Für Experten war es nur eine Frage der Zeit, bis auch in Deutschland mit dem Corona-Virus Infizierte auftreten werden. Ein erster Fall ist jetzt bestätigt. Der Mann aus dem Landkreis Starnberg wird medizinisch überwacht und ist isoliert untergebracht. Wegen des Virus befindet sich China, wo bereits 100 Menschen an der von dem Virus übertragenen Lungenkrankheit gestorben sind, im Ausnahmezustand. Peking hat volle Transparenz versprochen. Gleichzeitig hat der autoritäre Ein-Parteien-Staat drastische Maßnahmen ergriffen. Die Elf-Millionen-Metropole Wuhan, in der das Virus zuerst aufgetreten ist, sie wurde abgeriegelt und weitere fast 20 Städte sind mittlerweile isoliert. Trotzdem breitet sich die Krankheit immer schneller aus. Was diese Entwicklung für das chinesische Regime bedeutet, erklärt der aus Peking stammende Journalist und Autor Ming Shi, der unter anderem für SZ, FAZ, Spiegel und taz schreibt.
Christiane Kaess: Leistet die Regierung in Peking überzeugendes Krisenmanagement?
Ming Shi: Überzeugend wohl nicht, weil zuerst die Verschleppung dieser Krankheit immer klarer zum Vorschein kommt. Zum ersten Mal schreiben sogar die Parteimedien über die Verfehlungen, zumindest auf der Provinzebene, zumindest auf der Ebene der Stadt Wuhan, wo die meisten Krankheitsfälle aufgetreten sind. Inzwischen gibt auch der Oberbürgermeister der Stadt zu, dass einen Tag, bevor diese Quarantäne verhängt wurde, die Stadt schon fünf Millionen Menschen registriert hatte, die die Stadt dann ohne Kontrolle verlassen haben, und das macht die Lage heute auch so schwer zu kontrollieren.
"Die Partei versucht, jetzt eine Kampfstimmung zu erzeugen"
Kaess: Heißt das, dass man Reue zeigt, oder wird da einfach Verantwortung nach unten abgewälzt?
Shi: Die Verantwortung wurde noch nicht irgendwo hingeschoben, weil im Moment natürlich die Stimmung sehr schwer für die Partei zu kontrollieren war oder ist. Die Partei versucht, jetzt eine Kampfstimmung zu erzeugen, wir konzentrieren uns erst mal auf den Kampf. Wer für die Verfehlungen zuständig oder verantwortlich gemacht werden sollte, wessen Köpfe rollen sollen, das steht zuerst noch nicht zur Diskussion. Und genau das erzürnt die Menschen auch immer mehr, weil diese Kampfstimmung so richtig nicht aufkommen Die chaotischen Verhältnisse nicht nur in den Krankenhäusern, sondern inzwischen auch in Stadtvierteln, wo die Versorgung dieser Quarantäne immer schwieriger wird, die erzwingt natürlich immer wieder die Fragen, wer macht denn das alles so mies, warum leiden wir alle, warum kommt keiner, der sagt, Entschuldigung, hier sind Fehler aufgetaucht und so. Die Parteimedien schreiben zwar insgesamt, dass es da Verfehlungen gegeben hat, aber die meinen natürlich die Verantwortlichkeitsfrage. Es gibt die ersten Zeichen, dass zumindest der Oberbürgermeister von Wuhan wohl sein Amt aufgeben müsste. Er hat das auch schon ein bisschen angedeutet. Auch er aber deutet das in einem Viruismus an. Er sagt, wenn es hilft, die Krankheit zu kontrollieren, dann macht es uns auch nichts aus, mir auch nicht, wenn wir am Pranger eines Tages stehen würden.
Kaess: Aber, Herr Shi, so wie Sie das schildern, höre ich heraus, dass das Vertrauen in die Regierung bei den Menschen überhaupt nicht groß ist.
Shi: Nein. Im Gegenteil! Wenn man heute insgesamt die chinesischen sozialen Medien betrachtet, hat man zuerst fast ironischerweise den Eindruck, dass die Zensur nicht mehr funktioniert. Normalerweise werden die sozialen Medien von allen Postings geräumt, die irgendetwas gegen die Regierung äußern. Es gibt inzwischen sehr, sehr straffe Gesetzesvorschriften, die sogar die sogenannten Chat-Leader, diejenigen, die einen Chat initiiert haben, verantwortlich machen, wenn bei ihrem Chat irgendjemand etwas Falsches oder Ungünstiges gegen die Regierung eingebracht hat. Aber es scheint so, dass niemand sich darum kümmert. Es sind fast nur sehr, sehr kritische Postings. Die Fotos kommen in Fluten.
Natürlich kann niemand wirklich noch unterscheiden, welche Fotos Fake sind oder so, aber solange die Fotos zeigen, wie schlimm die Lage ist, solange sind sie eigentlich mehr oder weniger sogar willkommen. Dagegen kommen die Parteimedien kaum noch an. Die ein bisschen kritischen Artikel in den Parteimedien, die sind dann überflutet worden von Postings, die zum Beispiel sehr, sehr ironische Bilder zeigen: Parteibosse, die mit Mundschutz zu den Menschen sprechen, tragen den Mundschutz genau falsch, um zu zeigen, die sind Lügner, die kennen die Lage nicht, die kennen noch nicht mal ihre eigene persönliche Lage. Solche Dinge passieren wirklich jetzt im Minutentakt.
"Solche Slogans, da sind die Menschen satt davon"
Kaess: Und dass Staatspräsident Xi Jinping die Bekämpfung des Virus zur Chefsache gemacht hat, kann das für ihn selber auch gefährlich werden, wenn das Virus sich weiter ausbreitet? Kann diese Krise bis ganz nach oben der Regierung in China politisch gefährlich werden?
Shi: Das ist jetzt schon der Fall, denn Xi Jinping hat es nicht direkt zur Chefsache gemacht. Es gab schon eine Sitzung des Machtgremiums, ständiger Ausschuss des Politbüros. Das ist das höchste Gremium. In dieser Sitzung wurde eine Führungsgruppe eingesetzt, aber ironischerweise war nicht Xi Jinping der Vorsitzende dieser Gruppe, sondern Ministerpräsident Li Keqiang, von dem geglaubt wurde, dass er immer eine Art Kontrahent von Xi Jinping war. Zudem war Li Keqiang jetzt in Wuhan und nicht Xi Jinping. Xi Jinping war überall während der Frühlingsfeste in China unterwegs, um seine Volksnähe zu zeigen, aber bisher ist er nicht an die Frontlinie gegangen, und das überzeugt kaum. Es gibt auch schon in der Diaspora chinesische Medien, die der chinesischen Opposition nahestehen, die ständig analysieren, warum Xi Jinping nirgendwo aufgetaucht ist.
Kaess: Und das wäre? Was wäre der Grund?
Shi: Der Grund wäre wahrscheinlich, dass, wenn er auftaucht, die Fragen ihn überfluten werden, und er wird keine der Fragen beantworten können. Er wird auch keine der Fragen beantworten wollen, denn im Moment ist nichts wirklich fest oder sehr sicher zu sagen. Man weiß noch nicht mal ganz genau, woher die Krankheit kommt. Man kann auch nicht sagen, wieviel Geld die Zentralregierung jetzt einsetzen wird. Man kann nur noch jeden Tag diese Partei-Slogans wiederholen, wir sind fest entschlossen, diesen Kampf zu gewinnen, mit allen Menschen in unserem Land zusammen werden wir auch diesen Kampf gewinnen. Solche Slogans, da sind die Menschen satt davon.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.