Der Nationale Volkskongress Chinas hat das sogenannte Sicherheitsgesetz für Hongkong gebilligt. Damit sind künftig "Separatismus" und "Aufruhr" in der ehemaligen Kronkolonie verboten. Es wird damit gerechnet, dass die Behörden künftig noch entschiedener gegen die Demokratiebewegung in der Sonderverwaltungszone vorgehen. Der außenpolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament, Reinhard Bütikofer, der auch Vorsitzender der China-Delegation des Europäischen Parlaments ist, fordert eine klare Antwort Europas darauf.
Stefan Heinlein: Erleben wir gerade die letzten Tage eines politisch autonomen Hongkong?
Reinhard Bütikofer: Ja! Was von Peking verordnet wird, unter der Überschrift eines sogenannten Sicherheitsgesetzes, ist in der Substanz ein Zensurgesetz, mit dem die freie Meinungsäußerung in Hongkong unterdrückt werden soll, und das geschieht in offenem Widerspruch zu dem für Hongkong geltenden Grundgesetz und in klarem Widerspruch auch zu der völkerrechtlich nach wie vor bindenden Verpflichtung, die sich ergibt aus dem Abkommen zwischen Großbritannien und China, das die Rückgabe Hongkongs an China geregelt hatte.
"Da wird offensichtlich Schwarz und Weiß verwechselt"
Heinlein: Das war ein sehr klares Ja von Ihnen, Herr Bütikofer. Im Volkskongress wurde betont, das Gesetz werde die Autonomie Hongkongs nicht antasten. Warum misstrauen Sie dieser Aussage?
Bütikofer: Weil das offensichtlich im Widerspruch zu den Fakten steht. Nach dem Artikel 18 des Hongkonger Grundgesetzes darf Peking nur solche Gesetze für Hongkong von Peking aus machen, für die im Grundgesetz keine Hongkonger Grundlage geschaffen ist. Aber in Artikel 23 steht, dass Hongkong sich ein Sicherheitsgesetz gibt. Also gibt es keinerlei rechtliche Grundlage für Peking zu sagen, wir machen das an euch vorbei. Und dann tun sie das und sagen gleichzeitig, es ändert nichts. Das ist ja offensichtlich Schwarz und Weiß verwechselt.
Heinlein: Was bedeutet dieses Gesetz im schlechtesten Fall für die Menschen in Zukunft in Hongkong?
Bütikofer: Im schlechtesten Fall heißt das, dass die chinesische Geheimpolizei in Zukunft auch in Hongkong operiert und im Zweifel alles das, was sie auf dem Festland macht, einschließlich Folter, auch in Hongkong praktiziert.
Heinlein: Wie schnell könnte dies geschehen?
Bütikofer: Ich denke, es steht zu erwarten, dass dieses Gesetz spätestens im August in Kraft gesetzt wird, und dann kann man es unmittelbar praktizieren, wenn man will.
Pekinger Führung fürchtet Machtverlust
Heinlein: Welche Motive, Herr Bütikofer, hat Peking, gerade jetzt in dieser Situation diesen Schritt zu gehen? Hat man die Geduld verloren mit den Demonstranten, mit dem anhaltenden Widerstand der Menschen in Hongkong?
Bütikofer: Man muss ja sehen, dass der Widerstand in Hongkong seinen Charakter in den letzten Monaten, eigentlich schon seit Ende letzten Jahres geändert hatte. Es war viel weniger ein Widerstand auf der Straße und es war viel mehr eine Hongkong immer stärker dominierende gesellschaftliche Selbstorganisation, die sich auch niedergeschlagen hat in einem großen Erdrutsch-Wahlsieg bei den Bezirkswahlen im letzten Dezember. Ich glaube schon, dass man sich in der Pekinger Führung davor fürchtete, dass bei der anstehenden Wahl für den Legislativrat Hongkongs zum ersten Mal die Demokraten die Mehrheit gewinnen könnten, und um das zu vermeiden, ändert man nun die politischen Bedingungen für Hongkong.
Ich glaube, dass es als zweiten Grund daneben die Absicht gibt, der Welt zu demonstrieren, wie entschlossen China inzwischen bereit ist, sich auch über geltende Verträge hinwegzusetzen, wenn es der Auffassung ist, da ist ein Ziel, das müssen wir unbedingt erreichen. Das ist eine Message, die geht nicht nur an Hongkong; die richtet sich auch an die Nachbarn Chinas im südchinesischen Meer, die man bedrängt, das richtet sich auch an Taiwan, das richtet sich auch an Indien, wo es derzeit Spannungen gibt, und es richtet sich an alle, die meinen, man müsse China nicht kniefällig begegnen.
"Chinas Politik hat einen Preis"
Heinlein: Und da sind wir jetzt bei den europäischen Außenministern. Sie beraten über die Situation in Hongkong. Angesichts der Dramatik der Situation, die Sie gerade beschrieben haben, Herr Bütikofer, was kann denn Europa außer Empörung und kritischen Worten dagegen unternehmen, gegen diese Entwicklung, die Sie gerade beschrieben haben?
Bütikofer: Na ja. Ich würde Empörung und klare kritische Worte nicht unterschätzen, weil wir viel zu lange in Europa so eine Übung hatten, dass man äußerst vorsichtig, wenn überhaupt, nur kritisiert, was einem in China nicht gefällt. Es gab zuletzt nur ganz wenige Politiker und Politikerinnen, die überhaupt noch offen über die Lage von Menschenrechten in China geredet haben. Frau Merkel gehörte dazu, aber nicht viel mehr. Und ich glaube, jetzt anzufangen damit, dass man die Dinge so beschreibt, wie sie sind, und das deutlich ausdrückt, ist schon mal ein wichtiger Anfang.
Das zweite, das sich dann meines Erachtens als Frage stellt, ist schon: Wie gehen wir mit einer Regierung um, wie gehen wir mit einem China Xi Jinpings um, das sich offensichtlich an Verträge nicht gehalten sieht. Wollen wir wirklich zulassen, dass die chinesische Telekommunikationsfirma Huawei zum Beispiel, die faktisch unter Kontrolle dieser Regierung steht, einen Anteil kriegt an einer sensiblen, wesentlich für unsere zukünftige Gesellschaft und für unsere Industrie zentralen Infrastruktur einen Anteil hat? Oder können wir da nicht vertrauen und müssen wir dann da eine Grenze ziehen? – Ich denke, wir müssen China deutlich machen: Wenn China sich an die Regeln des internationalen Zusammenlebens nicht hält, kommt das mit einem Preis.
"Im Zweifelsfall auf andere Partner setzen"
Heinlein: Und dieser Preis sind letztendlich Sanktionen, Herr Bütikofer, weil Geld und Wirtschaft, das ist das einzige, was die Weltmacht China dann letztendlich beeindruckt?
Bütikofer: Ich glaube nicht, dass wir jetzt formal über Sanktionen reden werden. Dazu haben wir Europäer die Instrumente nicht, die die USA haben. Aber ich glaube schon, dass es einen Unterschied macht, ob wir uns blauäugig der Hoffnung ausliefern, irgendwie werde die Zusammenarbeit mit China schon ertragreich sein, oder ob wir sehr konsequent unsere Werte und Interessen verfolgen und im Zweifelsfall dann auch auf andere Partner setzen.
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