In den letzten Tagen waren in Myanmar weiter Menschen auf die Straße gegangen, um gegen den Militärputsch vor zwei Monaten zu demonstrieren. Sie fordern die Wiedereinsetzung der Führung und damit eine Umkehr des Putsches. Die Militärführung geht dagegen immer brutaler vor.
Bei den landesweiten Protesten am vergangenen Wochenende war mit mehr als 100 Toten ein vorläufiger Höhepunkt erreicht. Die Vereinten Nationen bezeichneten den Samstag als den "blutigsten Tag" seit dem Militärputsch vom 1. Februar. Unter den Toten waren Berichten zufolge auch mehrere Kinder und Jugendliche.
Nicht wenige Beobachter vermuten, dass das Militär in Myanmar bei seinem harten Kurs auf Unterstützung seines mächtigen Nachbarn China bauen kann. Erst vor wenigen Wochen hatte China noch eine Stellungnahme des UN-Sicherheitsrates gegen das brutale Vorgehen der Militärs in Myanmar mitgetragen. Nun entsandte China sogar einen Vertreter nach Myanmar.
Chinas strategisches Interesse an Myanmar
Der Politologe und Ostasien-Experte der Freien Universität Berlin, Eberhard Sandschneider, sagte im Deutschlandfunk, Myanmar sei für China ein außerordentlich wichtiges Land.
"Es ist damit eine strategisch wichtige Alternative, sollte es beispielsweise in der Straße von Malaga zu so etwas kommen, wie wir es gerade im Suezkanal gesehen haben", sagte er. China sei beim Waren- und Ressourcentransport von der Straße von Malakka abhängig und baue seit Jahren Eisenbahnlinien und Pipelines, um den Transport seiner Waren durch Myanmar nach Südwestchina zu ermöglichen.
"Das Interesse Chinas besteht darin, Stabilität in Myanmar zu halten", sagte Sandschneider weiter. Deswegen habe China auch in der Vergangenheit mit der demokratisch gewählten Führung in Rangun zusammengearbeitet.
"Jetzt allerdings stellt man fest, dass die Militärs im hohen Maße Instabilität geschaffen haben durch ihren erneuten Putsch. Und in China steigt auch die Bereitschaft der Kritik an dieser Militärregierung, die auch schon dazu aufgefordert wurde, chinesische Installationen und chinesische Bürger zu schützen."
"Das sind 'Partner', an denen man nicht vorbeikommt"
Die derzeitige Militärführung, unabhängig von ihrer Brutalität, sei für China genauso problematisch wie beispielsweise der Diktator in Nordkorea. "Das sind ‚Partner‘, an denen man nicht vorbeikommt, aber 'Partner', die China auch das Leben schwer machen, weil sie auch das internationale Image von China letztendlich gefährden", sagte Sandschneider. Das seien extrem komplizierte Partnerschaften, die sich nicht so ohne Weiteres steuern ließen.
Als Reaktion auf die exzessive Gewalt des Militärs in Myanmar gegen die Bevölkerung wollen die USA das Handelsabkommen mit dem asiatischen Land aussetzen. "Bei all den Rufen nach Sanktionen muss man immer mittlerweile auch die Frage stellen, was sie letztendlich bewirken. Wir wissen aus einer vergleichenden Perspektive auf Sanktionen, ja, sie wirken, aber häufig genug haben sie nicht die Wirkung, für die sie eigentlich erlassen worden sind", sagte Sandschneider.
Diese Militärs stünden mit dem Rücken an der Wand. Sie kämpften im wahrsten Sinne des Wortes um ihr politisches Überleben, und sie lassen auf Menschen schießen. "Da sind Handelssanktionen ein vergleichsweise mildes Mittel, um dagegen anzugehen", sagte Sandschneider.
Mit Blick auf die Rolle Deutschlands und der EU sagte der Ostasien-Experte: "Wenn Europa und Deutschland an dieser Stelle eine Rolle spielen wollten, müssten sie Mittel und Wege kennen, um Chinas strategische Interessen zu beeinflussen. Das sehe ich eigentlich nicht." Jenseits einer öffentlichen Verurteilung und Kritik könne man wenig tun, um den Menschen in Myanmar, die tagtäglich auf die Straße gehen, zu helfen.
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Silvia Engels: Vor drei Wochen hatte China noch eine Stellungnahme des UN-Sicherheitsrates gegen das brutale Vorgehen der Militärs in Myanmar mitgetragen. Nun ist so etwas nicht mehr zu hören. Im Gegenteil: China entsandte jüngst einen Vertreter zur Militärparade in Myanmar. Warum stützt China die Brutalität des Regimes in Myanmar?
Eberhard Sandschneider: Zunächst einmal muss man sehen, dass Myanmar für China ein strategisch außerordentlich wichtiges Land ist. Es ist, wenn man so will, ein Transitland zwischen dem Indischen Ozean und dem Südwesten Chinas, insbesondere der Provinz Yunnan, und damit eine wichtige, strategisch wichtige Alternative, sollte es beispielsweise in der Straße von Malakka zu so etwas Ähnlichem kommen, wie wir es jetzt gerade im Suez-Kanal gesehen haben. China ist von dem Warentransport, auch von dem Ressourcentransport durch die Straße von Malakka abhängig und hat ein großes Interesse daran, baut seit Jahren Pipelines, Eisenbahnlinien, Straßenbahnen, um den Transport seiner Waren durch Myanmar nach Südwestchina zu ermöglichen. Das ist der strategische Hintergrund und das Interesse Chinas besteht darein, Stabilität in Myanmar zu halten. Deshalb hat China auch mit der vergangenen demokratisch gewählten Regierung zusammengearbeitet.
Jetzt allerdings stellt man fest, dass die Militärs in hohem Maße Instabilität geschaffen haben durch ihren erneuten Putsch, und in China steigt auch die Bereitschaft der Kritik an dieser Militärregierung, die beispielsweise aufgefordert wird, sich dafür einzusetzen, chinesische Installationen und chinesische Bürger zu schützen. Das alles gibt eine riesige Gemengelage aus chinesischer Sicht. Im Grunde ist die derzeitige Militärführung, unabhängig von ihrer Brutalität, für China genauso problematisch wie beispielsweise der Diktator in Nordkorea. Das sind "Partner", an denen man nicht vorbeikommt, aber Partner, die China auch das Leben schwermachen, weil sie auch das internationale Image von China letztendlich gefährden.
"Das sind extrem komplizierte Partnerschaften"
Engels: Sie sprechen es an. Es gibt nicht nur Übereinstimmungspunkte zwischen den Militärs in Myanmar in China. Das war auch schon länger so. Was könnte denn China Ihrer Ansicht nach dazu bewegen, das Militär in Myanmar doch an den Verhandlungstisch mit der Opposition zu drängen?
Sandschneider: Die Herstellung von Stabilität ist natürlich das überragende Ziel. Wenn man aus chinesischer Sicht den Eindruck gewinnt, das sei möglich, indem verhandelt wird in Rangun, dann wird China sicherlich auch diese Möglichkeit in Betracht ziehen. Aber wie Sie am Beispiel Nordkoreas sehen – ich sage es noch einmal -, da sind extrem komplizierte Partnerschaften, die sich auch nicht so ohne weiteres steuern lassen. Und man sieht auch an den Versuchen des Westens, in irgendeiner Weise Einfluss zu nehmen auf diese Regime, wie schwer es ist, von außen da tatsächlich einen Hebel ansetzen zu können.
Engels: Auf der anderen Seite haben die USA nun gerade ein Handelsabkommen mit Myanmar ausgesetzt. Hier wird der Druck erhöht. Zynische Beobachter sagen, damit treibt man Myanmar beziehungsweise die Militärs erst recht in die Arme Chinas.
Sandschneider: Natürlich! Aus deren Sicht gibt es keine große Alternative. Man muss natürlich fairerweise bei all den Rufen nach Sanktionen immer mittlerweile auch die Frage stellen, was sie letztendlich bewirken. Wir wissen aus einer vergleichenden Perspektive auf Sanktionen, ja, sie wirken, aber häufig genug haben sie nicht die Wirkung, für die sie eigentlich erlassen worden sind. Es ist noch einmal außerordentlich schwer, von außen mit Sanktionsmaßnahmen etwas zu verändern. Diese Militärs stehen mit dem Rücken an der Wand. Sie kämpfen im wahrsten Sinne des Wortes um ihr politisches Überleben und sie lassen auf Menschen schießen. Da sind Handelssanktionen ein vergleichsweise mildes Mittel, um dagegen anzugehen.
"Image ist wichtig, aber eigentlich sekundär"
Engels: Sie haben es schon angesprochen. Wenn China die Militär-Junta in Myanmar länger stützt, riskiert es auch, international sein Image zu beschädigen. Wie wichtig ist das?
Sandschneider: Na ja. Für jede Regierung ist Wahrung von Image auch etwas wichtiges. Für die chinesische Regierung gibt es aber Abwägungen von Prioritäten. Sie haben gerade über Hongkong berichtet. Das ist ein Image-Schaden für China, den man natürlich in Kauf nimmt, um die eigenen Stabilitätsinteressen wahren zu können, und dasselbe wird für Myanmar gelten, so wie es im Übrigen auch für Nordkorea gilt. Image ist wichtig, aber eigentlich sekundär, wenn es an geopolitische, strategische, wirtschaftliche und zum Teil auch militärische Interessen geht.
Engels: Was könnten denn die Bundesregierung und die Europäische Union tun, um China dazu zu bewegen, das gespaltene Verhältnis zur Macht in Myanmar doch in die Richtung zu bewegen, sich auf die Seite deutlicher Kritik zu stellen, um hier ein Umdenken beim Militär in Myanmar zu erzwingen?
Sandschneider: Wenn Europa und Deutschland an dieser Stelle eine Rolle spielen wollten, müssten sie Mittel und Wege kennen, um Chinas strategische Interessen zu beeinflussen. Das sehe ich eigentlich nicht. Im Klartext heißt die Antwort auf Ihre Frage: Eigentlich können wir jenseits von einer öffentlichen Verurteilung und von einer Kritik recht, recht wenig tun, um den Menschen in Myanmar, die tagtäglich auf die Straße gehen, wirklich zu helfen. Das ist rhetorische Politik, das ist zum Teil symbolische Politik. Wir sind aber auch kein unmittelbarer strategischer Spieler in der Region. Das muss man anerkennen und ansonsten bedauerlicherweise dazu sagen, wir haben mit solchen kritischen Situationen in der Vergangenheit immer so verfahren, dass wir sie laut kritisiert haben, dass wir heftig protestiert haben, dass wir wenig haben tun können und darauf gewartet haben, dass die nächste internationale Krise die Aufmerksamkeit weiterziehen lässt und man wieder wegschauen kann.
Engels: Sie haben es schon angesprochen. China setzt auf Stabilität der Region und wenn die Proteste in Myanmar anhalten, ist diese Stabilität nicht gegeben. Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang, dass in Myanmar ja auch viele ethnische Chinesen leben?
Sandschneider: Das ist ja gerade in den letzten Tagen und Stunden zu beobachten gewesen, dass die chinesische Regierung relativ klar und deutlich aufgefordert hat, sowohl chinesische Einrichtungen – das sind Infrastrukturmaßnahmen, wie wir sie angesprochen haben -, vor allem aber auch chinesische Bürger oder Angehörige der chinesischen Ethnie zu schützen, wenn diese im Zuge dieser Auseinandersetzungen auch um ihr Leben fürchten müssen. Das ist eine Aufforderung, die längst ergangen ist. Ob das im Einzelnen und vor Ort tatsächlich gelingt, lässt sich von außen praktisch nicht beobachten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.