liebknecht gelehrt - freilich nur für akademische Stubenhocker. Die Durchsetzung westlicher Wissenssysteme und Diskurse machen aus komsumeifrigen Chinesen nicht automatisch kritische Bürger; aber es fehlt nicht mehr viel dazu.
Es fehlt einer, der die papiernen Denkmuster mit charismatischer Lebenserfahrung ausfüllt; einer, der aus wohlklingenden Worthülsen für persönliche Zierde, durchdachte Praktiken machen kann. Und das ist dieser Literaturkritiker Liu Xiaobo, der 20 Jahre lang, mitten in Peking sitzend, nicht müde wird, um die Regentschaft mit Forderung nach praktikablen Menschenrechten zu nerven. Bevor irgendjemand von solch einer Figur erfährt, bevor mit solch einer Figur ganze Netzwerke in den chinesischen Städten geknüpft werden, muss er verschwinden. Solche Netzwerke werden gebraucht, da, wo die Wirtschaftskrisen auch in China die Mittelschicht zutiefst beunruhigen.