Prof. Bernd Tillig, Präsident der deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie, verwendet eine Lupenbrille, wenn er operiert. Eine noch bessere Sicht und Vergrößerung hat der Berliner Kinderchirurg allerdings, wenn er minimalinvasiv operiert: Dann muss zum Beispiel nicht der Brustkorb aufgeschnitten werden, um ans Herz zu gelangen.
"Für den Chirurgen, der das macht, ist es immer wieder ein Glücksfall, was für eine exzellente Übersicht man durch die Vergrößerung des Bildes bekommt. Was nicht gleichzusetzen ist mit einer Lupenbrille, die man bei einer offenen Operation hat. Man diesen Eindruck und diesen Blick in den intakten Körper hat, in die Höhle des Brustkorbes oder in die Bauchhöhle. Und somit die normalen anatomischen Verhältnisse vor sich hat, man sich besser orientieren kann und eine viel, viel bessere und genauere Übersicht hat, Organgrenzen zu finden und seine operativen Tätigkeiten genauer und exakter durchzuführen."
Minimalinvasiven Operationstechnik
Minimalinvasiv zu operieren ist für Kinder heute etabliert, sagt Tillig. Doch bei den Neugeborenen sieht das etwas anders aus. Hier ist es erst seit einigen Jahren technisch möglich minimalinvasiv zu operieren.
"Das liegt daran, dass in der Zeit eine Entwicklung der Optik erfolgt ist, dass wir die ausreichende Auflösung haben und zweitens in der Kleinheit der Instrumente, die im Prinzip in dem Alter ja so ein, zwei Millimeter Durchmesser haben müssen und dabei ausreichend stabil, damit wir überhaupt operieren können."
Ein Nachteil der minimalinvasiven Operationstechnik: Wenn zum Beispiel im Bauch operiert wird, muss dieser mit Gas aufgebläht werden, um Platz zu schaffen. Je nach Vorbelastung verkraftet nicht jeder Säugling diese Belastung, beschreibt der Berliner Kinderchirurg:
"Ich muss also immer wieder abwägen und während der Operation genau mit dem Anästhesie-Team kommunizieren: Wie ist der Zustand der Atmung, der Durchblutung und des Kreislaufes? Und da gibt es viele Fälle eben, wo wir abbrechen müssen, weil die Belastung für das Neugeborene zu groß ist. Wir müssen diese Druckerhöhung machen, sonst haben wir keine Sicht. Und das muss man immer abwägen. Und da muss man eindeutig sagen: Die Patienten sind geeignet, um derart zu operieren, oder sagen: Für den Patienten ist die offene Operation sicherer."
Operationstechnik ist nicht einfach zu erlernen
Und es gibt noch einen Faktor, der zu beachten ist, bevor es der Regelfall wird, dass Neugeborene minimalinvasiv operiert werden: Diese Operationstechnik ist nicht einfach zu erlernen, gibt Tillig zu bedenken:
"Zweitens ist es eine extreme Lernkurve, die zu bewältigen ist, weil man ja erst mal das Erlernen muss die Technik durchzuführen in ausreichender Sicherheit."
Doch wenn es möglich ist, könnte diese Technik auch bei Neugeborenen eine schnellere Genesung bewirken. Bewiesen ist das bisher jedoch noch nicht.
"Wir können es bisher noch nicht eindeutig nachweisen, dass die Patienten wirklich 100-prozentig davon profitieren. Wir sind jetzt soweit anhand von Studien sagen zu können: Wir sind minimalinvasiv genauso gut wie bei der offenen Operation, die wir ja schon lange durchführen und die Patienten haben das gleiche Outcome. Wir haben Tendenzen, dass man sagt, die erholen sich schneller, die haben weniger Schmerzen und sind schneller wieder ernährbar und demzufolge der Heilungsprozess geht schneller. Das ist aber noch nicht richtig bewiesen. Da brauchen wir noch viel mehr Zahlen und bessere Studien dazu."
Spezialisierte Zentren
Bis dahin sollte das minimalinvasive Operieren von Neugeborenen nur in dafür spezialisierten Zentren durchgeführt werden, erläutert Tillig, Präsident der deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie, die Position seiner Fachgesellschaft. Denn dort seien die Operateure dafür geschult. Außerdem können an Zentren eher Studien durchgeführt werden, die untersuchen, ob das minimalinvasive Operieren für Neugeborene wirklich vorteilhaft ist.