Warum ein Buch ausgerechnet über Hu Jia? Er ist ein unermüdlicher Aktivist, der die Öffentlichkeit sucht und das Rampenlicht liebt. Doch vielen in China geht er mit seinem Aktionismus längst auf die Nerven. Und andere Bürgerrechtler haben mehr intellektuellen Tiefgang, mehr Lebenserfahrung als dieser 40-Jährige, der von sich selbst sagt, er sei kein Mann des Wortes, kein Denker oder öffentlicher Intellektueller, sondern ein Mann der Aktion.
Der finnische Journalist Sami Sillanpää kennt Hu Jia und seine deutlich jüngere Frau Zeng Jinyan seit vielen Jahren. Er hat ihre sehr unterschiedlichen Lebenswege erforscht und begleitet. Und zeichnet sie in seinem Buch "Für die Freiheit" detailliert nach. Es ist diese Nähe, die Langzeitbeobachtung, die Einblicke in zwei zugleich private und öffentliche Lebensgeschichten, die sein Buch lesenswert machen - auch für Leser, die sonst wenig über China wissen. Sillanpää hat jahrelang Material gesammelt und recherchiert. Die Entstehungsgeschichte des Buches ist dabei so bemerkenswert wie das Buch selbst.
"Den Kontakt mit Hu und Zeng aufrechtzuerhalten ist schwierig, weil sie streng bewacht werden. Als wir es schafften, uns in Peking zu treffen, wurden wir von der Geheimpolizei beschattet. Wir haben eine geschützte Internetverbindung und verschlüsselte E-Mail-Programme verwendet, aber unsere Nachrichten konnten dennoch nachverfolgt werden. Über dieses Buch hat die chinesische Geheimpolizei mit Sicherheit schon lange vor seiner Veröffentlichung Bescheid gewusst."
Einblick in eine chinesische Lebenswelt
"Für die Freiheit" ist dabei mehr als die Biografie zweier sehr unterschiedlicher und sehr engagierter Menschen: Das Buch erlaubt einen Einblick in eine chinesische Lebenswelt, die Außenstehenden verschlossen ist. Sie zeigt das China, das die meisten Besucher zwischen den neuen breiten Straßen und glitzernden Hochhausfassaden nie zu sehen bekommen. Ein China, das für Andersdenkende und Kritiker der Kommunistischen Führung aber zum Alltag gehört: Ein Leben mit Hausarrest, ständiger Überwachung, staatlicher Willkür - ein Leben im Überwachungsstaat. Wie hält eine Familie das aus, fragt Sillanpää:
"Wie kann man einen anderen Menschen lieben, wenn man keine Privatsphäre besitzt? Wie kann man ein Kind großziehen, wenn man sogar auf dem Spielplatz beschattet wird? Hus und Zengs Gegner ist der größte autoritäre Staatsapparat der Welt. Sich ihm zu widersetzen macht krank. Sie haben Depressionen, Einsamkeit und Albträume auf sich genommen. Darüber zu berichten macht diese Nachteile nicht unbedeutender, aber es hilft zu verstehen, was die beiden für ihre Ideale opferten."
Einsam im Hausarrest
Sillanpääs Buch lebt von der Beschreibung dieses bedrückenden Alltags. Er zeichnet nach, wie Hu von einem Umwelt- und Aids-Aktivisten zu einem Dissidenten und Berufsrevolutionär wird und wie Zeng, erst seine Mitstreiterin in einer NGO, dann seine Freundin, später seine Frau, versucht, ihren eigenen Weg zu gehen. Besonders eindringlich: die Schilderungen des monatelangen Hausarrests in der Zeit vor den Olympischen Sommerspielen 2008, als Hu Jia einer der bekanntesten Aktivisten Chinas war und in seiner Wohnung wie ein Gefangener lebte - in einer Wohnanlage, die ausgerechnet "Stadt der Freiheit" heißt.
"Die fortwährende Überwachung veränderte Hus und Zengs Beziehung zu anderen Menschen. Wenn Freunde versuchten, sie zu besuchen, wurden sie auf dem Hof von den Polizisten angehalten und verhört. (...) Jeder, der zu der Wohnung gehen wollte, wusste, dass in seiner Akte bis zum Ende seines Lebens eine Information landen konnte: hat Kontakt mit einem Staatsfeind gehabt.
Das ließ die Beteiligten über den Preis der Freundschaft nachdenken. Die Besuche vieler Freunde nahmen ab. Die Telefonate wurden weniger. Der E-Mail-Verkehr kam zum Erliegen. Hu und Zeng vereinsamten in ihrem Hausarrest noch mehr als zuvor."
Das ließ die Beteiligten über den Preis der Freundschaft nachdenken. Die Besuche vieler Freunde nahmen ab. Die Telefonate wurden weniger. Der E-Mail-Verkehr kam zum Erliegen. Hu und Zeng vereinsamten in ihrem Hausarrest noch mehr als zuvor."
Die Überwachung ist total. Während der Geburt der gemeinsamen Tochter stehen Sicherheitskräfte vor dem Kreißsaal. Als Hu schließlich verhaftet und zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt wird, bleibt Zeng mit dem Baby zurück. Ihre Depressionen, ihre Einsamkeit, ihr Versuch, trotz ständiger Überwachung der Tochter ein weitgehend normales Lebens zu ermöglichen, all das hat Sillanpää rekonstruiert - aus Gesprächen, Briefen und aus den Nachrichten, die Zeng im Internet veröffentlichte. Wie erklärt man einer Dreijährigen, warum der Papa im Gefängnis sitzt - obwohl er nur mehr Meinungsfreiheit und Demokratie forderte?
Eigentlich ein Gescheiterter
Als Hu schließlich aus dem Gefängnis entlassen wird, hofft Zeng, dass sie nun wie eine Familie zusammenleben können. Doch Hu enttäuscht sie. Er ist zwar ein radikaler Demokratie-Aktivist - aber ein schlechter Partner. Und: Die Beziehung hält letztlich dem Druck von außen nicht stand. Der Staat behält die Oberhand: Hu und Zeng trennen sich. Sie darf nach einem zermürbenden Kampf mit der Geheimpolizei zusammen mit der Tochter nach Hongkong ausreisen, wo sie derzeit lebt. Hu bleibt als Einzelkämpfer zurück. Eigentlich ein Gescheiterter, der aber bis heute mit seiner randlosen Brille und seinem fast kahl geschorenen Kopf immer noch rastlos wirkt, wie unter Strom. Jemand, der damit zu rechnen scheint, dass die politischen Umwälzungen, von denen er seit Jahren träumt, unmittelbar bevorstehen:
"China wird sich von einer Autokratie zu einer Demokratie wandeln. Vor 25 Jahren (mit den Demonstrationen auf dem Platz des Himmlischen Friedens) hatten wir keinen Erfolg. Aber wir müssen weitermachen und nicht zurückweichen bis dieses System gestürzt werden kann."
Dass ein radikaler Umbruch in China bevorsteht, glaubt allerdings in der Volksrepublik derzeit niemand. Und um Hu Jia ist es zuletzt eher still geworden. Andere sorgen für mehr Schlagzeilen - etwa der Künstler und Regime-Kritiker Ai Weiwei. Und dennoch lohnt sich die Lektüre von "Für die Freiheit" - trotz der teils holperigen Übersetzung aus dem Finnischen. Denn wie kein anderes Buch zeigt es, welchen Preis Bürgerrechtler und ihre Familien in China bis heute für ihre Ideale zahlen müssen.
Sami Sillanpää: "Für die Freiheit. Der Kampf der chinesischen Menschenrechtler Hu Jia und Zeng Jinyan". (Übersetzung: Anu Katariina Lindemann), Herbig Verlag, 368 Seiten, 24,99 Euro, ISBN 978-3-776-62742-8.