Gute Wirtschaftsnachrichten aus China sind für alle auf der Welt gute Nachrichten, stellte Maurice Obstfeld vor einigen Tagen fest. Er ist Chefökonom des Internationalen Währungsfonds. Der IWF hatte kurz zuvor die offiziellen Wachstumserwartungen für China angehoben.
6,8 Prozent Wirtschaftswachstum in China erwartet der IWF für dieses Jahr. Etwas mehr als bisher gedacht. Ein Grund ist der boomende Außenhandel: Chinas Importe sind im Vergleich zum Vorjahr um fast 19 Prozent gestiegen, die Ausfuhren um gut acht Prozent. Beeindruckende Zahlen.
Doch blickt man tiefer und nicht nur auf die Statistiken wird klar: Chinas Wirtschaft hat auch viele Probleme. Da sind zum Beispiel die vielen nicht eingehaltenen Reform-Versprechen.
China werde die Türen weit öffnen für ausländische Investoren, sagte Staatschef Xi Jinping Anfang des Jahres beim Weltwirtschaftsforum in Davos in der Schweiz. Sein Land werde für weltweiten Handel eintreten und für gleiche wirtschaftliche Bedingungen für alle.
Nichts als leere Versprechungen
"Wir hören das jedes Jahr," sagt Carlo Diego D'Andrea von der Europäischen Handelskammer in Schanghai. "Als ich im Januar aus dem Weihnachtsurlaub zurückkam, dachte ich: Was für eine wunderbare Rede von Präsident Xi in Davos. Genau das Richtige. Aber mit der Zeit wurde klar: Geredet wird in diese Richtung, gehandelt in die andere."
Die Beschwerden ausländischer Firmen in China nehmen zu: Das Land schotte sich weiter ab, statt sich zu öffnen. Heimische Unternehmen würden oft bevorzugt, trotz gegenteiliger Versprechen. Offen ins Mikrofon sagen wollen das Manager so gut wie nie - aus Angst vor Nachteilen fürs eigene Geschäft.
Ein weiteres Problem
Ein weiteres Problem, aus Sicht vieler sogar das größte der chinesischen Wirtschaft, sind die enormen Schulden. Nimmt man den Staat, die Unternehmen und die Privatpersonen zusammen haben sich Chinas Schulden im vergangenen Jahrzehnt etwa verdoppelt, je nach Schätzung auf 270 bis 300 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Schulden Chinas sind also bis zu dreimal so groß wie seine komplette Wirtschaftskraft.
Nicht mehr als ein gigantisches Schneeballsystem?
"Es stellt sich die Frage, ob Chinas Wirtschaft nicht vielleicht einfach ein gigatisches Schneeballsystem ist," sagt Fank Dikötter, China-Historiker an der Hong Kong University. Weil China nunmal ein Einparteien-Staat mit unbegrenzter Machtfülle sei, funktioniere das Ganze.
"Der Staat kann so viel Geld ins System pumpen, wie er mag, er kann so viel Geld drucken, wie er mag. In einem Einparteien-Staat mit kontrollierter Wirtschaft gehören alle Banken dem Staat und auch Geld gehört dem Staat."
Trotz aller Bekenntnisse zu freiem Handel und wirtschaftsfreundlichen Reformen: Der chinesische Staat lenkt die Wirtschaft des Landes mehr denn je. Marktwirtschaftliche Ansätze werden weiter zurückgefahren, spätestens seit den Kursstürzen an den Börsen in Schanghai und Shenzhen vor rund zwei Jahren.
"Die Partei hat damals entschieden, dass das, was sie als Kapitalismus und wir als freie Marktwirtschaft bezeichnen, nicht wirklich funktioniert. Sie ist zu dem Schluss gekommen, dass sie es versucht hat in den vergangenen Jahrzehnten. Nun aber ist für die Partei eine Grenze erreicht."