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Unterdrückung der Uiguren
Bütikofer (Grüne): "Es braucht Sanktionen gegen China"

Nach neuen Enthüllungen über Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Uiguren hat Außenministerin Annalena Baerbock von Peking transparente Aufklärung verlangt. Der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer forderte im Dlf, wirtschaftliche Interessen klar zu reduzieren. Deutsche Firmen wie BASF oder VW sollten sich aus China zurückziehen.

Reinhard Bütikofer im Gespräch Barbara Schmidt-Mattern | 25.05.2022
Aus einer Untersicht sind uniformierte und bewaffnete Sicherheitskräfte zu sehen, die vor einer Mosche patrouillieren.
Reaktionen auf "Xinjiang Police Files": Ampel-Politiker fordern neue China-Politik (Picture Alliance / dpa - Report / Diego Azubel)
Fotos aus staatlichen Umerziehungslagern und andere Papiere über erteilte Schießbefehle zeigen die Gewalt und die Internierung Hunderttausender Uiguren in Xinjiang im Nordwesten Chinas. Ein internationales Medienkonsortium hatte weitere Belege für die Internierung und Unterdrückung der Uiguren in der Region Xinjiang veröffentlicht.
Man müsse endlich Konsequenzen ziehen, sagte Reinhard Bütokofer im Deutschlandfunk. Die Menschenrechtsverletzungen gegenüber der muslimischen Minderheit der Uiguren sei lange bekannt. Die jetzt aufgetauchten „Bilder des Grauens“ machten die Dringlichkeit von härteren Sanktionen seitens noch deutlicher.  

Gegen führende chinesiche Funktionäre vorgehen

Erstmals seit dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz von 1989 habe die EU im vergangenen Jahr Maßnahmen gegen China verhängt. Diese seien allerdings lediglich „Sanktionen im Schongang“ gewesen, kritisierte Bütikofer. Man müsse nun nachlegen und gegen führende chinesische Funktionäre vorgehen, die beispielsweise Schießbefehle erteilten.
Deutsche und europäische Wirtschaftsunternehmen müssten sich zudem endlich vom chinesischen Markt abkoppeln, sagte Bütikofer weiter
Der CDU-Politiker Michael Brand brachte im Deutschlandfunk unter anderem ein Verbot der Konfuzius-Institute in Deutschland ins Gespräch. Peking müsse verstehen lernen, dass man hierzulande nicht dumm und dekadent sei und rassistische und totalitäre Ideologien dulde. Der CDU-Politiker verlangte zudem, ähnlich wie Reinhard Bütikofer, so wie man sich unabhängiger von russischer Energie mache, müsse man sich unabhängiger von wirtschaftlichen Beziehungen zu China machen. Geschäfte dürften auch mal nicht zustande kommen.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Die Grünen) sprach nach Angaben des Auswärtigen Amtes mit ihrem chinesischen Kollegen Wang über die Vorwürfe und forderte eine transparente Aufklärung.

Das Interview in voller Länge

Schmidt-Mattern: Das Europaparlament bezeichnet den Umgang Chinas mit den Uiguren seit langem ja schon als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sind Sie persönlich noch überrascht über diese jüngsten Enthüllungen?
Reinhard Bütikofer: Ich bin nicht überrascht und trotzdem macht das einen großen Unterschied, dass wir jetzt diese Bilder des Grauens sehen. Es gibt ein chinesisches Sprichwort. Das sagt, einmal sehen ist wichtiger als hundertmal hören. Wir haben hundertmal, tausendmal gehört, was dort passiert. Jetzt sehen wir dazu Bilder wie zum Beispiel in einem Bild, ich glaube, zehn oder elf Polizisten über einen Gefangenen herfallen, der mit einer Kapuze den Kopf verhüllt hat, und so weiter und so weiter. Wir erleben in den Dokumenten, dass führende Funktionäre der Kommunistischen Partei persönlich verantwortlich sind für diese Unterdrückung. Das muss einen Unterschied machen.
Schmidt-Mattern: Zugleich ist es so, dass wir im Grunde das Ausmaß das Ausmaß jetzt noch einmal schwarz auf weiß vor Augen geführt bekommen, aber die Vorwürfe nicht neu sind. Das Ganze ist seit langem bekannt. Fangen wir zunächst an bei der Europäischen Union. Welche Schlüsse beispielsweise beim Punkt Sanktionen muss die EU jetzt ziehen?

Man muss gegen führende Funktionäre vorgehen

Bütikofer: Die EU hat im letzten März Sanktionen verhängt, zum ersten Mal seit dem Tien An Men Massaker 1989 gegen China Sanktionen verhängt, und zwar für vier niedrigrangige Politbeamte und eine Wirtschaftsorganisation, die ganz tief verwickelt ist mit diesem bösen Vorgehen gegen die Uiguren. Das ist eine Organisation mit dem Namen XPCC. Das waren Sanktionen im Schongang. Ich glaube, man muss jetzt nachlegen. Man muss jetzt auch gegen führende Funktionäre vorgehen. Es gibt zum Beispiel den ehemaligen Parteisekretär des autonomen Gebiets Xinjian, Herr Cen. Von ihm ist in diesen Dokumenten überliefert, dass er gesagt hat, wenn jemand aus diesen Lagern flüchten will, soll geschlossen werden, um die Menschen zu töten. Das noch mal vor dem Hintergrund, dass die chinesische Propaganda behauptet, es seien Fortbildungslager. Wenn jemand aus einem sogenannten Fortbildungslager flüchten will, muss er erschossen werden. Das muss man sich mal überlegen. – Ich glaube, das ist jetzt eine Schwelle, bei der die EU nicht weiter zurückhaltend sein kann.
Schmidt-Mattern: Herr Bütikofer, Sie haben in einer ersten Stellungnahme gestern schon darauf hingewiesen, dass es jetzt eine klare und einhellige Unterstützung aus allen 27 EU-Regierungen braucht. Bremst da jemand aus Ihrer Sicht, wenn es darum geht, härter gegen China vorzugehen, und wenn ja, wer bremst?
Bütikofer: Im letzten Jahr war es möglich, dass alle 27 mitgemacht haben, auch wenn der ungarische Vertreter hinterher an die Presse gegangen ist und gesagt hat, er findet das ganz falsch. Ich habe jetzt nicht von irgendeiner EU-Regierung gehört, dass sie diese Dinge beschönigt. Die Bundesaußenministerin hat sich – darüber haben Sie ja berichtet – sehr klar geäußert und ich hoffe, dass es gelingt – und die Initiative dazu müsste von Josep Borrell, dem Hohen Beauftragten der EU für Außenpolitik ausgehen -, dass es gelingt, ein neues Sanktionspaket zu entwickeln.

Xi Jinpings China und Putins Russland liegen sich schon in den Armen.

Schmidt-Mattern: Würden wir umgekehrt mit einem neuen Sanktionspaket China noch mehr in die Arme Russlands treiben?
Bütikofer: Nein! Ich glaube, das wäre eine Fehlwahrnehmung. China, oder ich sollte genauer sagen Xi Jinpings China, denn das ist ja eine sehr autokratische Veranstaltung, in der ganz wenige Leute, vor allem der Parteichef alles entscheiden – Xi Jinpings China und Putins Russland liegen sich schon in den Armen. Anfang Februar haben die beiden Herren am Rande der Winterolympiade einen sogenannten Freundschaftspakt verabredet, der laut chinesischer Propaganda keine Grenzen kennen soll. Wenn wir genau zuhören, was China zu dem Krieg Russlands, dem Aggressionskrieg in der Ukraine sagt, dann ist das einfach nur Unterstützung. China ist sogar dabei, im globalen Süden die russischen Lügen über diesen Aggressionskrieg weiterzuverbreiten. Die beiden Herren haben sich entschieden: Sie sind gemeinsame Gegner der USA, der Werte, für die Europa steht, und wollen eine andere Weltordnung, in der autokratische Herrscher bestimmen, wer was zu sagen hat. Sie wollen nicht mehr das System des Multilateralismus, das eigentlich die letzten 70 Jahre geprägt hat, in dem auch kleinere Länder ein internationales Recht haben. Sie wollen zu einer Ordnung, in der die Großen bestimmen und die Kleinen gehorchen. Das hat, finde ich, der UNO-Botschafter von Kenia in der Sicherheitsratsdebatte der Vereinten Nationen über den russischen Angriff sehr schön auf den Punkt gebracht und an der Stelle müssen Demokraten klar sein, wenn sie nicht unterliegen wollen.

Großes Interesse an Hightech-Produkten aus unserer Produktion

Schmidt-Mattern: Kommen wir mal auf die deutsche China-Politik zu sprechen. Wir haben Annalena Baerbock im O-Ton gehört. Wir kennen auch die Ausrichtung der Ampel-Koalition, etwas anders mit China umzugehen, als noch die deutsche Bundesregierung unter Angela Merkel es getan hat, die vor allem auf enge Wirtschaftsbeziehungen gesetzt hat. Dennoch können wir das vielleicht konkretisieren, Herr Bütikofer. China ist einer der wichtigsten und größten Handelspartner Deutschlands und der EU. Da müsste es doch einen Hebel geben, auf Chinas Umgang mit den Menschenrechten einzuwirken.
Bütikofer: Ganz so einfach ist das nicht, muss man klar sagen, weil für die chinesische Führung Wirtschaft nicht ein eigenständiges Ziel, sondern Mittel zum unterdrückerischen und imperialen Zweck ist. Die chinesische Führung verzichtet auch auf wirtschaftliche Stärke, wenn sie meint, das sei notwendig, um die Parteikontrolle zu stärken. Trotzdem, glaube ich, haben wir in der Tat Hebel, weil China zum Beispiel sehr interessiert ist an Hightech-Produkten aus unserer Produktion. Nach einer Zahl, die ich von der Europäischen Handelskammer in Peking habe, sind ungefähr 40 Prozent der Hightech-Produkte, die es in China gibt, aus europäischer Produktion. Deswegen, glaube ich, können auch Firmen hier ein klares Zeichen setzen.
Es haben sich viele europäische Firmen aus Russland zurückgezogen, wegen Putins Überfall auf die Ukraine. Warum können sich europäische Firmen, auch deutsche Firmen – ich benenne Volkswagen, ich benenne BASF -, warum können die sich nicht aus Xinjian zurückziehen!
Schmidt-Mattern: Warum nicht? – Frage an Sie. Vielleicht können Sie uns das erklären.
Bütikofer: Die Frage müssen Sie Herrn Diess und Herrn Brudermüller stellen. Ich bin dafür, dass sie das tun.

Keine Zukunft für wirtschaftliche Beziehungen mit China

Schmidt-Mattern: Meine Frage zielt natürlich auf die Interessen der deutschen Wirtschaft in China ab und ob es da vielleicht auch andere Möglichkeiten gäbe, die Wirtschaft stärker zu Reaktionen zu bewegen, als das bisher geschehen ist.
Bütikofer: Ich glaube, auch für die Wirtschaft sind diese neuen Enthüllungen noch mal ein neues Faktum, und man muss neu überlegen. Ich glaube, dass die Wirtschaft dabei ist, besser zu verstehen, dass China nicht auf langfristige wirtschaftliche Partnerschaft mit uns setzt. Wir haben viel geredet, vor allem in der Zeit von Präsident Trump, über die sogenannte Abkopplung von China, und während darüber in Washington mancher gequakt hat, wird von China aus Abkopplung de facto betrieben. Man kann sich verschiedene Branchen ansehen, wo das schon stattgefunden hat. Die Eisenbahnbranche: Siemens und Alstom haben die chinesische Eisenbahnindustrie großgemacht; heute kriegen die keinen Fuß mehr auf den Boden. – Auch im Bereich IT: Nokia und Ericsson waren mal groß am chinesischen Markt; die sind im einstelligen Bereich. – Wir können nicht so lange glauben, dass Friede, Freude, Eierkuchen und Profit die Quintessens der Wirtschaftsbeziehungen ist, bis anderen Branchen das auch noch so gegangen ist.

Verteidigung gegen unfaire chinesische Handelspraktiken

Schmidt-Mattern: Herr Bütikofer, ich habe Ihnen jetzt aufmerksam zugehört und trotzdem bleibt bis zu diesem Punkt des Interviews mein Gefühl, dass Sie viele Vorschläge und auch Ideen haben, wie man reagieren könnte, was man tun könnte im Umgang mit China, und trotzdem bleibt das alles verhältnismäßig unkonkret. Können Sie mir abschließend sagen: Was fordern Sie jetzt konkret von der Bundesregierung oder auch von der EU-Kommission in Reaktion auf diese verstörenden Enthüllungen?
Bütikofer: Ich finde das nicht unkonkret, wenn ich sage, es braucht Sanktionen. Ich finde es nicht unkonkret, wenn ich sage, deutsche Firmen sollen sich zurückziehen. Ich kann an Konkretion hinzufügen, dass wir unsere Instrumente zur Verteidigung gegen unfaire chinesische Handelspraktiken verstärken müssen, zum Beispiel das Instrument, mit dem man sich wehren kann gegen solche Erpressungsversuche, wie sie gerade gegenüber dem Land Litauen laufen. Da gibt es sehr viele konkrete Vorschläge aus dem Europäischen Parlament. An Konkretion mangelt es uns nicht. Es mangelt derzeit an politischem Willen bei den Verantwortlichen in den Mitgliedsländern der EU, das auch umzusetzen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.