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Chinesischer Volkskongress
"Kein Vorgehen gegen Korruption"

Für Stephan Ortmann ist der Volkskongress in Peking "keine besonders interessante Veranstaltung". Der Grund: Alle Entscheidungen seien schon vorher im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei gefallen. Nicht einmal die Delegierten nähmen gerne am Volkskongress teil, sagte der Politikwissenschaftler an der City-Universität Hongkong im DLF.

Stephan Ortmann im Gespräch mit Friedbert Meurer | 05.03.2015
    Zwar sei der heute begonnene Volkskongress laut Verfassung das höchste politische Organ, erläuterte Ortmann. Doch kämen in der Plenarsitzung 3.000 Parteimitglieder lediglich zehn Tage zusammen. Da könne nicht viel Wichtiges passieren.
    Ortmann betonte, die chinesische Demokratiebewegung erwarte vom Volkskongress nichts - auch nicht, was den Kampf gegen die Korruption betreffe. Denn dieser sei eher ein Mittel, um politische Gegner des Parteivorsitzenden Xi Jinping aus dem Weg zu räumen. Die Bereitschaft, institutionell gegen Bestechung vorzugehen, gebe es nicht.
    Demokratiebewegung auf Konfrontationskurs
    Die Demokratiebewegung in Hongkong ist nach Angaben des Politikwissenschaftlers derzeit eher auf Konfrontation ausgerichtet. Sie bewege sich in Richtung einer Unabhängigkeitsbewegung. Dies sei aber eher ein Traum, denn eine Unabhängigkeit Hongkongs werde die Parteiführung nie zulassen.

    Das Interview in voller Länge:
    Friedbert Meurer: Das größte Parlament der Welt, das ist der chinesische nationale Volkskongress. Einmal im Jahr treffen sich ungefähr 3000 Delegierte in der großen Halle des chinesischen Volkes in Peking. Je größer das Parlament, desto mehr hat es zu sagen. Das gilt natürlich nicht: Der Volkskongress in Peking ist wohl eher eine Akklamationsmaschine. Die Regierung gibt die Ziele vor, der Volkskongress soll für Legitimation sorgen. Dabei stehen die großen, wichtigen Themen durchaus auf der Tagesordnung. Das Wirtschaftswachstum in China lahmt, jedenfalls für chinesische Verhältnisse. Die Korruption grassiert und sogar über Umweltschäden soll geredet werden.
    Stephan Ortmann ist Politikwissenschaftler an der City-Universität in Hongkong, lehrt und forscht dort. Mit ihm bin ich jetzt heute Morgen verbunden. Guten Tag, Herr Ortmann!
    Stephan Ortmann: Guten Morgen.
    Meurer: Wir haben den Volkskongress als eine ziemlich stocksteife Veranstaltung vor Augen. Da wagt es keiner, aus der Reihe zu tanzen. Ist das in Wirklichkeit so?
    Ortmann: Ja, es ist keine besonders interessante Veranstaltung. Auch für die Mitglieder ist es nicht das, woran sie träumen oder wo sie gerne dran teilnehmen wollen. Aber es ist einfach eine wichtige Show für die kommunistische Partei, weil das Parlament ja laut der Verfassung das höchste Organ ist und somit die Entscheidungen treffen sollte. Deswegen ist es ein zentrales Ereignis im Kalender der chinesischen Politik jedes Jahr. Wenn dann die 3.000 Mitglieder, wie Sie gesagt haben, für die nur zehn Tage zusammentreffen, ich meine, da kann ja auch nicht wirklich viel passieren. Es ist klar, dass alle Entscheidungen im Prinzip schon vorher getroffen worden sind von der Zentrale im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei.
    Meurer: Wissen Sie oder wissen die Chinesen - Entschuldigung, Herr Ortmann -, wie man Delegierter des Volkskongresses wird, wer da entsandt worden ist und aus welchen Gründen?
    Ortmann: Ja, die werden von unteren Ebenen ernannt. Auf der untersten Ebene werden die gewählt von der Bevölkerung und auf höherer Ebene werden sie dann ausgewählt und damit in den Volkskongress entsandt. Es ist ein Mehr-Ebenen-System in China, womit dann die Mitglieder in den Volkskongress gelangen.
    "Wirtschaftliche Reformen auf der Tagesordnung"
    Meurer: Darf man sich von dieser Veranstaltung irgendwas erhoffen, dass in China zu mehr Transparenz oder zu einer Öffnung führen könnte?
    Ortmann: Das ist auch sehr unwahrscheinlich, da die chinesische Regierung ja schon letztes Jahr angedeutet hat, dass westliche Ideen nicht in China angenommen werden können oder sollen, und insofern ist wenig zu erwarten, was institutionelle politische Reformen betrifft. Es stehen wohl mehr wirtschaftliche Reformen auf der Tagesordnung, eventuell die Möglichkeit, die Staatsunternehmen zu reformieren, was ja ein sehr wichtiger Teil ist und auch sehr schwierig sein wird. Auch das Wirtschaftswachstum relativ auf den sieben Prozent zu halten, bei denen sie jetzt sind, das ist ein wichtiges Ziel, was sich die chinesische Regierung gesetzt hat. Aber im Prinzip was Transparenzvergrößerung betrifft, da sehe ich eigentlich recht geringe Chancen dafür.
    Meurer: Es hat ja bei Ihnen in Hongkong, Herr Ortmann, letztes Jahr Proteste, Demonstrationen gegeben, vor allen Dingen von jungen Leuten. Sie haben daran selbst ja auch teilgenommen. Jetzt lesen wir, vor ein paar Wochen hat es wieder eine Kundgebung, wieder eine Demonstration gegeben. Verspricht man sich irgendetwas von den Ereignissen jetzt in Peking, oder sagt die Demokratiebewegung, das ist alles, so wie Sie es formuliert haben, nur eine Show-Veranstaltung?
    "In Hongkong gibt es den Wunsch nach Unabhängigkeit"
    Die Polizei in Hongkong geht mit Härte gegen Aktivisten der Demokratiebewegung vor.
    Die Polizei in Hongkong geht mit Härte gegen Aktivisten der Demokratiebewegung vor. (AFP / Philippe Lopez)
    Ortmann: Da wird nichts erwartet hier. Man ist da ganz pessimistisch, was die chinesische Regierung betrifft. Die Demokratiebewegung im Augenblick bewegt sich auch in Richtung Unabhängigkeitsbewegung. Es gibt schon einen ziemlich stark zunehmenden Wunsch, besonders unter den starken Aktivisten, Hongkong als ein eigenes Land zu machen, was natürlich genau das Gegenteil ist, was die chinesische Regierung haben möchte. Außerdem, ich meine: Die Demokratiebewegung hatte sich in den deutschen Medien in diesem Protest gezeigt vor, ich weiß jetzt nicht, das ist schon einen Monat her, am 1. Februar. Aber danach gab es weitere Auseinandersetzungen in Einkaufszentren, wo es gegen die chinesischen Grenzhändler ging, die hier Sachen aufkaufen wie Milchpulver, Süßigkeiten, Elektronik und damit die Infrastruktur belasten und die Leute hier gegen diese Sache vorgehen. Da wurde Tränengas eingesetzt und auch Dutzende Protestierende verhaftet. Also man ist hier eher auf Konfrontation weiterhin ausgelegt, als dass man sich irgendwelche Hoffnungen macht.
    Meurer: Diese sozialen Motive sind ja nachvollziehbar. Wenn Sie uns allerdings berichten, Herr Ortmann, da gibt es den Wunsch nach Unabhängigkeit, muss man dann sagen, die Demonstranten wiegen sich da in einer ziemlichen Illusion?
    Ortmann: Ja, das ist schon klar. Aber im Prinzip ist, glaube ich, das insgesamt auch mehr ein Traum und eine Hoffnung, ein Wunsch als eine tatsächliche Realität. Deswegen haben sie auch früh gesagt, wir sind Träumer, wir wünschen uns das und so. Aber die richtige Umsetzung dieses Traumes hat sich, glaube ich, keiner von denen wirklich überlegt. Das ist wirklich auch ein gewisses Problem in der ganzen Sache.
    "Korruption in Hongkong eher kein Thema"
    Meurer: In Peking jetzt beim Volkskongress - so sieht es jedenfalls aus - wird über die Korruption im Land diskutiert, ein großes Thema. Das ist ja auch vielen Demonstranten in Hongkong ein ziemlicher Stein des Anstoßes. Könnte man dann sagen, im Kampf gegen Korruption gibt es vielleicht doch eine Verbindung zwischen Volkskongress in Peking und den Wünschen der Demonstranten in Hongkong?
    Ortmann: Das Problem ist ja Hongkong, weil Hongkong im Vergleich eigentlich eine sehr geringe Korruption hat, was darauf zurückzuführen ist, dass sie hier eine Independent Commission against Corruption, eine unabhängige Institution geschaffen haben, schon 1973 vom Gouverneur Murray MacLehose, und dieser hat eigentlich Korruption so weit wie möglich in Hongkong zumindest auf niedriger Ebene reduziert oder abgeschafft sogar. Hongkong gehört zu einem der niedrigsten Korruptionsgebiete in der Welt. Erst seit der Rückkehr von Hongkong nach China kamen eigentlich höhere Korruptionsfälle zum Vorschein und auch der letzte Regierungschef Donald Tsang, der steht ja zurzeit unter Ermittlungen, und auch Leung Chun-Ying, der derzeitige Regierungschef, hat einen millionenschweren Finanzskandal am Hals, was aus der Abfindung in Höhe von über acht Millionen US-Dollar von einer australischen Ingenieurfirma kommt. Aber diese Hochebenen-Korruption ist etwas anderes. Das Problem ist, dass die Kommission ja auch von irgendjemand ernannt wird, und das ist der Regierungschef in Hongkong. Insofern besteht da ein gewisses Problem auf hoher Ebene.
    Ein chinesischer Bauer sitzt vor dem Pekinger Petitionsamt im Süden der Hauptstadt
    Ein chinesischer Bauer sitzt vor dem Pekinger Petitionsamt im Süden der Hauptstadt (picture alliance / dpa / Stephen Shaver)
    In China jedoch gibt es gar keine unabhängige Institution, die Korruption checkt, und es scheint so, dass der Kampf gegen die Korruption eigentlich eher ein Machtkampf ist in der chinesischen Regierung, in dem politische Gegner von Xi Jinping ausgeräumt werden. Und da die Regierung in China keine Bereitschaft bisher gezeigt hat, wirklich institutionelle Veränderungen durchzuführen, scheint da meiner Ansicht nach keine Gemeinsamkeit bisher vorhanden zu sein zwischen den beiden Korruptionen.
    Meurer: Noch kurz zum Schluss die Frage, Herr Ortmann: Schauen Sie sich den Verlauf des Volkskongresses im Fernsehen an, oder sagen Sie, ich habe wirklich besseres zu tun?
    Ortmann: Ich werde mir die Zusammenfassung durchlesen, aber ich werde mir das nicht im Fernsehen anschauen.
    Meurer: Stephan Ortmann, Politikwissenschaftler an der City-Universität in Hongkong, hat uns ein wenig erläutert, wie das funktioniert mit dem Volkskongress und welche Hoffnungen oder Interessen man in Hongkong vor allen Dingen bei der Demokratiebewegung dort damit verbindet. Herr Ortmann, danke schön nach Hongkong. Auf Wiederhören!
    Ortmann: Danke schön auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.