Sandra Schulz: Kommt die Neuauflage einer schwarz-roten Bundesregierung? Das hängt jetzt nur noch von den Sozialdemokraten ab, vom Ausgang des Mitgliederentscheids, der ja noch bis zum Wochenende läuft. Erwartungsgemäß gab es gestern auf dem CDU-Sonderparteitag eine große Mehrheit für den ausgehandelten Koalitionsvertrag. Das verhältnismäßig laute Grummeln bei den Christdemokraten direkt nach den Koalitionsverhandlungen, das hat das Treffen nicht mehr dominiert, auch wenn die Christdemokraten leidenschaftlich gestritten haben.
Darüber kann ich in den kommenden Minuten sprechen mit Christean Wagner, Mitinitiator des konservativen Berliner Kreises der Union und früher CDU-Fraktionschef in Hessen. Schönen guten Morgen!
Christean Wagner: Guten Morgen, Frau Schulz.
Schulz: War jetzt doch alles wie immer bei der CDU? Merkel sagt, wo es langgeht, und die Partei folgt.
Wagner: Also, Frau Schulz, zumindest war eindeutig neu und erfreulich, dass es eine sehr offene, sehr ehrliche und sehr lebhafte kontroverse Diskussion gab. Es ist bereits in Ihrer Anmoderation zurecht gesagt worden, es wurde heftig kritisch kommentiert, sowohl der Koalitionsvertrag mit der SPD als auch das katastrophale Wahlergebnis vom September letzten Jahres. Neu, erfreulich und ebenfalls neu und erfreulich der Auftritt von Frau Kramp-Karrenbauer, die ja eine erfolgreiche Ministerpräsidentin bisher gewesen ist und die, wie ich es erlebt habe, durchaus auch in der Partei sehr geerdet ist.
"Viele haben mit 51 zu 49 Prozent die Hand für den Koalitionsvertrag gehoben"
Schulz: Aber reicht es denn aus, diese Diskussion, die sicherlich sehr lebendig geführt worden ist auf dem Parteitag, diese Diskussion zu führen, um dann (wie immer) mit einer riesen Mehrheit für das zu stimmen, was die Spitze vorgibt?
Wagner: Nein, das reicht nicht aus, Frau Schulz, und zwar aus mehreren Gründen nicht. Wir haben einen Ansatz für eine bessere Zukunft der Darbietung der CDU erlebt, aber wir haben noch nicht die Inhalte erlebt. Die Rede von der Bundesvorsitzenden war ziemlich uninspiriert. Das Wahlergebnis vom September schrie ja geradezu nach einer Fehleranalyse und heraus kam in der Rede von der Bundesvorsitzenden nichts anderes als: Gründe seien das Unbehagen der Bevölkerung gewesen, aber nicht die Frage danach, was haben wir falsch gemacht.
Zweitens: Frau Kramp-Karrenbauer ist eine Hoffnung, aber sie muss jetzt natürlich liefern. Und Ihr kritisch angemerkter Punkt, Frau Schulz: So tickt die CDU. Die Delegierten sind in erster Linie bei aller gestern erfreulicherweise wahrnehmbaren Kritikbereitschaft zum Schluss loyal, und deshalb dieses überragende Ergebnis pro Koalitionsvertrag. Ich weiß aber, dass viele mit 51 zu 49 Prozent die Hand dafür gehoben haben, damit endlich aus deren Sicht stabile Verhältnisse wieder eintreten können.
"Wir haben in den letzten Jahren den Eindruck vermittelt, dass wir ein Kanzlerwahlverein sind"
Schulz: Das will ich gerne noch genauer verstehen. Julia Klöckner, designierte Ministerin, wenn es zur nächsten schwarz-roten Koalition kommt, die hat gestern Morgen bei uns im Deutschlandfunk gesagt, die CDU sei kein Kanzlerwahlverein mehr. Wenn die CDU aber jetzt so tickt, wie Sie es gerade skizzieren, erst mal zustimmen, egal ob mit Messer in der Tasche oder nicht, woran merkt man das denn dann?
Wagner: Es gibt ja zum Glück in unserer Partei auch unterschiedliche Wertungen. Ich will diese Wertung von der, von mir durchaus geschätzten Kollegin Klöckner so nicht übernehmen. Wir haben schon in den letzten Jahren den Eindruck vermittelt, dass wir ein Kanzlerwahlverein seien, ohne inhaltliche Diskussion, ohne inhaltliche Selbstkritik. Ich hoffe, dass wir uns davon nach dem gestrigen Parteitag wieder fortbewegen. Aber bisher ist dieser Eindruck nicht völlig falsch, den Sie wiedergeben.
Schulz: Was nährt diese Hoffnung, dass es jetzt ein paar jüngere und neue Gesichter im Kabinett gibt, zu denen ja auch Jens Spahn gehört?
Wagner: Ja, das ist sicherlich ein Punkt. Man muss ehrlicherweise sagen, dass das mehr auf Druck auch der Parteibasis geschehen ist, und da wollte die Bundesvorsitzende, Frau Merkel, ein bisschen Druck herausnehmen. Jens Spahn ist ja ein profilierter junger Politiker. Und ich weise nochmals darauf hin: Frau Kramp-Karrenbauer hat sich gestern als Hoffnungsträger dargestellt und jetzt müssen diese Hoffnungen erfüllt werden.
"Frau Kramp-Karrenbauer hat Kontakt zur Basis"
Schulz: Inwiefern? Das möchte ich gerne noch verstehen. Was genau ist denn Nahrung für diese Hoffnung, dass es ein leidenschaftlicher Auftritt war, den man so von Angela Merkel nicht kennt, oder woran knüpft sich das an?
Wagner: An mehrerem. An diesem Auftritt natürlich, aber auch daran, dass es schon respektabel ist, dass eine angesehene Ministerpräsidentin dieses Amt eintauscht gegen das Amt des Generalsekretärs, und Frau Kramp-Karrenbauer ist in unserer Partei hoch angesehen. Sie ist, wie ich bereits sagte, geerdet. Sie hat Kontakt zur Basis. Jetzt wird geplant, ein neues Grundsatzprogramm zu schreiben und von der Basis aus zu diskutieren. Das wirkt sicherlich auch belebend. Da gibt es schon Ansätze zu dieser Hoffnung, aber Hoffnung ist noch nicht Eintausch in die Wirklichkeit, und deshalb wollen wir jetzt sehen, dass auch die Hoffnungen, die geweckt worden sind, in der Realität in den nächsten zwei, drei Jahren umgesetzt werden.
Schulz: Ihr ganz großes Thema ist es ja, dass Sie die Partei wieder in die Richtung eines konservativen Profils bewegen wollen. Welche Punkte wollen Sie da bewegen, was wollen Sie da nennen?
Wagner: Es fängt zunächst mal mit dem Begrifflichen an, Frau Schulz. Es geht nicht an, dass der durchaus geschätzte nordrhein-westfälische Ministerpräsident, stellvertretende Bundesvorsitzende Laschet vor wenigen Tagen sagt, das Konservative gehöre nicht zum Markenkern. Ich bin jetzt 50 Jahre Mitglied der CDU und kenne zu viele Parteifreunde, die sich als konservativ bezeichnen.
"Der Zustand der Bundeswehr ist erbärmlich"
Schulz: Sagen Sie uns den Inhalt. Jetzt sind Sie bei den Begrifflichkeiten. Welche Punkte sind es? Soll die Wehrpflicht wieder eingeführt werden? Soll die Homoehe wieder abgeschafft werden? Das sind ja alles die Punkte, an denen sich die Partei unter der Moderation, unter der Führung von Angela Merkel wahnsinnig bewegt hat.
Wagner: Ja, das ist wohl wahr, dass dort erhebliche Bewegung und auch Irritation stattgefunden hat, Flüchtlingskrise und dergleichen mehr. Unsere Themen werden in der Zukunft sein, und zwar im Hinblick auch auf das Konservative, dass wir den gesamten Bereich der Sicherheit, und zwar der inneren wie der äußeren Sicherheit in den Mittelpunkt unseres politischen Handelns stellen. Der Zustand der Bundeswehr ist erbärmlich. Das sind politische Entscheidungen. Hier müssen wir um unsere äußere Sicherheit bangen. Hier müssen wir einen Beitrag leisten. Innere Sicherheit brauche ich gar nicht ausführlich darzustellen.
Das war immer ein Markenkern der Union. Aber ich bleibe auch beim Begrifflichen. Wir müssen das C deutlicher wieder in der Öffentlichkeit werbend hervorheben. Wir müssen aber auch in der wirtschaftsliberalen Politik – dafür wirbt ja der Berliner Kreis auch immer wieder – deutliche Akzente setzen. Zum Beispiel einer Steuerreform ist es zu wenig, wenn wir uns brüsten, dass wir eine Steuererhöhung gegenüber der SPD verhindert hätten. Nein, wir müssen positiv und konstruktiv sagen, der Mittelstandsbauch altes CDU-Thema, der muss im Sinne einer Steuergerechtigkeit abgeschafft werden. Es gibt viele, viele Themen, die hier aufgegriffen werden müssen.
"Eine große Herausforderung für ihn Spahn"
Schulz: Jetzt habe ich es so verstanden, dass viele Konservative über diese Personalie Jens Spahn im Kabinett glücklich sind, weil sie das als Signal verstehen, dass Angela Merkel sich öffnet. Aber welchen Spielraum wird ein Jens Spahn in der Kabinettsdisziplin dann haben?
Wagner: Das entscheidet er selbst. Er darf natürlich nicht, nachdem er Minister geworden ist, die Überzeugungen, die ihm ja Profil in den letzten Jahren verliehen haben, in den Hintergrund stellen. Das ist ein schmaler Grat, den er zu begehen hat. Auf der einen Seite muss er natürlich Kabinettssolidarität praktizieren. Auf der anderen Seite muss er aber auch deutlich machen, dass seine Überzeugungen auch nach wie vor gültig sind. Eine große Herausforderung für ihn, aber da kann er sich jetzt bewähren.
Schulz: Aber das wäre meine Nachfrage mit dem Spielraum. Wenn Sie da mit dem Bild einer Gratwanderung antworten, dann kann der ja nicht besonders groß sein.
Wagner: Ich bin ja selbst lange Jahre Minister in Länderkabinetten gewesen. Da kann man schon in kluger Weise sein Profil und damit auch die Schärfung des Profils der Partei darstellen und auf der anderen Seite nicht jeden Tag in Konfrontation mit der Bundeskanzlerin eintreten. Das scheint mir durchaus möglich zu sein, aber ich wiederhole mich: Natürlich ist es eine schwierige Gratwanderung.
Schulz: Christean Wagner, Mitinitiator des konservativen Berliner Kreises der Union, heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Danke Ihnen ganz herzlich.
Wagner: Gerne, Frau Schulz.
//Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eige