Archiv


Christ sein und gleichzeitig Jude

Sie sind Juden und glauben trotzdem an Jesus als Messias. Religiös stehen die messianischen Juden den evangelikalen Christen nahe. Auch in Israel gibt es Gemeinden: Hier kommt es immer wieder zu Konflikten, weil sie auch unter orthodoxen Juden missionieren.

Von Wolfram Nagel |
    Die Bühne steht in einem schattigen Pinienhain. Eine Liveband spielt religiöse Lieder. Immer wieder kommt darin der Name Jehoshua vor. Jesus. Die Ähre auf einem großen Transparent und die Strohballen auf dem Platz symbolisieren das jüdische Wochenfest Shavuot, Chag ha Bikurim, das Fest der Erstlingsfrüchte. Doch die Menschen aus aller Welt, die sich in dem Pinienhain von Yad Ha Shmona versammelt haben, feiern nicht nur Shavuot, sondern auch Pfingsten:

    "Also, wir feiern die jüdischen Feste, besonders die, die im messianischen Hinblick immer sind. Also, Jesus hat auch Shavuot gefeiert, das wissen wir aus der Bibel. Er ist auch nach Jerusalem gegangen. Er war Jude. Und aus biblischer Sicht ist ja auch Shavuot im Neuen Testament sehr wichtig, da an diesem Tag der Heilige Geist ausgesandt wurde an Pfingsten, das ist ja Pfingsten aus christlicher Sicht. Und deswegen ist das für alle wichtig. Auch für Christen."

    Erzählt Aude-Line Hizgi, die ursprünglich aus einem Ort bei Erlangen stammt, aus einer freikirchlichen Gemeinde. Vor fünf Jahren hat sie in dem Moshav zwischen Tel Aviv und Jerusalem ihren Mann kennengelernt.

    Yad Ha Shmona ist eine Gründung finnischer Christen aus den 70er-Jahren. Der Name erinnert an acht Juden, die 1942 von der finnischen Regierung an die Gestapo ausgeliefert wurden. Sieben von ihnen starben in Auschwitz. Viele Bewohner, wie Aude-Line, stammen aus anderen Ländern, sind aber israelische Staatsbürger geworden. Sie haben Israelis geheiratet. Yad Ha Shmona im Jerusalemer Bergland ist ein Zentrum messianischer Juden in Israel:

    "Wir glauben, das messianische Judentum ist eigentlich die Erfüllung von dem, was Gott sich vorgestellt hat. Für uns ist es eben wichtig, zu zeigen, Gott liebt sein Volk auch. Und deswegen möchten wir ein Licht auch sein für die Juden hier im Lande. Und freuen uns an diesem Fest besonders, weil wir daran erinnern können, dass wir Juden sind und unseren Herrn Jesus Christus als Messias ansehen."

    Die messianischen Juden oder auch Juden-Christen von Yad Ha Shmona sprechen untereinander Ivrit, gehen einer geregelten Arbeit nach. Die Männer dienen in der israelischen Armee. So auch Aude-Lines Mann Israel. Er kam vor gut 20 Jahren ins Land - ein Jude aus Dagestan im Kaukasus. Um zu unterstreichen, wo er herkommt, spricht er russisch. Wie die meisten Männer trägt auch er bei diesem Shavuot-Fest keine Kippa.

    "Als ich geboren wurde, hieß ich Sergeij. Den Namen Israel haben ich erst nach meiner Aliah angenommen. Meine Eltern hatten Angst, dass ich zur russischen Armee muss, um am Krieg in Tschetschenien teilzunehmen. Zu Hause haben wir Farsi und Russisch gesprochen. Mein Opa war Rabbiner in der Stadtsynagoge Derbent. Alle meine Vorfahren waren Juden und sie alle haben immer geglaubt, dass wir irgendwann nach Israel kommen sollen. Das waren die kaukasischen Bergjuden."

    Drei Jahre habe er in der israelischen Armee gedient, erzählt Israel. Danach sei er herumgeirrt, auf der Suche nach Gott, nach einem Zuhause.

    "Ich war ganz allein, habe mich von meiner Familie getrennt. Ich war immer auf der Suche, bis ich zur Erkenntnis gekommen bin, dass Jesus auf die Erde kam, um mich zu retten und mir ein neues Leben zu geben. Es war ein langer Prozess. Meine Familie konnte meine Entscheidung nicht verstehen. Es war kompliziert, eben weil ich ein Jude bin."

    Hier in Yad Ha Shmona sei er erweckt worden. Und hier habe er seine Frau gefunden. Der Familienvater managt die Gästehäuser der Anlage, zu der auch ein Bibelgarten gehört. Vor allem christliche Reisegruppen aus aller Welt würden hier mit der Botschaft Jesu Christi vertraut gemacht.

    "Unser Hotel ist ja für alle geöffnet, für Juden, Christen und für ehemalige Moslems, die zum Glauben gekommen sind."

    "Die Statistik sagt, dass es ungefähr 1700 Judenchristen in Israel gibt. Das sind Angaben der Judenchristen selber, das scheint mir zu wenig zu sein. Es gibt sicherlich mehr."

    Sagt der evangelische Theologe und Judaist Michael Krupp. Er lebt seit Jahrzehnten in Israel, ist mit einer Jüdin verheiratet. Seine Kinder und Enkel sind alle jüdisch. Der 75-Jährige schrieb mehrere Bücher über das Judentum, den Zionismus und Israel. Bis zu seiner Emeritierung lehrte er an der Hebräischen Universität rabbinische Literatur und frühes Christentum. Mit Blick auf die messianisch-judenchristlichen Gemeinschaften meint er:

    "Es gibt im Christentum nichts, was nicht im Judentum vorhanden wäre. Das Einzige ist die Figur Jesu, die die Christen tatsächlich brauchen, weil sie als Heiden ein nicht auserwähltes Volk sind, durch Jesus sind sie das. Damit sind sie hinzu genommen zum Volk Gottes. Die Juden sind ja schon Volk Gottes. Also, was kann man mit Jesus anfangen? Da kann man nichts weiter hinzufügen. Deswegen bin ich ja auch gegen Mission. Sagt ja auch Karl Barth, der große Theologe, was hätten denn Juden, wenn sie Christen würden, was sie nicht vorher schon längst hatten und viel besser hatten. Und das würde ich auch so sehen."

    Michael Krupp sieht allerdings auch die Probleme vieler Einwanderer, die in Israel zwar als Staatsbürger anerkannt werden, nicht aber als Juden. So mancher finde dann sein Heil bei den Messianischen. Betroffen seien besonders Einwanderer aus Äthiopien und der ehemaligen Sowjetunion.

    "Das sind 300.000, die haben keine Religionszugehörigkeit. Das heißt, sie sind nicht anerkannt vom Rabbinat, weil sie keine jüdische Mutter haben. Und der Übertritt ist sehr schwer möglich. Und deswegen fühlen diese Leute sich vernachlässigt. Und deswegen ist es eine leichte Beute für die Missionare."

    "Ich gehöre zu einer messianischen Gemeinde. Wir glauben an die Bibel, an den Tanach, das Alte Testament und das Neue Testament. Wir glauben an Jesus. Wir glauben, Jesus ist der Messias. Angekündigt von den Propheten der Bibel. Wir arbeiten, zahlen Steuern, wir gehen zur Armee."

    Sagt Yoachim Fegeras aus Arad in der Negev-Wüste. Auch er ist nach Yad Ha Shmona gekommen, um Shavuot unter freiem Himmel zu feiern, ganz wie es in der Apostelgeschichte geschrieben steht. Seine Mutter stammt aus Holland, der Vater aus Spanien. Er selbst wurde in Israel geboren. Noch vor Jahren sei er angefeindet worden, erzählt er. Es habe sogar Ausschreitungen gegen ihn und seine Gemeinde gegeben:

    "Vor einigen Jahren haben orthodoxe Juden ständig vor unserem Haus demonstriert. Diese religiösen Juden waren zornig darüber, dass wir in Arad lebten. Sie verbreiteten, wir seien gefährliche Leute, wir würden eine gefährliche Botschaft verkünden. Verstehen sie, das ist ein Teil unseres Lebens. Das ist Teil der Realität. Wir glauben an Jehoshua, an Jesus. Das besonders Freudige daran ist, wir sind fast alle Juden. Aber die Religiös-Orthodoxen sprechen uns ab, Juden zu sein. Sie akzeptieren das nicht."

    Und das hat seinen Grund, sagt der Theologe Michael Krupp. Entweder sei man Christ oder Jude. Etwas dazwischen könne es eigentlich nicht geben. Dennoch, manche Missionare schreckten nicht einmal davor zurück, in ausgesprochen orthodoxen Vierteln wie Mea Shearim in Jerusalem ihre Werbebotschaften an Juden zu verteilen:

    "Ein Problem habe ich mit der aggressiven Judenmission, die zum Teil auch unlauter getrieben wird. Und diese kiloweise Reklame dort in Mea Shearim bei den orthodoxen Juden zu vertreiben, wo dann steht, auch du brauchst Jesus. Also die brauchen Jesus wirklich nicht in Mea Shearim. Das ist eine Beleidigung für das Judentum."